Die Titelseiten beschäftigen sich heute mit dem überraschend deutlichen Wahlsieg von Alexis Tsipras' Syriza-Partei gestern in Griechenland. Aber auch der am Mittwoch stattfindende EU-Flüchtlingssondergipfel wirft seinen Schatten voraus. Und dann ist da noch ein massiver Popularitätsschub für einen N-VA-Politiker.
"Tsipras wiederholt sein Kunststück", heißt es bei De Morgen. "Griechen haben Tsipras alles vergeben", so Het Laatste Nieuws. "Tsipras gewinnt seine Wette", schreibt Le Soir auf Seite eins.
Viele belgische Tageszeitungen zeigen auf ihren Titelseiten einen strahlenden Alexis Tsipras. Entgegen allen Prognosen hat die linke Syriza die Parlamentswahlen deutlich gewonnen. 35,5 Prozent der Wähler stimmten für Syriza und den bisherigen Premierminister Alexis Tsipras. Damit wiederholte er nahezu sein Ergebnis vom Januar. Umfragen hatten vor der Wahl ein Kopf-an-Kopf-Rennen mit der konservativen Nea Dimokratia vorhergesagt. Sie landete aber 7,5 Prozentpunkte hinter den Linken. Bislang deutet alles auf eine Weiterführung der Koalition der Syriza mit der rechtspopulistischen Anel-Partei hin. Die Wahlbeteiligung ging zurück.
"Eigene" griechische Politik ist relativ
Dazu schreibt De Standaard: Wunder wird Tsipras nicht mehr vollbringen können. Seit der Schuldeneinigung vom 12. Juli ist eine eigene Politik relativ. Dass Europa lieber einen Sieg der Konservativen gesehen hätte, ist nicht einmal sicher. Im Gegenteil: Die alte Elite, die Griechenland hat entgleisen lassen, kommt nicht mehr zurück. Mit Alexis Tsipras ist die Chance außerdem größer, dass Griechenland Ernst macht mit der Betrugsbekämpfung und große Vermögen mitbezahlen lässt.
Tsipras kann eine Schuldenerleichterung zwar wieder nach oben auf die Agenda setzen, der Ausverkauf von Staatseigentum in Höhe von 50 Milliarden Euro bleibt jedoch in vollem Gange. Und die Mehrwertsteuererhöhungen und Rentenkürzungen werden wohl leichter durchgehen. Ja, die Europäische Union hat sich durch die Griechenlandkrise durchgeschlagen. Und sich auch, im Vorbeigehen, gestärkt. Die politische Desillusionierung ist aber dementsprechend, so De Standaard.
Am Mittwoch muss die Spaltung der EU verhindert werden
Einige Tageszeitungen beschäftigen sich in ihren Leitartikeln mit den Entwicklungen der Flüchtlingskrise.
So schreibt De Morgen: Die Flüchtlingskrise hat am vergangenen Wochenende einen beschämenden Tiefpunkt erreicht. EU- Mitgliedsstaaten trieben Tausende umherirrende Asylsuchende über ihre jeweiligen Grenzen. Die Regierungen beschuldigten sich gegenseitig, internationales Recht zu missachten. Aber keine unter ihnen respektierte das Asylrecht der Flüchtenden. Auf dem Sondergipfel am kommenden Mittwoch müssen die europäischen Regierungschefs eine Spaltung verhindern, die das ganze europäische Projekt in Frage stellen könnte.
Einige europäische Mitgliedsstaaten, die seit 2004 der EU beigetreten sind, versuchen mit ihrer Igel-Stellung in dieser Flüchtlingskrise den Beitrittskriterien ein Schnippchen zu schlagen. Darin gelobten sie, die europäische Solidarität, Menschenrechte und die demokratischen Prinzipien zu respektieren. Deshalb ist die Drohung der deutschen Regierung, diese Mitgliedsstaaten finanziell zu bestrafen, verständlich. Ein erheblicher Teil der Milliarden Euros an Subsidien dient der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit, nicht dazu, gegeneinander zu arbeiten, stellt De Morgen fest.
Typisch belgische Diskussion auf dem Rücken der Flüchtlinge
Gazet van Antwerpen nimmt sich die politische Diskussion zur Brust. Die Asylsuchenden strömen nach Europa und keine einzige Regierung scheint zu wissen, wie man das Problem anpacken könnte. Die erschreckenden Bilder aus Kroatien und Ungarn gleichen eher afrikanischen Zuständen als europäischen. Das Gekabbel um die Vorgehensweise ist dann aber wieder 100 Prozent europäisch. Und in Brüssel dann auch 100 Prozent belgisch.
Vor zwei Wochen waren sich alle einig: Das Zeltlager mitten im Zentrum der europäischen Hauptstadt ist menschenunwürdig. Die Zusammenarbeit zwischen der Brüsseler und der Föderalregierung, dem Bürgerforum, das das Zeltlager betreibt und den Hilfsorganisationen, hinkt. Auf dem Rücken der Flüchtlinge wird eine typisch belgische Diskussion geführt: Links gegen Rechts, Flandern gegen Brüssel, N- VA gegen PS. Der Schwarze Peter wird sich gegenseitig zugeschoben und die Zelte in den Parks bleiben stehen. Ein Trauerspiel angesichts der enormen Probleme, mit denen wir konfrontiert sind, so Gazet van Antwerpen.
Theo Francken Superstar?
La Libre Belgique berichtet über den unaufhaltsamen Aufstieg des Theo Francken. Laut dem aktuellen Politbarometer der Zeitung reitet der N- VA-Staatssekretär für Asyl und Migration auf einer Welle der Popularität. Im flämischen Landesteil ist er mittlerweile der viertbeliebteste Politiker. Doch auch in der Wallonie hat er kräftig zugelegt. Die Zeitung sieht den Grund vor allem in der ständigen Präsenz Theo Franckens in der Öffentlichkeit. Ob seine übertriebenen Ideen in Sachen Flüchtlinge von einer Mehrheit der Belgier geteilt werden, muss nuanciert betrachtet werden.
Einige Politiker interessieren sich überhaupt nicht für diese Art Tabellen. Andere hingegen arbeiten mit der Präzision eines Uhrwerks, wenn die Umfragen stattfinden. Sie geben sich dann besonders große Mühe, in den Zeitungen, Radios und im Fernsehen präsent zu sein und nutzen jede Gelegenheit, ihre Ideen vorzustellen. Und sich, so hoffen sie, beliebt zu machen. Im Endeffekt messen diese Art Umfragen dann auch viel mehr den Bekanntheitsgrad als die tatsächliche Beliebtheit. Ideal wäre es, sowohl das eine als auch das andere zu kennen, wünscht sich La Libre Belgique.
Volker Krings - Foto: Angelos Tzortzinis (afp)