"Jan Jambon räumt die Straßen frei", titeln La Libre Belgique und L'Écho. "Die Polizei drängt die Trucker zurück", so die Schlagzeile von L'Avenir.
Dem föderalen Innenminister ist am Mittwoch offensichtlich der Geduldsfaden gerissen. Die Straßenblockaden der LKW-Fahrer nannte er "wild, inakzeptabel und nicht tolerierbar". Zugleich erteilte er der föderalen Polizei den Auftrag, die Blockaden aufzuheben.
Vermeidbares Chaos?
Und das taten die Ordnungskräfte dann auch. Stellenweise marschierte eine Hundertschaft auf. Inklusive gepanzerte Fahrzeuge und Wasserwerfer. In den meisten Fällen gaben die Trucker klein bei. "Die Polizei bewahrt Belgien vor dem Chaos", schreibt sogar La Dernière Heure. Tatsächlich gab es erste, empfindliche Versorgungsengpässe: In gewissen Gegenden wurde der Treibstoff knapp, in Supermärkten fehlten mehr und mehr Produkte in den Auslagen. Nicht zu vergessen: die kilometerlangen Staus. In Het Belang van Limburg schildert ein flämischer Trucker sein Leid: "20 Stunden lang war ich die Geisel meiner wallonischen Kollegen", sagt der Mann.
Das alles hätte vermieden werden können, meint L'Écho in seinem Leitartikel. Die politischen und technischen Verantwortlichen der LKW-Maut hätten einfach nur ein Mindestmaß an Dialogbereitschaft an den Tag legen müssen. Angesichts der erwiesenen technischen Anlaufschwierigkeiten wäre auch ein Aufschub der Maßnahme um einige Wochen kein Beinbruch gewesen. Stattdessen schalteten die Verantwortlichen aber auf stur. Alle Beteiligten sollten schnellstens dafür sorgen, dass in diese Akte wieder Besonnenheit und Vernunft zurückkehren.
LKW-Blockaden treiben seltsame Blüten
Einige Zeitungen wundern sich über die Haltung von gewissen Regionalpolitikern in dieser Angelegenheit. "Wo waren Paul Magnette oder Jean-Claude Marcourt?", fragt sich etwa La Dernière Heure. Die beiden sozialistischen Schwergewichte der wallonischen Regionalregierung haben sich in dieser Woche so gar nicht gezeigt und stattdessen dem Kollegen Haushaltsminister das Feld überlassen. Dieser Christophe Lacroix war allerdings offensichtlich überfordert. Und erst, als die LKW-Fahrer damit begonnen haben, auch flämische Autobahnen zu blockieren, trat dann der föderale Innenminister Jambon auf den Plan. Das alles lässt doch tief blicken.
"Das belgische institutionelle Kuddelmuddel treibt schon seltsame Blüten", meint auch L'Avenir. Da ruft plötzlich der MR-Politiker Jean-Luc Crucke die Trucker dazu auf, bis zum bitteren Ende weiter zu machen. Dabei gehört er doch eben den Liberalen an, die unter Normalumständen die Gewerkschaften wegen Straßenblockaden abstrafen wollen. Wenn man in der Opposition sitzt, dann sieht man die Dinge also plötzlich ganz anders. Freilich hat Crucke später erklärt, er sei "falsch verstanden" worden. Diese Episode zeigt aber einmal mehr, wie vergiftet das Klima zwischen den einzelnen Machtebenen und auch unter den Parteien ist. "Reißt euch doch endlich am Riemen", fordert L'Avenir.
Die ansonsten eher kompromisslos flämische Zeitung Het Belang van Limburg bringt ihrerseits Verständnis für die wallonischen Trucker auf. Aus geographischen Gründen ist in der Wallonie die Zahl der mautpflichtigen Straßen deutlich höher. Um Ausweichrouten zu vermeiden, gilt die Abgabe auch für zahlreiche Landstraßen, im Gegensatz zu Flandern. Das ist ein Beweis mehr dafür, dass es sich hier um nichts anderes als eine gewöhnliche Steuer handelt. Eine gleichwie geartete regulierende Wirkung gäbe es nur, wenn wirklich Alternativen zur Verfügung stünden.
Operation "Anti-Belgium-Bashing"
Zweites großes Thema ist die Imagekampagne, die Premierminister Charles Michel am Mittwoch gestartet hat. Erst im US-Nachrichtensender und dann bei einer Pressekonferenz vor dutzenden ausländischen Journalisten versuchte der Premier, das Belgienbild in der internationalen Presse gerade zu rücken. "Belgien ist kein gescheiterter Staat", zitiert De Morgen den föderalen Regierungschef. "Es ist nicht wegen der institutionellen Komplexität, nicht wegen der Cocof oder der Cocom, dass in der Metro Bomben explodiert sind, sagt Charles Michel auch in La Libre Belgique. Das Blatt nennt die Charmeoffensive eine "Operation Anti-Belgium-Bashing".
Alles schön und gut, meint Le Soir in seinem Leitartikel. Natürlich trägt die internationale Kritik an Belgien eindeutige Züge einer Karikatur. Man muss aber auch zugeben, dass insbesondere das politische Personal des Landes das Ganze begünstigt hat. Belgien wirkte nach den Anschlägen zeitweise ziemlich kopflos. Wenn man das Image wirklich aufpolieren will, dann sollte man denn auch da anfangen: Belgien muss aufhören, zerstritten und kafkaesk aufzutreten. Den einen oder anderen dürfte das Überwindung kosten.
"Die Scheiben gründlich einschlagen"
Het Laatste Nieuws sieht das ähnlich. Gewisse Politiker waren dermaßen mit sich selbst und ihren politischen Abrechnungen beschäftigt, dass sie die Außenwirkung vollkommen ignoriert haben. Und zum Glück sind die internationalen Fernsehteams nicht in die Wallonie gefahren. Da haben sich die Trucker wohl gedacht: Wenn wir schon dabei sind, die eigenen Fenster einzuschlagen, dann können wir das auch gründlich machen.
De Standaard hofft seinerseits darauf, dass die Regierung endlich das administrative Durcheinander in Brüssel entwirrt. Jetzt oder nie könnte man aus sechs Polizeizonen eine machen. und bei der Gelegenheit auch die 19 Gemeinden reduzieren. Charles Michel könnte sich damit als großer Reformer in den Geschichtsbüchern verewigen.
Für Het Nieuwsblad hingegen würde es schon reichen, wenn alle Machtebenen vernünftig zusammenarbeiten würden. Dass die rechte Hand oft nicht weiß, was die linke tut, das ist nicht nur auf die Strukturen zurückzuführen. Schuld sind vor allem das allgemeine Misstrauen und die Weigerung, zu kooperieren. Lautet das Landesmotto nicht: "Einigkeit macht stark"? Gerade in Brüssel sollte man sich das nochmal hinter die Ohren schreiben.
Roger Pint - Bild: Anthony Dehez/BELGA