"Das Schicksal des Dschungels von Calais sorgt für Besorgnis in Belgien", titelt Le Soir. "Jungle", so wird das Flüchtlingslager in der Nähe des französischen Hafens am Ärmelkanal genannt. Dort warten nach Schätzungen Tausende Flüchtlinge auf eine Gelegenheit, um nach Großbritannien zu gelangen. Die französischen Behörden drohen mit einer Zwangsräumung. Die endgültige Entscheidung soll heute fallen. In Belgien befürchtet man jedoch, dass sich das Problem dann nur verlagern würde. Der Gouverneur der Provinz Westflandern forderte schon eine Verschärfung der Kontrollen an der Grenze zu Frankreich. Innenminister Jan Jambon macht in Le Soir noch einmal klar, dass alles getan werde, um zu verhindern, dass auf belgischem Boden ein Flüchtlingslager wie in Calais entsteht.
Einige Zeitungen kritisieren das Vorgehen der französischen Behörden. Eine Zwangsräumung würde nichts bringen, meint etwa Le Soir in seinem Leitartikel. Natürlich ist der "Dschungel" allein schon wegen der dortigen Lebensbedingungen in seiner derzeitigen Form inakzeptabel. Ihn wie durch Zauberei verschwinden zu lassen, löst aber nicht das Grundproblem. Diese Geschichte ist vielmehr ein neuer Beweis dafür, dass eine Zusammenarbeit der verschiedenen EU-Länder in der Flüchtlingsproblematik unerlässlich ist. Dabei sollten die politisch Verantwortlichen endlich auch auf populistische Aussagen verzichten und ihren Verstand sprechen lassen, nicht ihren Bauch.
L'Avenir sieht das ähnlich. Auch wenn in den nächsten Stunden die Bagger anrollen, um den Dschungel plattzumachen: Die Anziehungskraft von Calais wird bleiben. Im Grunde geht es hier allenfalls um einen "kosmetischen" Eingriff, um einen offensichtlichen Schandfleck zu kaschieren. Ohne einen wirklich europäischen Ansatz in der Flüchtlingspolitik wird sich an der eigentlichen Problematik nichts ändern. Wirklich zynisch wird das Ganze, wenn man dann noch eine mögliche Zwangsräumung als "humanitäre Aktion" bezeichnet.
Wiedereinführung der Grenzkontrollen: Handel würde einbrechen
Belgien ist ja beileibe nicht das einzige Land, das über eine Verschärfung der Grenzkontrollen nachdenkt. Quasi in ganz Europa sind ja in letzter Zeit wieder neue Zäune entstanden. Warnende Schlagzeile dazu auf Seite eins von De Standaard: "Die Wiedereinführung der Grenzkontrollen würde 100 Milliarden Euro kosten", schreibt das Blatt. Das jedenfalls geht aus Berechnungen des EU-Parlaments hervor. Neue Grenzkontrollen in der Schengenzone würden demnach das Handelsvolumen um zwölf Prozent einbrechen lassen. Betroffen wären vor allem Belgien, Frankreich, die Niederlande und Deutschland. "Gerade Belgien muss das mit allen Mitteln verhindern! Ansonsten sägen wir an dem Ast, auf dem wir sitzen.", sagt denn auch der flämische EU-Parlamentarier Ivo Belet in De Morgen.
Die N-VA zwischen Scheindebatten und internen Querelen
De Morgen kommt noch einmal zurück auf die Zugeständnisse, die der EU-Gipfel am Freitag Großbritannien gegenüber gemacht hat. Der Deal besagt unter anderem, dass Staaten EU-Ausländern nur noch Kindergeld auszahlen müssen, wenn die Kinder auch wirklich in dem Land wohnen. Auch für die N-VA ist das ein verlockender Gedanke, bemerkt die linksliberale Zeitung. Doch das ist eine Scheindebatte. Solche Fälle stellen gerade mal ein Prozent des Gesamtvolumens des Kindergeldes in Belgien dar. Zu glauben, dass hier ein großes Sparpotenzial liegt, ist eine Illusion. Der N-VA geht es hier wohl mehr um Ideologie: Einmal mehr kann man anhand dieser Geschichte angebliche Profiteure und vermeintlichen Missbrauch an den Pranger stellen.
Apropos N-VA: Viele Zeitungen gehen auch heute noch der Frage nach, ob, beziehungsweise inwieweit der Haussegen bei den flämischen Nationalisten schief hängt. Hintergrund ist die parteiinterne Wahl eines neuen Schatzmeisters. Dabei setzte sich nicht die Wunschkandidatin der Parteispitze durch, sondern ein illustrer Unbekannter. Eddy Vermoesen war bislang Finanzschöffe im beschaulichen Aartselaar. "Eigentlich kenne ich Bart De Wever nicht wirklich", sagt das neue Vorstandsmitglied im Interview mit Gazet van Antwerpen. Dass der sogenannte Parteirat der Wunschkandidatin von Bart De Wever nicht den Segen geben wollte, wird jedenfalls von Beobachtern als eine Desavouierung gewertet.
"Unsinn!", sind sich aber viele Leitartikler einig. Wer in dieser Episode einen ausgestreckten Mittelfinger gegen De Wever sehen will, der macht den Wunsch zum Vater des Gedankens, meint etwa Het Laatste Nieuws. De Wever ist und bleibt der Oberbefehlshaber der N-VA, er ist ihr Alpha und ihr Omega. Die Wahl vom Wochenende ist allenfalls Ausdruck der Anarcho-Seele, für die auch schon die Mitglieder der alten Volksunie bekannt waren. Wie die Partei sind auch ihre Mitglieder zutiefst gegen das Establishment eingestellt.
Und doch sollte De Wever das als kleinen Warnschuss betrachten, glaubt Gazet van Antwerpen. Um auch in Zukunft noch unantastbar zu sein, sollte der Parteichef auf die Basis hören.
Mini-Mobilitäts-Meeting: Vier Minister und kein Plan
Einige Zeitungen beschäftigen sich mit dem gestrigen "Mini-Gipfel" der vier Mobilitätsminister des Landes. Die hatten auf Einladung des Brüsseler Resort-Chefs Pascal Smet insbesondere über die Brüsseler Tunnel-Problematik beraten. Heraus kam zunächst mal nichts. Und das macht La Libre Belgique richtig wütend. Verstehen die Verantwortlichen denn immer noch nicht, dass Brüssel nun endlich schnelle Lösungen braucht? Da kann man doch nicht hingehen und das Treffen lediglich als eine "erste Kontaktaufnahme" bezeichnen. Nein, nein, dreimal nein! Wir müssen endlich aus diesem Schlamassel heraus!
De Standaard schlägt in dieselbe Kerbe. Das Fazit lautet kurz und knapp: vier Minister, kein Plan. Bezeichnend ist da, dass die N-VA nach wie vor viel lieber über eine Aufspaltung der SNCB schwadroniert. Blöde Frage: Wollen die flämischen Pendler dann plötzlich auch nicht mehr nach Brüssel? Dieses Land braucht endlich eine Mobilitätspolitik, die diesen Namen verdient, mit einer durchdachten, allumfassenden, nationalen Vision.