"Die N-VA legt eine institutionelle Bombe", titelt Le Soir. "De Wever belastet Regierung Michel mit gemeinschaftspolitischer Hypothek", schreibt De Standaard. "Flämische Nationalisten brechen gemeinschaftspolitischen Frieden", so die Schlagzeile von Het Nieuwsblad.
Eigentlich wollte die N-VA bis zum Ende der Legislaturperiode, 2019, keine neuen institutionellen Forderungen stellen. Weil die Kritik der flämischen Hardliner aber immer lauter wird, musste Parteichef Bart De Wever reagieren. Der N-VA-Fraktionssprecher und eine Kammerabgeordnete sollen die Überlegungen der Partei zum "konföderalen Belgien" nun wieder vorantreiben. Die N-VA arbeitet an der "ultimativen Staatsreform", fasst es De Morgen zusammen. Die Föderalregierung soll darunter nicht leiden. Die N-VA halte ihr Wort und stehe zum Koalitionsprogramm, erklärte De Wever in seiner überraschenden Stellungnahme. Der Denkprozess, der jetzt angestoßen wird, sei ein rein parteiinterner.
Gute Miene zum bösen Spiel - noch drei Jahre lang
Daran glaubt die französischsprachige Opposition aber nicht. PS und CDH üben scharfe Kritik. Die N-VA bereite das "Ende Belgiens" vor. Seine Koalitionspartner, allen voran die frankophone MR, bringt De Wever mit seinem Vorstoß in die Bredouille, bemerkt De Standaard. Zwar gibt sich die Partei von Premierminister Charles Michel gelassen. Innerlich dürften die Liberalen aber gekocht haben, als sie von den N-VA-Plänen erfuhren.
Het Nieuwsblad meint: Für die Föderalregierung sind das keine guten Neuigkeiten. Premier Michel wird nichts anderes übrig bleiben, als gute Miene zum bösen Spiel zu machen. "Noch drei Jahre lang. Viel Glück dabei!", fügt das Blatt hinzu. Die MR hatte das gemeinschaftspolitische Stillhalten zur Bedingung für ihre Regierungsbeteiligung gemacht, wie La Libre Belgique erinnert. Jeder Vorstoß gegen diese Vereinbarung schwächt den Premierminister. Außerdem ist jetzt noch einmal klar geworden: Für Bart De Wever ist das Überleben seiner Partei wichtiger als die Stabilität der Regierungskoalition.
Le Soir findet: Man kann De Wever inhaltlich kaum etwas vorwerfen. Er ist der Chef einer Nationalistenpartei und lässt das flämische Profil jetzt schärfen. Das Problem haben andere: Die Schlinge um die MR zieht sich weiter zu. Die beiden anderen Koalitionspartner, CD&V und OpenVLD, müssen ebenfalls darauf achten, nicht zu Marionetten einer Regierung zu verkommen, die lediglich als Deckmäntelchen für einen großangelegten Wahlkampf der N-VA dient. Het Belang van Limburg ist überzeugt, dass De Wever handeln musste. Die Hardliner sind die N-VA-Mitglieder der ersten Stunde. Sie sind sozusagen die Lebensversicherung der Partei. Und die wird De Wever ganz sicher nicht aufgeben.
Dolchstoß in Charles Michels Rücken oder Plan B?
L'Echo schreibt: Solange die Separatisten niemandem außerhalb ihrer Partei mit ihren Planspielen auf den Senkel gehen, ist die Welt noch in Ordnung. Problematisch aber wird es, wenn De Wever seine unzufriedenen Hardliner nicht mehr mit parteiinternen Denkprozessen abspeisen kann, sondern Handfestes liefern muss. Dann würde er dem Premierminister definitiv einen Dolchstoß in den Rücken versetzen. De Standaard hält die Vorgehensweise von Bart De Wever für überraschend: Um die Separatisten zu besänftigen, nimmt er also das Risiko in Kauf, seine ohnehin zerbrechliche Koalition mit den französischsprachigen Liberalen zu beschädigen. Da kommt die Frage auf, ob De Wever je daran geglaubt hatte, dass die Koalition bis zum Ende der Legislaturperiode halten würde. Indem er die Zukunft aktiv vorbereiten lässt, hat er für den Fall der Fälle schon einen Plan B.
De Morgen glaubt nicht, dass die Kritik der Flämischen Bewegung hinter De Wevers Manöver steckt. Bei der N-VA wächst seit Monaten der Unmut über die eigene, zu schwache Kammerfraktion. Den Fraktionschef und seine Stellvertreterin, Hendrik Vuye und Veerle Wouters, hat der Parteichef jetzt elegant mit "neuen Aufgaben" außerhalb des Parlaments abserviert.
Der flämische Ikarus
Het Belang van Limburg findet das Vorhaben der N-VA trotzdem riskant. Die Zeitung weiß nicht, ob den Flamen derzeit der Kopf nach einer neuen Staatsreform steht. Sollte die Regierung Michel es schaffen, die Wirtschaft bis 2019 anzukurbeln, dürfte das Verlangen nach institutionellen Veränderungen nicht besonders groß sein. Aber auch sonst nicht. Denn scheitert die Schwedische Koalition, dann wird die N-VA nicht mehr behaupten können, die wallonischen Sozialisten seien an allem schuld.
Het Laatste Nieuws warnt ebenfalls: Ob beim Konföderalismus, der Flüchtlingskrise oder weiteren Einschnitten bei der Sozialen Sicherheit: Immer häufiger kocht Bart De Wever sein eigenes Süppchen. Abseits der Regierung, übermütig und unvorsichtig. Wie ein moderner, flämischer Ikarus. Aber aufgepasst: Die Sonne, und damit der Absturz, kommt gefährlich nah.
Alain Kniebs - Bild: Nicolas MaeterlinckBELGA