Die Zeitungen kommentieren fast ausschließlich die Lage in Belgien und Europa eine Woche nach den Anschlägen von Paris.
Le Soir greift dafür die Beschlüsse des gestrigen EU-Ministerrats auf. Dieser hatte unter anderem beschlossen, Kontrollen an den EU‑ Außengrenzen auch für EU‑ Bürger wieder einzuführen. Außerdem sollen Personendaten zwischen den nationalen Behörden besser ausgetauscht werden.
Die Zeitung meint dazu: Diese Maßnahmen sind nicht neu. Sie wurden schon nach dem Anschlag im Januar auf die Redaktion von Charlie Hebdo getroffen. Nur: Fast keiner hat sie richtig umgesetzt. Und so konnte es kommen, dass am vergangenen Samstag ein Terrorist bei einer Kontrolle in Frankreich nicht aufgegriffen wurde, obwohl er in Belgien aktenkundig war. Die Franzosen haben schlicht und einfach nicht in ihre Datenbank geschaut. Es macht einen sprachlos, wenn man diese Unverantwortlichkeit der EU‑ Mitgliedsstaaten entdeckt. Zunächst beschließen sie Dinge, die sich gut anhören, aber dann setzen sie sie nicht um. Das hat uns jetzt wieder einmal an den Rand des Abgrunds geführt, wie schon bei der Bankenkrise. Damals ging es aber nur um Geld. Jetzt hat dieser Unwille, mit dem die Maßnahmen gegen den Terror nach Charlie Hebdo umgesetzt wurden, zur kaltblütigen Hinrichtung von französischen Bürgern geführt, schreibt Le Soir.
Anti-Terrormaßnahmen müssen über Aktivismus hinausgehen
Die Wirtschaftszeitung L'Echo blickt auf das neue Maßnahmenpaket, das die Regierung in Belgien beschlossen hat im Kampf gegen den Terror: Die meisten dieser Maßnahmen sind gut. Sie zeigen, dass wir reagieren können. Sie beruhigen uns. Aber zwei Fehler sind dennoch gemacht worden.
Erstens: Man darf nicht alle Syrienrückkehrer unter Generalverdacht stellen. Man muss sich fragen: Warum kommen sie zurück? Wollen sie wirklich den Terror nach Europa bringen? Oder haben sie sich mit Ekel von dem abgewendet, was sie in Syrien erlebt haben? Es wäre viel besser, diese Leute in Zentren zur Deradikalisierung zu stecken als direkt ins Gefängnis.
Zweitens: Alle Maßnahmen sind repressiv. Es wurde vergessen, dass wir uns auch darum bemühen müssen, gesellschaftspolitisch tätig zu werden. Das ist natürlich schwierig und äußerst komplex. Aber nur so können wir etwas tun für unsere langfristige Sicherheit, glaubt L'Echo.
Ähnlich sieht es La Libre Belgique: Über allen Aktivismus hinaus, der die letzten Tage geprägt hat, müssen wir uns die Frage nach Grundsätzlicherem stellen. Was tun wir im Normalfall für die Werte, die wir jetzt als so hoch und heilig verteidigen wollen? Wie sieht es mit dem Bildungssystem aus? Wie mit unserem Versprechen nach nachhaltiger Entwicklung? Welche Solidarität leben wir tatsächlich mit den Ländern der sogenannten Dritten Welt? Wer profitiert eigentlich vom internationalen Handel? Sind die Medien gut beraten, sensationslüstern jeder Schlagzeile nachzuhetzen oder sollten sie nicht lieber mehr in die Tiefe gehen, Hintergründe vermitteln?, fragt sich La Libre Belgique.
De Wever gießt unnötig gemeinschaftspolitisches Öl ins Feuer
L'Avenir lobt, dass die politischen Parteien aufgehört haben, sich gegenseitig zu zerfleischen. Es ist gut, dass die Demokraten aller Strömungen sich zusammengefunden haben, um eine klare Botschaft im Kampf gegen Hass und Radikalismus zu senden. Ausnahme: die N‑ VA. Bart De Wever hat es bevorzugt, die Schuld auf Brüssel zu schieben. Brüssel sei weit hinter Antwerpen zurück. Damit hat der Präsident der flämischen Nationalisten es vorgezogen, unnötigerweise Öl ins Feuer zu gießen. Das spaltet. Und das brauchen wir gerade gar nicht. Denn unsere Uneinigkeit ist der Nährboden für Terrorismus, glaubt L'Avenir.
Auch De Morgen nimmt sich die N‑ VA vor: Einige Bürgermeister aus den Reihen der N‑ VA haben es zurzeit nicht leicht. Sie müssen einen Spagat schaffen. Auf der einen Seite müssen sie ihre Wähler zufriedenstellen. Die sehen sich durch die Terroranschläge darin bestätigt, dass Moslems ein Problem für uns sind. Auf der anderen Seite sind sie verantwortlich für die Flüchtlinge, die in den Gemeinden angekommen sind. Ein Bürgermeister von der CD&V hat Verständnis dafür gezeigt, dass seine N‑ VA-Kollegen zum Teil markige Sprüche loslassen. Doch ist so etwas wirklich zu akzeptieren? Wer glaubt denn allen Ernstes daran, dass die Leute, die vor IS, Assad oder den Taliban fliehen, zu uns kommen, um hier Anschläge zu planen? Sie sind doch geflohen, um genau diesem Schrecken zu entkommen. Wie furchtbar muss es jetzt für sie sein, zu sehen, dass dieser Schrecken auch bei uns herrscht?, so De Morgen.
Ein diffuses Angstgefühl
De Standaard schreibt zum Angstgefühl, das sich bei uns verbreiten könnte: Diese Angst ist falsch und völlig unbegründet. Wir leben in einer der friedlichsten Epochen in der Geschichte von Europa. Wir haben ein gutes System, um diese Sicherheit zu schützen. Natürlich ist es klar, dass wir unter Schock stehen. Aber wir sollten jetzt versuchen, so normal wie möglich weiterzuleben. Denn sonst wären wir die erste Generation in der Geschichte, die Angst vor etwas hat, was sie selbst noch nie erlebt hat, nämlich Terror, Krieg und Gewalt, meint De Standaard.
Anders dagegen der sehr persönlich gehaltene Kommentar bei La Dernière Heure. Alle sagen uns jetzt: Gebt eurer Angst nicht nach. Verfallt nicht in Panik. Das sind schöne Worte. Aber ich gebe zu: Ich habe heute nicht den Mut, wie sonst am Samstag in Geschäfte zu gehen, ins Kino oder auf ein Konzert. Denn ich habe Angst. Dieses diffuse und nicht zu greifende Gefühl der Unruhe ist ein Ergebnis des Terrors. Dafür sind die Islamisten verantwortlich. Auch das ist eine Form des Dschihadismus: uns Angst machen, schreibt La Dernière Heure.
KW