"Der Brexit ist näher als je zuvor", titelt Het Nieuwsblad. Die Frage, ob Großbritannien die EU verlassen sollte, spaltet inzwischen nicht mehr nur die Briten, sondern auch die Partei von Premierminister David Cameron. Cameron hatte beim EU-Gipfel Ende vergangener Woche den übrigen 27 EU-Staaten Zugeständnisse abgerungen und de facto ein Sonderstatut für sein Land ausgehandelt. Im Gegenzug will er sich jetzt für einen Verbleib Großbritanniens in der Europäischen Union stark machen. Die Briten werden bereits am kommenden 23. Juni in einem Referendum darüber abstimmen. Boris Johnson, der populäre Londoner Bürgermeister und Parteikollege von Cameron, kündigte gestern an, seinerseits für einen Brexit zu werben. Het Laatste Nieuws spricht in diesem Zusammenhang von einem "schweren Schlag für Cameron".
Le Soir zeigt eben diese beiden Männer auf seiner Titelseite: David Cameron und Boris Johnson. Titel: "Brexit: Die Schlacht hat gerade erst begonnen".
Brexit-Frage wird britisch - die historische Bedeutung aber bleibt
Jetzt ist die Brexit-Frage wieder zu dem geworden, was sie immer hätte bleiben sollen, nämlich eine innere Angelegenheit Großbritanniens, meint Le Soir in seinem Leitartikel. Der Gipfelbeschluss vom Freitagabend ist ein Wendepunkt. Zum ersten Mal wurde ein Rückschritt im europäischen Integrationsprozess beschlossen. Dass es nicht noch schlimmer gekommen ist, das ist insbesondere der belgischen Delegation um Premier Charles Michel zu verdanken. Dabei muss man feststellen: Die Belgier wirkten da fast schon wie die letzten Mohikaner des europäischen Traums. Dabei entscheidet sich die Zukunft Europas eigentlich nicht im Ärmelkanal, sondern in der Ägäis.
Die Zugeständnisse, die die EU London gegenüber gemacht hat, ändern in der Praxis nicht sehr viel, urteilt Het Belang van Limburg. Der Deal von Ende letzter Woche dürfte denn auch dem britischen Premier Cameron nicht wirklich dabei helfen, seine Landsleute für Europa zu begeistern. Im Wesentlichen dürfte sich seine Kommunikation auf eine "Strategie der Angst" beschränken, nach dem Motto: Ein Brexit wäre ein Sprung ins Unbekannte. Bedauern muss man Cameron in jedem Fall nicht; er hat sich das Referendum selber eingebrockt.
Die nächsten Monate werden für Cameron wohl die ungemütlichsten seiner Laufbahn, glaubt Het Laatste Nieuws. Doch auch für die EU ist ein möglicher Brexit eine Frage historischen Ausmaßes. Schon jetzt kann das Ganze auch anderen EU-kritischen Mitgliedsländern als Vorbild dienen. Selbst, wenn sich die Briten am Ende doch für Europa aussprechen, die egoistische Dynamik, die am Freitag in Gang gesetzt wurde, die ist wohl nicht mehr zu stoppen.
Bemerkenswerte Geschichte auf Seite eins von Het Laatste Nieuws: "Neu in Ihrem Reisebüro: eine Woche Lesbos, um zu helfen", schreibt das Blatt. Und in der Tat: Der Reiseveranstalter Sunweb bietet eine einwöchige Reise auf die griechische Insel an. Dort kommen ja jeden Tag hunderte Flüchtlinge an. Wer helfen möchte, den bringt Sunweb nach Lesbos. Die Reise kostet 419 Euro für sieben Tage. Dafür ist immerhin die Übernachtung in einem Luxushotel inklusive.
Streit um Kopftuch in Flüchtlingsunterkunft artet aus
Apropos Flüchtlinge: Im Asylbewerberheim im limburgischen Leopoldsburg ist es am Wochenende zu einer Massenschlägerei gekommen. Auslöser war, dass ein 14-jähriges syrisches Mädchen sich weigerte, ein Kopftuch zu tragen. Für einige Afghanen war das offensichtlich problematisch. Bei der darauf folgenden Auseinandersetzung flogen anscheinend buchstäblich die Fetzen. "Einen Moment lang sah es so aus, als wäre ein Krieg ausgebrochen", berichtet ein Augenzeuge in Het Belang van Limburg. 26 Unruhestifter wurden inzwischen vor die Tür gesetzt.
Einige Zeitungen warnen hier vor Pauschalurteilen und Verallgemeinerungen. Die übergroße Mehrheit der Flüchtlinge in unseren Auffangzentren verhält sich durchaus anständig, bemerkt etwa Gazet van Antwerpen. Alle Beteiligten müssen sich hier vor vorschnellen Schlussfolgerungen in Acht nehmen. Beispiel: Wouter Beke, CD&V-Chef und Bürgermeister von Leopoldsburg, plädierte dafür, Migranten je nach Staatsangehörigkeit getrennt voneinander unterzubringen. Das aber wäre ein falsches Signal. In diesem Land leben wir alle zusammen, mit Regeln, die für alle gleichermaßen gelten.
Het Nieuwsblad sieht das nuancierter. "Alle müssen miteinander klarkommen", klingt natürlich toll. Man darf da aber nicht vergessen, dass die - im Übrigen improvisierten - Auffangstrukturen aus allen Nähten platzen. Temporäre Asylbewerberheime sind eine Lösung für temporäre Probleme. Aber sie bleiben ein Wartezimmer, ein ziemlich volles noch dazu. Auf der Grundlage von ein paar Zwischenfällen gleich zu urteilen, dass es ein Problem gibt mit "den" Flüchtlingen, das ist jedenfalls viel zu kurz gegriffen.
N-VA-Basis zeigt Parteichef den "Mittelfinger"
Viele Zeitungen beschäftigen sich heute mit dem Zustand der N-VA. Am Wochenende sollte der sogenannte "Parteirat" unter anderem einen neuen Schatzmeister bestimmen. Das Führungsgremium entschied sich dabei aber nicht für die Wunschkandidatin von Parteichef Bart De Wever, sondern bevorzugte einen bislang eher Unbekannten. De Morgen sieht darin einen "Mittelfinger gegen De Wever". "Die N-VA-Basis hat die Nase voll vom herrischen De Wever", analysiert Het Laatste Nieuws.
Abschiede
In vielen Zeitungen heißt es heute schließlich Abschied nehmen. Vor allem die frankophonen Blätter bringen Nachrufe auf den früheren Bürgermeister von Mouscron, Jean-Pierre Detremmerie, der sich am Wochenende das Leben genommen hat. Hintergrund war wohl der Prozess wegen illegaler Finanztransaktionen, der am Dienstag beginnen sollte. "Adieu, Detrem'", schreibt unter anderem La Dernière Heure.
Die flämischen Zeitungen ehren noch einmal die Radcrosslegende Sven Nys. Der hat gestern seine lange, erfolgreiche Karriere beendet.
Und fast alle bringen schließlich eine Hommage an Umberto Eco. Der renommierte italienische Intellektuelle starb am Wochenende im Alter von 84 Jahren. "Italien verliert wichtigste moralische Instanz", schreibt das GrenzEcho. Le Soir geht noch weiter: "Europa verliert einen seiner größten Gelehrten", schreibt das Blatt. La Libre Belgique sagt: "Ciao Umberto Eco, der Mann, der alles wusste".