"Ein Erdbeben namens Joëlle Milquet", titelt Le Soir. "Joëlle Milquet tritt zurück, aber sie hat sich 'nichts vorzuwerfen'", schreibt L'Avenir auf Seite eins. "Vom Scheinwerferlicht in den Schatten", so sinngemäß die Schlagzeile von L'Echo.
Joëlle Milquet hat gestern für einen Paukenschlag gesorgt. Sie trat von ihrem Amt als Ministerin für Unterricht und Kultur in der Französischen Gemeinschaft zurück. Die CDH-Spitzenpolitikerin zog damit ihre Konsequenzen aus der Entscheidung der Justiz, ein Ermittlungsverfahren gegen sie einzuleiten.
"Der Sturz der 'Madame Non'", schreibt denn auch La Dernière Heure auf Seite eins. Die Vorwürfe reichen zurück in die Zeit, als sie noch föderale Innenministerin war. De Morgen resümiert kurz und knapp: "Madame Non wusste, wann sie 'Oui' sagen musste". Gemeint ist damit die Einstellung von acht Mitarbeitern durch ihr Kabinett ein halbes Jahr vor der Wahl 2014. Nach Überzeugung der Justiz sollten diese Mitarbeiter nicht primär für die Ministerin arbeiten, sondern vielmehr Wahlkampfarbeit verrichten für die Kandidatin Joëlle Milquet. Sie selbst gab zu verstehen, dass sie nichts getan habe, was nicht bis zu einem gewissen Maße jeder tut.
Wohl auch deswegen titelt La Libre Belgique: "Fiktive Mitarbeiter, das Krebsgeschwür der Ministerkabinette". De Standaard spekuliert auf Seite eins, dass Milquet möglicherweise nur eine gängige Praxis zu weit getrieben habe.
Das ist ein Grund mehr, in den ministeriellen Beraterstäben endlich aufzuräumen, fordert De Morgen. Milquet wundert sich darüber, dass einzig sie die Rote Karte bekommt für ein Verhalten, das als "normal" gilt. Die richtige Schlussfolgerung ist aber, dass mit der weitverbreiteten Schummelei jetzt endlich Schluss sein muss. Hoffentlich ist diese Affäre der entscheidende Impuls, der das Ende der Kultur der Kabinetts-Königreiche einläutet.
Widersprüchliche Verteidigungsstrategie, Kritik und Häme
De Standaard sieht Widersprüche in ihrer Verteidigungsstrategie. Auf der einen Seite beruft sie sich auf eine "gängige Praxis", einen "natürlichen und traditionellen" Vorgang. Auf der anderen Seite sieht sie sich als eine Verfechterin des Rechtsstaates. Was denn jetzt? Sagen wir mal so: Rein juristisch betrachtet ist es möglich, dass Milquet am Ende freigesprochen wird. Aus politischen Gesichtspunkten sieht das ganz anders aus.
La Libre Belgique schlägt in dieselbe Kerbe. Natürlich hat sich Joëlle Milquet nicht persönlich bereichert. Verstörend ist aber die Nonchalance, mit der sie ihr Kabinett geführt hat. Und selbst wenn es sich um eine übliche Praxis handelt, ist es zu einfach, sich dahinter zu verstecken. Wie alle Leitartikler weist aber auch La Libre Belgique darauf hin, dass auch im Falle der Joëlle Milquet die Unschuldsvermutung gilt. Sie ist eine Beschuldigte, keine Verurteilte.
Gleich nach der Rücktrittsankündigung von Joëlle Milquet waren bei so manchem gestern alle Dämme gebrochen. Es hagelte Kritik und Häme. Und auch La Dernière Heure spart nicht mit Kritik an Joëlle Milquet. Die Frau war permanent zu spät. Sie schaffte es immer wieder, die Leute, mit denen sie zusammenarbeiten sollte, in den Wahnsinn zu treiben. Und auch in ihrem Mitarbeiterstab hing der Haussegen zuweilen gehörig schief. Einmal hat gleich ein Dutzend Mitarbeiter geschlossen die Kündigung eingereicht. Der Abgang der Joëlle Milquet kann für einen frischen Wind sorgen, meint La Dernière Heure.
