"Die Schwedische Koalition verliert ihre Mehrheit in der Kammer", titeln Le Soir und Het Laatste Nieuws. Beide Zeitungen veröffentlichen heute ihr Politbarometer, das sie zusammen mit den privaten Fernsehsendern RTL-TVI und VTM durchgeführt haben. Demnach verliert die aktuelle Regierungskoalition zwölf Sitze und würde damit nur noch 73 von 150 Abgeordneten in der Kammer stellen.
Die größten Verluste muss in dieser Umfrage die N- VA hinnehmen, mit einem Minus von fünf Sitzen. CD&V und OpenVLD verlieren jeweils zwei Sitze. Auf frankophoner Seite hält die MR die Verluste noch in Grenzen: Die Liberalen büßen nur einen Sitz ein. Auch, weil sie in Brüssel die PS überholen. Großer Gewinner ist der rechtsextreme Vlaams Belang, der seinen Stimmenanteil im Vergleich zur Wahl 2014 genau verdoppelt.
"Michel II? Daran wird man wohl noch arbeiten müssen.", konstatiert in diesem Zusammenhang Het Laatste Nieuws. Heißt also: Für eine mögliche Neuauflage der Koalition nach 2019 würde es, zumindest im Moment, nicht reichen.
Regierungsparteien lassen trotz guter Arbeit Federn
Le Soir hebt in seinem Leitartikel zunächst einen eklatanten Widerspruch hervor. Man kann nur feststellen, dass die Regierungsarbeit an sich von den Befragten positiv bewertet wird. Zugleich verlieren aber alle Koalitionspartner an Boden. Was den Parteien aber wirklich Sorgen machen muss, das ist der derzeit zu beobachtende Höhenflug des rechtsextremen Vlaams Belang. Schon jetzt zeichnet sich ab, dass diese Entwicklung die Kommunalwahl 2018 vergiften dürfte. Und das vor allem in Antwerpen, bekanntermaßen die Hochburg von N- VA-Chef Bart De Wever.
Für De Morgen sind die Parteien schon jetzt sichtbar aufgeheizt. Ein Hinweis darauf steht auch auf Seite eins von La Libre Belgique: "Theo Francken will die Zahl der Plätze in geschlossenen Abschiebezentren verdoppeln", so etwa die Aufmachergeschichte von La Libre Belgique. Der N- VA-Politiker will die Ausweisung von illegal in Belgien lebenden Ausländern beschleunigen. Francken will demnach schon am Freitag einen entsprechenden Plan vorstellen.
Die unsittliche Berührung, die keine war
De Morgen macht die allgemeine Nervosität derweil vor allem an den Ereignissen in Koksijde fest. Im dortigen Schwimmbad soll ja ein Iraker ein junges Mädchen unsittlich berührt haben. Der OpenVLD-Bürgermeister von Koksijde wollte daraufhin allen Flüchtlingen Hausverbot für das Schwimmbad erteilen.
Inzwischen ist auch die Version des Beschuldigten bekannt: "Der Mann wollte das Mädchen nicht begrapschen, sondern retten", schreibt etwa Het Nieuwsblad auf Seite eins. De Morgen spricht denn auch schon von einer "unsittlichen Berührung, die keine war". Und doch beklagt Bürgermeister Vanden Bussche in Het Laatste Nieuws, dass die jetzt beschlossenen Maßnahmen nicht weit genug gehen. Statt einer Schließung wurde ja jetzt entschieden, die Hausordnung des Schwimmbads auf Arabisch zu übersetzen.
"Die Rue de la Loi läuft heiß wegen Koksijde", kann aber De Morgen da nur feststellen. Tatsächlich stellte sich OpenVLD-Chefin Gwendolyn Rutten hinter ihren Bürgermeister. Und Asylstaatssekretär Francken verschärft ja auch quasi mit jedem Tag den Umgang mit vermeintlich straffällig gewordenen Asylbewerbern.
Der Hysterie nahe
"Wir drehen hier gerade kollektiv durch", meint De Standaard in einem nachdenklichen Leitartikel. Insbesondere die Ereignisse von Koksijde zeigen, wie nahe wir inzwischen an einer klassischen Hysterie sind, und wie hauchdünn der Rechtsstaat ist, der uns vor einem Willkürregime schützen sollte. Nur noch mal zur Erinnerung: Die zuständige Staatsanwaltschaft sah nach einer ersten Untersuchung keine Anzeichen für ein Fehlverhalten des Irakers. Und doch wurde er in ein geschlossenes Asylbewerberzentrum überführt. Zugleich bleibt auch der Bürgermeister von Koksijde bei seiner harten Haltung. Es ist bestürzend, wie schnell wir uns wieder in die Zeit zurückversetzen, in der es normal war, dass Gaststätten keine Nordafrikaner einließen: "Interdit aux Nord-Africains". Seit Köln haben wir den Kopf verloren.
Auch Het Belang van Limburg kann angesichts der Polemik nur mit dem Kopf schütteln. Sicherheitspolitiker überbieten sich derzeit mit Vorschlägen, die eine Verschärfung der Strafgesetzgebung allein für Asylbewerber beinhalten. Es gibt aber keinen Grund dafür, Flüchtlinge strenger anzupacken als gewöhnliche Bürger. Viel zu viele Politiker missbrauchen derzeit Asylbewerber, um sich zu profilieren. Wir sollten uns viel mehr mit der Frage beschäftigen, wie man diese Menschen integriert, statt heillose Debatten über Randereignisse zu führen.
Immobilitätspolitik in Brüssel
"Brüsseler Tunnels: Wer soll das bezahlen?", fragt sich derweil La Libre Belgique auf Seite eins. Die Saga um die Brüsseler Bröckel-Tunnels geht weiter. "Brüssel steht vor einer großen Mobilitätskrise", konstatiert De Morgen. Der Stéphanie-Tunnel musste ja komplett geschlossen werden; der Leopold II-Tunnel steht unter Aufsicht. Het Laatste Nieuws präsentiert die Rechnung: "Die Renovierung wird eine Milliarde Euro kosten", schreibt das Blatt.
Auch heute gehen die Leitartikler insbesondere mit den Brüsseler Politikern hart ins Gericht. Die regionalen Verantwortlichen haben einen erschreckenden Mangel an Voraussicht an den Tag gelegt, wettert etwa L'Avenir. In der Wallonie war es bis vor kurzem ja nicht anders: man denke nur an den katastrophalen Zustand der Straßen im Süden des Landes. Und jetzt erfahren wir auch noch, dass die wallonischen Trassen der Brüsseler S-Bahn offensichtlich auf Eis liegen. Da wirken die prachtvollen Bahnhöfe von Lüttich und Mons wie der blanke Hohn.
L'Echo spricht erbost von einer "Immobilitätspolitik". Und das alles nur, weil jede Region in erster Linie ihren eigenen Nabel im Blick hat. Insbesondere die Flamen fühlen sich von den Brüsseler Problemen nicht tangiert, vergessen aber, dass jeden Tag 400.000 Pendler in die Hauptstadt strömen, die meisten von ihnen aus Flandern.
Brüssel ist ein nationales Problem, meint denn auch La Libre Belgique. Man kann die Hauptstadt mit diesem Fiasko nicht alleine lassen. Es bedarf eines nationalen Plans, um aus Brüssel wieder die renommierte Metropole zu machen, die es einmal war.