Nahezu alle belgischen Tageszeitungen kommentieren heute den Gesetzesvorschlag der N-VA, das Anrecht auf Kindergeld zu beschränken. Nach den Vorstellungen der flämischen Nationalisten sollen Eltern erst nach vier Jahren Aufenthalt in unserem Land das komplette Kindergeld erhalten.
Seitdem N‑ VA-Chef Bart De Wever Ende August ein Sonderstatut für Flüchtlinge forderte, vergeht nicht eine Woche, ohne dass er oder Mitglieder seiner Partei eine neue Idee lancieren, stellt Le Soir fest. Dass diese Ideen und Vorschläge sowohl internationalen Konventionen, dem Regierungsabkommen, den Zuständigkeitsbereichen, den Zahlen, als auch den Werten unserer Sozialen Sicherheit und damit unserer Gesellschaft widersprechen, den flämischen Nationalisten ist das egal. Hauptsache, das Wahlziel wird erreicht. Den Belgiern soll suggeriert werden, dass ihnen die Flüchtlinge teuer zu stehen kommen. Das Misstrauen gegenüber diesen Menschen soll genährt und das Bild bestätigt werden: "Liebe Leute, habt keine Angst, die N‑ VA wacht über euch."
Die Partei hat die Rote Linie der Fremdenfeindlichkeit überschritten. Beweis: Die MR, bislang sehr vorsichtig in ihrer Kritik am Regierungspartner, reagierte schnell und heftig. Der Vorschlag sei diskriminierend und stigmatisierend. Die Art und Weise der N‑ VA verwundert. Indem sie im Alleingang den Gesetzesvorschlag im föderalen Parlament hinterlegte, zwingt sie jetzt die Regierungsparteien, sich dafür oder dagegen zu entscheiden. Damit übernimmt die N‑ VA keine Verantwortung, sondern hält jeden und die Demokratie zum Narren, meint Le Soir.
N‑ VA: schlau oder perfide?
De Morgen analysiert: Diese Ideen zeigen, wie wichtig Grundrechte sind. Und wie glücklich wir uns schätzen dürfen, dass es ein paar Riegel gibt, die verhindern, dass Politiker das Grundgesetz nach Belieben beschneiden können. Gerade, weil diese Ideen nicht durchführbar sind, sind sie attraktiv für die Partei. Sie bieten der N‑ VA die Chance, sich selbst freiwillig zu isolieren. Praktische Konsequenzen gibt es nicht. Die Partei muss niemals nach einer demokratischen Mehrheit für ihre diskriminierenden Ideen suchen. Das kann man schlau nennen, wir nennen es perfide, so De Morgen.
Für De Standaard ist die Diskussion ein Nebenschauplatz. Das Fundament unserer Sozialen Sicherheit ist solide genug für eine Debatte darüber, wer Zugang erhält, und um die geringen finanziellen Auswirkungen der Asylkrise zu überleben, meint De Standaard.
Das einzige Verdienst dieses Vorschlags ist, dass er uns zwingt, darüber nachzudenken, wie all die neuen Bewohner Belgiens integriert werden können, meint Gazet van Antwerpen. Es ist naiv, wenn wir glauben, dass wir zehntausende Menschen auffangen können, ohne dass es etwas kostet. Es ist genauso naiv zu denken, dass die Mehrheit der Belgier bereit ist, für die Integration von Flüchtlingen zu bezahlen. Wenn dieser Zustrom von Asylsuchenden anhält, sind Regeln nötig. Vermutlich. Sicher wissen wir es nicht. Und bis dahin ist es unangebracht, über Regeln nachzudenken, die die Schwächsten unter uns treffen, meint Gazet van Antwerpen.
Jamar geht, Wilmès kommt
La Libre Belgique zeigt auf seiner Titelseite die neue Haushaltsministerin Sophie Wilmès. Die 40‑ jährige MR‑ Politikerin ersetzt Hervé Jamar, der Provinzgouverneur von Lüttich wird. Eine weise Entscheidung, findet die Zeitung. Von Anfang an hatte die Haushaltsführung Schwächen. Mehrere Fehler wurden begangen. Hervé Jamar hat einen Teil der Probleme gelöst und viel gearbeitet, um den Anforderungen gerecht zu werden. Vergeblich. Klar denkend, mit einer in der Politik seltenen Demut, hat er sich für eine besser passende Funktion empfohlen. Das ist eine Form der Courage, die man anerkennen muss.
Einige seiner Kollegen werden seinen Abschied aus der Regierung mit einer gewissen Erleichterung aufnehmen. Die Berufung von Sophie Wilmès, Schöffin der flämischen Randgemeinde Sint-Genesius-Rode, ist ein interessanter symbolischer Akt der frankophonen MR. Damit zeigt sie, dass sie die Brüsseler Randgemeinden nicht aufgibt, analysiert La Libre Belgique.
L'Avenir bedauert den Weggang Jamars. Eine Regierung kurz vor Fertigstellung des Haushalts zu verlassen, ist nicht sehr seriös. Jamar, der Wallone, war auch eines der wenigen Bindeglieder mit dem südlichen Landesteil. Ein schlechtes Signal, gerade weil der Dialog zwischen Föderalregierung und Wallonie schon von Beginn an schwierig ist, findet L'Avenir.
Uneinigkeit über neue belgische Kampfflugzeuge
De Morgen berichtet von den Einkaufsplänen der Regierung in Sachen Kampfflugzeuge. Die veralteten F‑ 16 müssen ersetzt werden. In wenigen Jahren werden die ersten in den Ruhestand geschickt. Über das Modell und die Anzahl sind sich die Regierungsparteien noch lange nicht einig. Die N‑ VA möchte 44 neue F‑ 35 des amerikanischen Unternehmens Lockheed Martin kaufen. Die MR bevorzugt die französischen Dassault Rafale, möchte aber einen Teil gebrauchter F‑ 16 oder F‑ 18 erwerben. Ihre flämischen Kollegen von der OpenVLD wollen auf jeden Fall nur neue Maschinen, über den Typ ist man sich noch nicht im Klaren. Die CD&V hat noch gar keinen Plan, sie will aber auf jeden Fall, dass damit Arbeitsplätze in Belgien geschaffen werden.
Volker Krings