"Warten, bis Salah redet", titelt De Standaard. "Warum Salah Abdeslam auspacken könnte", schreibt La Libre Belgique auf Seite eins.
Drei Tage nach der Festnahme von Salah Abdeslam dreht sich heute alles um den 26-Jährigen. Er gilt als der einzige überlebende Paris-Attentäter und war zudem aktiv an den Vorbereitungen der Anschläge vom 13. November beteiligt.
Eigentlich war erwartet worden, dass Salah Abdeslam den Ermittlern gegenüber von seinem Recht Gebrauch machen würde, die Aussage zu verweigern. Stattdessen gab er sich aber offensichtlich überraschend redselig. "Ich bin froh, dass es vorbei ist - ich war am Ende", zitieren ihn Het Nieuwsblad und Het Belang van Limburg auf Seite eins.
Außerdem soll Salah gleich in seinem ersten Verhör zugegeben haben, an den Anschlägen beteiligt gewesen zu sein. Demnach sollte er sich am Stade de France in die Luft sprengen, habe dann aber einen Rückzieher gemacht. Das gab der Pariser Oberstaatsanwalt François Molins ungewöhnlich freimütig bekannt. Daraufhin kündigte Sven Mary, der Anwalt von Abdeslam, eine Klage an wegen Verletzung des Ermittlungsgeheimnisses. "Tauziehen um Abdeslam", titelt denn auch De Morgen. Obendrauf kam dann nämlich nochmal die Aussage von Außenminister Didier Reynders. Der erklärte bei einer Tagung in Brüssel, dass Abdeslam wohl neue Anschläge geplant habe. Dafür spreche die beeindruckende Anzahl an schweren Waffen, die man bei Hausdurchsuchungen entdeckt habe.
De Standaard zitiert hingegen Gerichtskreise, die diese Erklärung als eine reine "Interpretation" des MR-Politikers bezeichnen. Es sei wohl seine persönliche Hypothese. Anwalt Sven Mary appelliert denn auch an alle Beteiligten, nun doch bitte die Justiz ihre Arbeit machen zu lassen.
Politiker sollten sich mit Spekulationen zurückhalten
Für die Aussagen des Pariser Oberstaatsanwalts François Molins bringt De Standaard in seinem Leitartikel noch Verständnis auf. Nicht vergessen: Die Anschläge vom 13. November forderten bei unseren südlichen Nachbarn einen schrecklichen Blutzoll. Da hat der Pariser Magistrat im Grunde gar keine andere Wahl, als die Öffentlichkeit über die neuesten Erkenntnisse zu informieren. Jegliche Geheimniskrämerei würde nur dazu führen, dass Gerüchte ins Kraut schießen. Politiker sollten sich hingegen mit Spekulationen möglichst zurückhalten. Das jüngste Fabulieren über möglicherweise geplante weitere Anschläge vermittelt allenfalls den Eindruck, dass die politisch Verantwortlichen die Lage nicht unter Kontrolle haben.
Salah Abdeslams Anwalt weist in De Morgen noch auf eine weitere Gefahr hin: Wenn alles, was sein Mandant zu Protokoll gibt, am nächsten Tag schon in der Zeitung steht, dann besteht das Risiko, dass Abdeslam "zumacht". Denn nicht vergessen, betont Sven Mary unter anderem in Le Soir und Het Laatste Nieuws: Die Geheimnisse und das Wissen von Salah Abdeslam sind Gold wert.
Kann Abdeslam den Ermittlern wirklich Interessantes erzählen?
La Dernière Heure ist sich da nicht so sicher. Wenn man sich den Parcours des 26-Jährigen so anschaut, dann ergibt sich da nicht das Bild eines Topterroristen. Er versteckte sich in Bruchbuden, machte grobe Fehler, die die Ermittler auf seine Spur führten. Wenn er wirklich so wichtig wäre, dann hätte die Terrororganisation IS schon Mittel und Wege gefunden, um ihn in Sicherheit zu bringen. Im Grunde hat man eher den Eindruck, dass man es mit einem Feigling und Versager zu tun hat, der den Ermittlern wohl wenig Neues erzählen kann.
Apropos "grobe Fehler": Viele Zeitungen glauben, den Polizeizugriff vom vergangenen Freitag inzwischen rekonstruieren zu können. Demnach war es wohl so, dass Salah Abdeslam zunächst zum ersten Mal nach Wochen ein Handy wieder eingeschaltet hatte, das ihm im Verlaufe der Ermittlungen zugeordnet worden war. Wo er sich genau versteckte, das erfuhren die Ermittler über eine Pizzalieferung. Die Bestellung war durch eine Cousine von Abdeslam aufgegeben worden. Stutzig wurden die Beamten, als die Lieferung in einer Wohnung abgegeben wurde und der Nachbar dann die Pizza-Kartons ins Nebenhaus brachte.
Das Terrorismusproblem kann nur gemeinsam gelöst werden
Allein diese Episode zeigt, dass Salah Abdeslam und seine Komplizen auf ein breites Sympathisanten-Netzwerk zurückgreifen konnten, stellt Het Nieuwsblad in seinem Leitartikel fest. Ein Indiz mehr dafür, wie ungestört der islamistische Extremismus in unserer Hauptstadt gedeihen kann. Molenbeek und bis zu einem gewissen Maß auch Viertel wie Forest stehen da stellvertretend. Leider scheitert jegliche Aufräumaktion an dem total verschlungenen politischen Knäuel in Brüssel.
Man muss Molenbeek von seinen Krebsgeschwüren heilen, meint auch La Libre Belgique. Belgien wäre gut beraten, die Kritik insbesondere aus Frankreich Ernst zu nehmen. Man kann doch nicht leugnen, dass in Brüssel Parallelwelten entstanden sind, in denen sich Salafisten-Netzwerke quasi außerhalb jeden Rechtsrahmens ausbreiten konnten. Fakt ist jedenfalls, dass wohl enorm viele Leute Salah in den 126 Tagen seiner Flucht geholfen haben müssen. Und die stellen alle eine potentielle Gefahr dar.
Die Festnahme von Abdeslam und seinen Komplizen löst mit Sicherheit nicht auf einen Schlag das Terrorproblem, warnt auch Het Laatste Nieuws. Das offensichtliche Sympathisanten-Netzwerk legt den Finger in die Wunde: Alle Beteiligten müssen das Integrationsproblem, insbesondere in Brüssel, jetzt endlich Ernst nehmen.
Le Soir schließlich kann nur feststellen, dass vor allem in Frankreich in den letzten Tagen die Kritik an Belgien wieder lauter geworden ist. "Wenig freundliche Beziehungen", schreibt das Blatt auf Seite eins. Zu glauben, man könne Phänomene wie Terrorismus und Radikalisierung geographisch eingrenzen, im vorliegenden Fall auf Molenbeek, ist ein tragischer Irrtum, meint die Zeitung in ihrem Kommentar. Damit verschließt man allenfalls die Augen davor, dass in den französischen Vorstädten mit Sicherheit ähnliche Dinge ablaufen. Mit dem Finger auf andere zu zeigen ist ebenfalls falsch. Das Terrorismusproblem können wir nur gemeinsam lösen.
Roger Pint - Bild: Dirk Waem/BELGA