Jähzornig, unorganisiert, nervtötend - aber: Arbeitstier
Le Soir weist solche Kritik zurück. Seit 24 Stunden muss man den Eindruck haben, die Frau sei zum Abschuss freigegeben. Damit tut man Joëlle Milquet Unrecht. Ja, Joëlle Milquet ist jähzornig, unorganisiert, nervtötend. Aber ihre Bilanz ist aller Ehren wert. Joëlle Milquet galt nicht umsonst als Arbeitstier, ihr Pensum hat sogar ihre Gegner beeindruckt. Sie hatte auch das Herz am rechten Fleck, ist etwa mit Verve für eine multikulturelle Gesellschaft eingetreten. Jetzt entscheidet de facto die Justiz, wie es mit ihr weitergeht.
Und da gibt es eben zwei Möglichkeiten: La Libre Belgique glaubt an ein Comeback, natürlich unter der Voraussetzung, dass sie reingewaschen wird. Het Nieuwsblad hingegen ist da sehr skeptisch. Die CDH ist heilfroh, dass sie ihre allgegenwärtige Gründerin endlich los ist, glaubt das Blatt. Parteichef Benoît Lutgen, der gestern eine bewegende Stellungnahme verlas, ist ein "großer Schauspieler", zitiert das Blatt einen nicht genannten Insider. In Wirklichkeit hasse Lutgen Joëlle Milquet leidenschaftlich.
Salah, der Musterhäftling
Het Nieuwsblad bringt heute auf Seite eins ein bemerkenswertes Foto. Es zeigt Salah Abdeslam in seiner Zelle im Hochsicherheitstrakt der Haftanstalt von Brügge. Man erkennt den Mann durchaus wieder. Er hat einen kurzen, flaumigen Backenbart und er hat auch etwas zugenommen. Salah Abdeslam sieht ziemlich müde aus, hat dicke Ringe unter den Augen. Das muss daran liegen, dass er alle siebeneinhalb Minuten kontrolliert wird und deshalb auch das Licht in der Zelle angemacht wird. "Salah Abdeslam ist ein vorbildlicher Häftling", sagt man in Brügge.
Beamte wütend über Reform ihrer Pensionen
Vor allem die flämischen Zeitungen beschäftigen sich mit der geplanten Reform der Beamtenpensionen. Grob zusammengefasst müssen Staatsbedienstete auf einige Vorteilsregelungen verzichten. Da stehen sich zwei Meinungen diametral gegenüber. Gazet van Antwerpen kann die Wut der Beamten nachvollziehen. Die vergleichsweise hohen Beamtenpensionen sind ein Ausgleich dafür, dass man beim Staat eben weniger verdient. Es gibt auch keine Firmenwagen oder Gruppenversicherungen. Wenn man schon den Öffentlichen Dienst und den Privatsektor auf eine Stufe stellen will, dann auch richtig.
Het Belang van Limburg sieht das anders. Beim Staat verdient man längst nicht mehr so wenig wie früher. Die Löhne sind absolut vergleichbar. Deswegen ist es auch logisch, dass man den Beamten einige Vorteile streicht. Wie nicht anders zu erwarten, verläuft die angestrebte Harmonisierung aber in die falsche Richtung. Man hätte auch die Renten im Privatsektor den Beamtenpensionen angleichen können.
Das größte Problem ist aber, dass bislang niemand so richtig weiß, welche denn jetzt die konkreten Folgen der Entscheidung der Regierung sein werden, wettert Het Laatste Nieuws. Selbst innerhalb der Koalition gibt es da widersprüchliche Aussagen. Ein guter Anfang wäre also, hier erstmal Klarheit zu schaffen.
Roger Pint - Karikatur: Valentine Lilien