"Terrorwarnstufe angehoben", titelt Le Soir. "Niveau 3 gilt jetzt für das ganze Land", schreibt auch Het Nieuwsblad. Terrorwarnstufe 3, das bedeutet laut Definition, dass ein Anschlag in Belgien "möglich und wahrscheinlich" ist. Eine direkte Konsequenz steht auf Seite eins von Het Nieuwsblad und La Dernière Heure: "Das Freundschaftsspiel zwischen Belgien und Spanien ist abgesagt". Wie Het Nieuwsblad berichtet, hat die Regierung die Annullierung ausdrücklich angeordnet. Premier Michel habe die Entscheidung dem Nationaltrainer Marc Wilmots persönlich am Telefon mitgeteilt.
Hintergrund der Maßnahme ist eine entsprechende Neubewertung der Sicherheitslage im Land durch den Anti-Terrorstab OCAM. Und das dürfte vor allem auf einen Mann zurückzuführen sein: Salah Abdeslam. Der gilt als einer der Hauptverdächtigen der Anschläge von Paris. Er soll auch vor Ort und an den Attentaten direkt beteiligt gewesen sein. Und er ist weiter flüchtig. Wie Het Nieuwsblad berichtet, soll Abdeslam zuletzt eben am König-Baudouin-Stadion gesehen worden sein. Die Sicherheitsbehörden fürchten jedenfalls, dass der Mann auch in Belgien einen Anschlag verüben könnte.
Brüder Abdeslam standen schon vor Paris auf Terrorliste
Gestern wurde schon fieberhaft nach Salah Abdeslam gefahndet. In Molenbeek, wo er lebte, gab es gestern eine neue Razzia. "Belgien im Zentrum der Hatz", titelt L'Avenir. "Menschenjagd unter Hochspannung", so fasst es L'Echo zusammen. Beide Blätter zeigen Fotos von Spezialeinsatzkräften, die gestern in Molenbeek im Einsatz waren. "Wo ist der Terrorist, der nicht sterben wollte?", fragt sich denn auch Gazet van Antwerpen.
"Auf der Terrorliste und doch freie Hand", so derweil die anklagende Schlagzeile von Het Laatste Nieuws. Salah Abdeslam und auch sein Bruder Brahim, der sich am vergangenen Freitag in Paris in die Luft sprengte, sie beide waren für die Sicherheitsdienste keine Unbekannten. Demnach führte der Anti-Terrorstab OCAM die beiden Männer auf einer Liste potentieller Syrienkämpfer. Brahim, der Bruder von Salah Abdeslam, soll noch im Januar versucht haben, nach Syrien zu gelangen. Die Frage ist also, ob die belgischen Sicherheitsdienste die Anschläge nicht hätten kommen sehen müssen. Das Kontrollorgan der Geheimdienste, das sogenannte Komitee R, soll nun den Fall untersuchen.
In Frankreich jedenfalls zeigt man mit dem Finger auf Belgien. Sogar der französische Staatspräsident François Hollande sagte gestern klipp und klar: "Die Anschläge wurden in Syrien geplant und in Belgien organisiert". Eben dieses Zitat bringen auch Het Belang van Limburg und La Libre Belgique auf Seite eins. "Die Belgier haben ihre Versprechen, die sie nach Charlie Hebdo gegeben haben, nicht gehalten", stellt denn auch De Standaard auf seiner Titelseite fest. Die Regierung hatte nach den Pariser Anschlägen vom 7. Januar 2015 gelobt, in die Sicherheitsdienste zu investieren - das ist offenbar aber nicht passiert.
Belgien wird sich unangenehme Fragen gefallen lassen müssen
Innenminister Jan Jambon hat wohl schon in Paris ordentlich den Kopf gewaschen bekommen, glaubt Gazet van Antwerpen in ihrem Leitartikel. Und das vollkommen zu Recht, zumindest dann, wenn die Angaben des Grünen-Abgeordneten Stefaan Van Hecke stimmen. Der behauptet, dass den belgischen Geheimdiensten vor allem zwei Sorten von Leuten fehlen: Menschen, die Arabisch sprechen, und Informatiker. Da kann man nur hoffen, dass Terrorverdächtige auf Englisch oder Französisch kommunizieren - und zwar per Post. Der "große Chef" des OCAM, André Vandoren, hat offensichtlich dann doch kürzlich alles richtig gemacht: Er trat zurück.
Wie sollen wir das jetzt dem Rest der Welt erklären?, fragt sich De Standaard in seinem Leitartikel. Zum Beispiel auch in Bezug auf Molenbeek. Sagen wir jetzt den Franzosen: Monsieur Le Président, das ist alles nur die Schuld eines inzwischen pensionierten PS- Bürgermeisters in einer Brüsseler Stadtgemeinde? Im Übrigen können die Belgier nur hoffen, dass man im Ausland nicht ein bisschen kritischer nachfragt. Und zwar mit Blick auf die Terrorzelle von Verviers. Wenn sich herausstellt, dass hinter beiden Gruppen derselbe Abdelhamid Abaaoud steckt, dann steht wohl die Frage im Raum, warum man die Verbindung nicht vorher gesehen hat.
Wir wären denn auch gut beraten, jetzt auf die üblichen innenpolitischen Streitereien zu verzichten, mahnt nicht nur De Standaard, sondern auch Le Soir. Etwa im Zusammenhang mit Molenbeek. Die Flamen werfen der Region Brüssel seit Jahren eine verfehlte Politik vor. Sie fordern seit jeher einen harten, repressiven Ansatz. Die frankophonen Brüsseler verweisen ihrerseits reflexartig auf die sozialen Probleme in Molenbeek als Wurzel allen Übels. Und, zwischen Klammern, die Wallonen interessieren sich überhaupt nicht für Brüssel. Jetzt muss ein für alle Mal klar sein: Molenbeek geht uns alle an. Und das Problem ist zu groß, um darüber wieder einen gemeinschaftspolitischen Streit zu führen.
Auch externe Faktoren in Betracht ziehen
L'Echo und De Morgen empfehlen dagegen, auch einmal externe Faktoren in Betracht zu ziehen. Der Einfluss von Ländern wie Saudi Arabien oder der Türkei ist unverkennbar. Beide Staaten sind bekannt für die Verbreitung religiöser Propaganda in Europa. Wer aufräumen will, der sollte auch mal ein ernstes Wörtchen mit angeblichen "strategischen Verbündeten" sprechen.
Hier haben alle Butter auf dem Kopf, meint auch Het Nieuwsblad. Das gilt natürlich für die Bürgermeister von Molenbeek, insbesondere Philippe Moureaux, der das Amt 20 Jahre lang innehatte. "Alles ist die Schuld der Sozis", dieser Refrain allein kann es aber auch nicht sein. Im Zusammenhang mit der Radikalisierungsproblematik, insbesondere in Molenbeek, ist die Verantwortung kollektiv. Und alle Beteiligten sollten in sich gehen und nicht in erster Linie darüber nachdenken, wem sie jetzt die die heiße Kartoffel unterjubeln können.
Roger Pint - Bild: James Arthur Gekiere (belga)