"Unvorsichtig", titelt Le Soir. "Es wird heiß für Galant", so die Schlagzeile von De Morgen. Premierminister Charles Michel musste gestern im Parlament Stellung beziehen im Zusammenhang mit den Vorwürfen gegen die föderale Mobilitätsministerin Jacqueline Galant. Die MR-Politikerin soll ein Anwaltsbüro engagiert haben, ohne diesen Auftrag ordnungsgemäß auszuschreiben. Sie selbst macht ihre Verwaltung dafür verantwortlich. Nach Überzeugung der Opposition beweisen aber Schriftstücke das Gegenteil, nämlich, dass die Verwaltung dem Kabinett der Ministerin die Ausschreibung ausdrücklich empfohlen hat.
Seine Ministerin sei "unvorsichtig" gewesen, erklärte Michel gestern in der Kammer. Der Regierungschef stellt sich also hinter seine Parteikollegin, wobei er zugleich kleinlaut einräumt, dass Galant eben nicht alles richtig gemacht hat. De Morgen findet es seinerseits "außergewöhnlich", dass Galant von ihrem Premier und Parteifreund Charles Michel zurechtgewiesen werden musste.
Galant auf Bewährung
Es gibt vor allem einen Grund, warum Galant noch im Amt ist, analysiert La Libre Belgique: Die flämischen Parteien interessieren sich nicht für die Affäre. Galant ist aber inzwischen sozusagen "auf Bewährung". "Am Ende ist Charles Michel der einzige, der die offensichtlichen Schwächen von Jacqueline Galant noch nicht erkannt hat", zitiert die Zeitung einen nicht genannten Liberalen.
Die Angelegenheit ist damit jedenfalls noch nicht ausgestanden. "Zwischen Galant und dem Chef ihrer eigenen Verwaltung, Laurent Ledoux, ist das Tischtuch zerrissen", bemerkt etwa De Standaard. Weil beide Seiten sich gegenseitig die Schuld zuweisen, ist das Vertrauensverhältnis zerstört. Und so kann auf Dauer niemand funktionieren.
Für Charles Michel war das aber noch nicht alles. Der Regierungschef musste auch noch einer zweiten MR-Ministerin auf die Finger klopfen. "Michel muss der N-VA in der Klimadiskussion Recht geben", titelt De Standaard. Am Wochenende hatten sich der Föderalstaat und die Regionen auf das "innerbelgische" Klimaschutzabkommen verständigt. Darin wird festgelegt, wer wieviel beisteuern muss, damit Belgien seine Klimaschutzziele erreicht. Da gab es nur ein Problem: Die N-VA schoss den Entwurf umgehend ab. Das Abkommen falle zum Nachteil Flanderns aus. Und Premier Michel musste der N-VA jetzt Recht geben, und zwar aus föderaler Sicht. Auch die föderale Energieministerin Marie-Christine Marghem habe ihren Verhandlungsrahmen überschritten, mit anderen Worten: Sie hat Dinge angeboten, die nicht abgesprochen waren.
Michels "Frauengeschichten" enthüllen Achillesferse
Beide Vorfälle, aber insbesondere die Galant-Affäre, zeigen die Achillesferse der Regierung, analysiert De Standaard in seinem Leitartikel. In den letzten Wochen hat sich gezeigt, dass die MR ein Personalproblem hat. Zuvor war ja schon der blasse Haushaltsminister Hervé Jamar ausgetauscht worden, doch auch seine Nachfolgerin Sophie Wilmès machte ja vorgestern schon mit einem krassen Anfängerfehler von sich reden. Es ist also nicht nur so, dass die MR als einzige frankophone Partei in der Regierung politisch wenig Gewicht hat, sie ist auch inhaltlich zu schwach, um in dieser Equipe wirklich Akzente zu setzen.
Le Soir sieht das ähnlich. Jacqueline Galant, Hervé Jamar, Marie-Christine Marghem, Sophie Wilmès: Die frankophonen Liberalen glänzen im Augenblick am ehesten mit ihren Irrungen und Wirrungen. Langsam aber sicher steht das im schrillen Kontrast zum Verhalten der flämischen Regierungsmitglieder. Dabei darf man nicht vergessen, dass die MR die einzige Partei ist, die die frankophonen Interessen auf föderaler Ebene vertritt. Ein glaubwürdiges Gegengewicht sähe anders aus.
Für L'Avenir ist Premierminister Charles Michel nicht ganz unschuldig an dieser Situation. Michel sah sich dazu genötigt, eine Ministerin zu stützen, die öffentlich der Lüge bezichtigt wird. Seine kleinlaute Botschaft lautet im Grunde: Galant hat im guten Glauben gelogen. Und auch die anderen MR-Frauen in der Regierung mussten schon zurückgepfiffen werden. Gibt es noch einen Hahn im liberalen Hühnerstall?, fragt sich L'Avenir.
Gibt es in der Wallonie tatsächlich weniger Sterbehilfe?
La Libre Belgique befasst sich in ihrem Leitartikel mit der jüngsten Entscheidung, einen Euthanasiefall an die Justiz weiterzureichen. Nach Ansicht der zuständigen Prüfungskommission waren nicht alle Kriterien erfüllt, um aktive Sterbehilfe innerhalb des gesetzlich vorgesehen Rahmens vorzunehmen. Der Fall verwirrt mehr, als er beruhigt, meint La Libre. In zwölf Jahren ist es das erste Mal, dass ein Euthanasiefall wegen Unregelmäßigkeiten vor Gericht landet. Andere, seltsame, Feststellung: 80 Prozent der deklarierten Euthanasiefälle kommen aus Flandern. Bedeutet das, dass es in der Wallonie weniger aktive Sterbehilfe gibt? Oder werden diese Fälle einfach nicht gemeldet? Es wird Zeit für eine wirklich eingehende Untersuchung.
Kollektive moralische Panik
Einige Zeitungen kommen zurück auf die jüngsten Entwicklungen in der Flüchtlingskrise. Insbesondere Österreich denkt ja über die Errichtung eines Schutzzauns an der Grenze zu Slowenien nach. Slowenien droht seinerseits als Antwort darauf mit einem Zaun an der kroatischen Grenze. "Neue Grenzen also", beklagt L'Echo resigniert in seinem Leitartikel. Vor allem in den letzten Tagen hat sich gezeigt, wie sehr die Schengenabkommen inzwischen in Gefahr sind. Die EU-Staaten erliegen der Versuchung, den europäischen Gedanken auf dem Altar der tatsächlichen oder vermuteten Fremdenfeindlichkeit innerhalb ihrer öffentlichen Meinung zu opfern.
Was hier aufgeführt wird, ist ein "Theater der Angst", meint De Morgen. Mit Politik hat das alles nichts mehr zu tun. Überall in Europa kann man eine Werteverschiebung erkennen. Die Idee, für alle Flüchtlinge das sichtbare Tragen einer Kennmarke zu verlangen, ist da nur ein Beispiel. Den allgemeinen Zustand könnte man wie folgt zusammenfassen: kollektive moralische Panik.
Roger Pint - Bild: Bruno Fahy/BELGA