"Wir schaffen das!", titelt De Standaard in deutscher Sprache. "Eskalation in Koksijde", so die Schlagzeile von De Morgen.
Vor allem in Flandern ist die Flüchtlingskrise wieder in den Mittelpunkt gerückt. "Verantwortlich" dafür sind zwei Personen. Zunächst die belgische EU-Kommissarin Marianne Thyssen. Die wurde gerade erst auf dem Kongress der Europäischen Volkspartei EVP zur neuen Vizepräsidentin der Europäischen Christdemokraten gewählt. Die EVP stellt ja die größte Fraktion im EU-Parlament. Die Partei ist allerdings tief gespalten: Auf der einen Seite gibt es da den ungarischen Ministerpräsident Viktor Orbán, der die harte Linie gegen Flüchtlinge vertritt, auf der anderen Seite steht die deutsche Kanzlerin Angela Merkel mit ihrer "Willkommenskultur". Marianne Thyssen stellt sich ihrerseits hinter Angela Merkel und sagt eben: "Wir schaffen das!". Dies allerdings unter der Voraussetzung, dass alle europäischen Staaten in der Flüchtlingskrise zusammenarbeiten.
Küsten-Bürgermeister: "Alle Flüchtlinge sollen Abzeichen tragen"
Doch ist man auch in Flandern in dieser Frage hin und her gerissen. Im Fokus steht hier im Moment der Bürgermeister der Küstengemeinde Koksijde, Marc Vanden Bussche. Der führt seit Wochen einen veritablen Kreuzzug gegen ein Flüchtlingsheim, das in seiner Gemeinde eingerichtet wurde. Und dabei hat er inzwischen einige Grenzen überschritten. Het Laatste Nieuws spricht von einem "Gefängnis-Regime". Kurz zusammengefasst: Die Polizei ist dazu angehalten, jeden Tag die Schlafsäle der Flüchtlinge zu durchsuchen. Die Beamten müssen dabei kugelsichere Westen tragen. Beim kleinsten Gesetzesverstoß wird ein Asylbewerber für zwölf Stunden in Polizeigewahrsam genommen. Vanden Bussche schlägt sogar vor, dass alle Flüchtlinge ein deutlich sichtbares Abzeichen tragen müssen.
"Flüchtlinge sind keine Kriminelle", schreibt dazu Het Laatste Nieuws und fasst damit die Meinung einiger Bürgermeisterkollegen zusammen. Das Blatt kann nur feststellen, dass der knallharte Kurs des Bürgermeisters von Koksijde nicht sehr viel Unterstützung findet. Vanden Bussche selbst lässt die Kritik an sich abperlen: "Ich soll ein durchgedrehter Sheriff sein?", fragt der OpenVLD-Politiker in Het Nieuwsblad, "Ich wende doch nur das Gesetz an".
Einige Leitartikler üben dennoch scharfe Kritik an seiner Haltung. Soso, meint Het Belang van Limburg, alle Flüchtlinge sollen jetzt also ein Abzeichen tragen? Da kann man nur hoffen, dass sich Vanden Bussche nicht einen Stern als Motiv ausgesucht hat. Hier werden Flüchtlinge systematisch kriminalisiert. Das kann sich als kontraproduktiv erweisen. Eigentlich will Bürgermeister Vanden Bussche doch nur die Küstentouristen beruhigen, stattdessen suggeriert er aber, dass auf dem Gebiet seiner Gemeinde ein Haufen Krimineller lebt.
Die fremdenfeindlichen Ideen des Marc Vanden Bussche erinnern an die dunkelsten Zeiten der jüngeren europäischen Geschichte, wettert De Morgen. In Koksijde zeigt eine Form von banalem Alltagsfaschismus ihre hässliche Fratze. Hier wird eine repressive Politik propagiert, die Menschen allein aufgrund ihrer Herkunft unter Generalverdacht stellt. Umso befremdlicher, dass sich die OpenVLD nicht klar von Marc Vanden Bussche distanziert.
Die Image-Probleme der Gewerkschaften
Viele Zeitungen beschäftigen sich auch nach wie vor mit den Nachwehen der FGTB-Streikaktion vom vergangenen Montag. Die sozialistische Gewerkschaft steht wegen der Straßenblockaden im Lütticher Raum, aber insbesondere wegen des Tods einer Patientin, mächtig unter Druck. "Die Gewerkschaften haben Probleme damit, ihr Image aufzupolieren", stellt La Libre Belgique auf ihrer Titelseite fest. Le Soir wähnt die FGTB in einer "Phase des Zweifelns". Für beide Blätter ist klar: Spätestens jetzt suchen die Gewerkschaften nach neuen Mitteln und Wegen, um ihre Botschaft noch effizient unters Volk zu bringen. Zielsetzung, wie es La Libre Belgique formuliert: Man will schlagkräftig, aber auch sympathisch sein.
Eine Neuausrichtung ist längst überfällig, meinen La Libre Belgique und Het Laatste Nieuws. Beide Blätter üben außergewöhnlich scharfe Kritik, insbesondere an der FGTB. Die Roten kennen ihre Grenzen nicht, wettert etwa Het Laatste Nieuws. Immer häufiger führt sich die FGTB wie eine Chaotenbande auf, die noch dazu über Narrenfreiheit verfügt. Gewerkschaftsaktionen erinnern inzwischen mehr an Anarchie, meint auch La Libre. Eine wirkliche Strategie ist dabei kaum noch zu erkennen. CSC und CGSLB glänzen ihrerseits durch Verantwortungsbewusstsein. Das muss man hervorheben, um damit zugleich die rückwärtsgewandte FGTB ins Abseits zu stellen.
Der Kuchen wird fairer verteilt, aber kleiner
Viele frankophone Zeitungen beschäftigen sich naturgemäß mit den neuen Steuerregelungen für Wohnkredite. Die Wallonie hat am Donnerstag ihren "Wohnungsscheck" vorgestellt, der den bisherigen Wohnbonus ersetzen soll. Erklärtes Ziel: Die Steuervorteile sollen gezielter auf diejenigen verteilt werden, die eine Unterstützung wirklich nötig haben.
Le Soir ist voll des Lobes. Die Reform ist zwar nicht unbedingt sexy; wichtig ist aber nur, dass sie auf die wirklich Bedürftigen zugeschnitten ist. Die Regionalregierung sollte eigentlich den Schwung nutzen, um noch eine weitere Ungerechtigkeit aus der Welt zu schaffen, nämlich die schreienden Diskriminierungen in puncto Katastereinkommen.
L'Avenir fühlt sich an Robin Hood erinnert. Klar: Niemand kann etwas dagegen haben, wenn die Steuergesetzgebung gerechter wird. Nur lenken die Wallonen damit regelmäßig davon ab, dass es sich dabei unterm Strich um eine Sparmaßnahme handelt. Der Kuchen wird zwar fairer verteilt, aber insgesamt kleiner.
L'Echo sieht das ähnlich. Im Grunde kann man nur feststellen, dass die Wallonie auch nur das macht, was sie der Föderalregierung ständig vorwirft: Auch im Süden des Landes jagt eine Sparmaßnahme die nächste. Der Unterschied liegt allenfalls bei den Begrifflichkeiten: Die Wallonen sprechen von "Haushaltsdisziplin" und beklagen zugleich die "Austerität" des Föderalstaats. Für den Bürger ist das in der Praxis aber Pott wie Deckel.
Roger Pint - Bild: Dirk Waem (belga)