"Paris, 13/11", titelt lapidar Gazet van Antwerpen. Auf der Titelseite sieht man die Zeichnung eines Mädchens, dem die Tränen die Wangen herunterlaufen; das Ganze in den französischen Nationalfarben. Es ist offensichtlich ein Bild, das von einem Unbekannten vor eines der Restaurants gelegt wurde, an dem am Freitag tödliche Schüsse fielen.
"Die Angst regiert", so derweil die Schlagzeile von Het Laatste Nieuws und L'Avenir. "Die Angst regiert", und das nicht nur in Frankreich. "Wir müssen jederzeit mit einem Attentat rechnen", warnte schon Innenminister Jan Jambon. Ein anderes, nicht genanntes Regierungsmitglied gibt in der Zeitung offen zu: "Wir haben Angst vor einem Anschlag".
Der Terror darf uns nicht übermannen, mahnt La Dernière Heure in ihrem Leitartikel. Diesmal hatten es die Terroristen auf unsere Lebensweise abgesehen, die angenehmen Dinge des Lebens, Ausgehen, ein Konzert besuchen, Fußball schauen. Die einzige Möglichkeit, den Attentätern die Stirn zu bieten, ist es, zu leben, weiterzuleben, und das so normal wie eben möglich.
Wir dürfen keine Angst haben, appelliert auch De Morgen. Und wir sollten auch niemandem Angst machen. Keine Angst vor einer Religion, keine Angst vor Flüchtlingen! Allerdings: Wir dürfen auch nicht naiv sein. Wir sollten auch keine Angst haben, die Probleme, insbesondere in Molenbeek, jetzt einmal anders anzupacken, als es bisher der Fall war.
Denn, Stichwort "Molenbeek": Die ersten Ermittlungsergebnisse weisen quasi alle nach Belgien. "Terrorspuren führen nach Belgien", notiert denn auch das GrenzEcho. "Die Pläne für das Massaker wurden in Belgien geschmiedet", so auch die Schlagzeile von Het Belang van Limburg.
Salah Abdeslam - Staatsfeind Nummer Eins
Vor allem ein Mann steht derzeit im Fokus: Salah Abdeslam, 26 Jahre alt, französischer Staatsbürger, wohnhaft in Molenbeek. Er soll eines der Fahrzeuge angemietet haben, das von den Attentätern am Freitag genutzt wurde. Außerdem soll sein Bruder unter den toten Selbstmordattentätern sein. Der Mann ist flüchtig und wird mit internationalem Haftbefehl gesucht. "Salah: Brüsseler Dschihadist und Staatsfeind Nummer Eins", titelt denn auch La Dernière Heure.
Vor allem die Brüsseler Stadtgemeinde Molenbeek ist derzeit Mittelpunkt der Ermittlungen. Im Umfeld von Abdeslam wurde am Wochenende eine ganze Reihe von Razzien durchgeführt. Dabei wurden mindestens sieben Verdächtige festgenommen, unter anderem ein weiterer Bruder des Hauptverdächtigen. "Brüssel war das Rückzugsgebiet der Killer von Paris", titelt denn auch La Libre Belgique. Le Soir nennt die Hauptstadt sogar ein "Dschihadisten-Drehkreuz".
De Standaard sieht seinerseits auch eine "Verbindung zu Verviers": Viel weise darauf hin, dass das Gehirn hinter dem Anschlag Abdelhamid Abaaoud war; der Mann also, der auch schon hinter der Terrorzelle von Verviers steckte. Als die im Januar ausgehoben wurde, flüchtete er nach Syrien. Auch Abaaoud stammt aus Molenbeek.
Molenbeek - "Dschihad-Hauptstadt Europas"
"Niemand wollte offensichtlich kapieren, was sich da in Molenbeek zusammenbraute", beklagt De Morgen auf seiner Titelseite. "Molenbeek ist ein Schnellkochtopf", sagt eine Terrorismus-Expertin in Le Soir. In kaum einem Stadtviertel gibt es so viele Zutaten, die dazu führen können, dass junge Menschen sich radikalisieren. Die allgemeine Perspektivlosigkeit führt dazu, dass viele ein tiefes Ungerechtigkeitsgefühl empfinden. "Molenbeek ist ein idealer Nährboden für religiösen Fanatismus", schlussfolgert die Expertin. Premierminister Michel sprach gestern schon von einem "gigantischen Problem". Innenminister Jambon kündigte vollmundig an, in Molenbeek "persönlich aufräumen zu wollen". Het Laatste Nieuws nennt Molenbeek die "Dschihad-Hauptstadt Europas". Und das, so fügt das Blatt hinzu, "mit freundlichen Grüßen von Philippe Moureaux". Der PS-Politiker war 20 Jahre lang Bürgermeister der Brüsseler Stadtgemeinde, von 1992 bis 2012. "Nur jetzt eben nicht mehr", unterstreicht Moureaux unter anderem in La Libre Belgique. Fast schon zynisch fügt er hinzu: "So lange er Bürgermeister war, sei so etwas nicht passiert".
Dabei ist es doch offensichtlich, dass gewisse Behörden in Belgien auf der ganzen Linie versagt haben, wettert La Libre in ihrem Leitartikel. Es gab keine wirkliche Integrationspolitik. Und das hat die Bildung von Ghettos begünstigt. Das gilt insbesondere für Molenbeek, wo die kommunalen Verantwortungsträger viel zu lange viel zu lax waren. Gerade in dieser Stadtgemeinde hat sich eine wirkliche Parallelgesellschaft entwickelt. Und es ist nur schwer einsehbar, dass ausgerechnet Philippe Moureaux angesichts dieser doch wenig schmeichelhaften Bilanz heute keine Gewissensbisse hat.
Gerade in Bezug auf Molenbeek haben wohl allzu viele Verantwortungsträger viel zu lange den Realitäten nicht ins Auge sehen wollen, meint auch Le Soir. Auf der einen Seite gibt es das Erbe von Moureaux. Ebenso befremdlich war aber die gestrige Aussage der neuen, liberalen Bürgermeisterin Françoise Schepmans. Fast ein Jahr nach Charlie Hebdo erklärte die doch tatsächlich, dass man das Problem wohl "unterschätzt" habe. Die föderalen Stellen haben derweil die kommunalen Behörden fast vollständig im Regen stehen lassen. Es wird Zeit, dass man resolut damit beginnt, die Gebiete, die von Radikalismus und Hoffnungslosigkeit beherrscht werden, zurückzuerobern.
"Aufräumen" wird nicht reichen
Het Belang van Limburg warnt, dass "Aufräumen allein nicht reichen wird". Man muss auch in die Räderwerke greifen, die Menschen ausgrenzen und diskriminieren. Jungen Belgiern mit Migrationshintergrund muss man das Recht geben, zu einem vollwertigen Bestandteil unserer westlichen Gesellschaften zu werden.
Insofern könnten die Anschläge von Paris, die so viel Leid angerichtet haben, auch zu einem Wendepunkt werden, glaubt Gazet van Antwerpen. Spätestens jetzt sieht auch der Letzte die zu lösenden Probleme. Und auch die internationale Gemeinschaft scheint das Problem IS jetzt resolut an der Wurzel packen zu wollen. Vielleicht gibt es doch ein kleines Licht in dieser großen Finsternis.
Roger Pint - Bild: Emmanuel Dunand (afp)