"Viele Belgier setzen sich für Flüchtlinge ein", titelt La Dernière Heure. "Es ist unsere historische Verantwortung, die Menschen aufzunehmen", meint La Libre Belgique auf Seite eins. "Asylkrise spaltet die Regierung", schreibt unterdessen Het Belang van Limburg.
EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker wird heute im Europaparlament seine Vorschläge zur Flüchtlingspolitik vorstellen. Demnach sollen 120.000 Asylbewerber aus Italien, Griechenland und Ungarn auf die anderen EU-Staaten umverteilt werden. Die Kommission will zudem Migranten, die keinen Anspruch auf Asyl haben, leichter abschieben können, wie De Standaard berichtet. Juncker plant eine EU-weite Liste sicherer Herkunftsländer. Zu ihnen soll neben den Balkanstaaten auch die Türkei gehören.
"Unsere Pflicht, die Menschen aufzunehmen"
La Dernière Heure stellt zahlreiche Bürger aus ganz Belgien vor, die seit Tagen Flüchtlingen helfen und sie mit Nahrung, Kleidung und Ähnlichem versorgen. Für La Libre Belgique ist es unsere Pflicht, die Tausenden Menschen aufzunehmen, die auf der Flucht sind vor Diktatoren und islamistischer Gewalt. Erstens, weil die Genfer Flüchtlingskonvention, die auch Belgien unterschrieben hat, das vorsieht. Zweitens, weil der Flüchtlingsstrom auch eine Folge der westlichen Politik in Nordafrika und im Mittleren Osten ist.
Zwar sind einige Diktatoren geschwächt oder gestürzt worden, aber man hat es versäumt, für einen Übergang zu Demokratie zu sorgen. Die Terrororganisation "Islamischer Staat" hat das Chaos ausgenutzt und das Machtvakuum vielerorts gefüllt. Drittens, so La Libre Belgique, können die Flüchtlinge auch eine Chance für unsere alternden Gesellschaften in Europa darstellen - wenn wir sie integrieren und wenn sie unsere Werte und Vorstellungen respektieren.
Wollen wir Merkels oder Orbans Europa?
De Standaard meint: Die Flüchtlingskrise ist kein Schwarz-oder-Weiß-Szenario und lässt sich nicht mit der Formel "Tür auf" oder "Tür zu" lösen. Trotzdem werden wir uns entscheiden müssen, ob wir das Europa von Angela Merkel wollen, die sich für die Einwanderer einsetzt, oder das Europa von Viktor Orban, der die Grenzen der Union dicht machen will. De Morgen lobt in diesem Zusammenhang die deutsche Bundeskanzlerin. Sie weiß, dass sie in der Flüchtlingsfrage längst nicht jeden Wähler hinter sich hat. Merkel nutzt aber ihr Ansehen, um Deutschland diesmal auf die richtige Seite der Geschichte zu stellen.
Schwere Zeiten für die N-VA
Solch eine deutliche Haltung vermisst die Zeitung hingegen bei Staatssekretär Theo Francken. Er hatte gestern erneut für eine Polemik gesorgt. Nachdem nur wenige Asylbewerber die neue Nacht-Notunterkunft am Brüsseler Nordbahnhof genutzt hatten, reagierte der N-VA-Politiker spitz mit der Frage: "Soll ich ihnen etwa ein Hotel anbieten?" Die Taktik von Francken, De Wever und Co. ist offensichtlich, so De Morgen: Sie wollen ihre Wähler am rechten Rand nicht verlieren.
Wir können uns zu Recht über die ungarische Regierung oder die baltischen Staaten aufregen, die keine Flüchtlinge aufnehmen wollen, aber genauso gut über Politiker hierzulande, in Frankreich und den Niederlanden, die mit populistischen Sprüchen gegen die Migranten Stimmung machen. La Dernière Heure spricht in Sachen Staatssekretär Francken von einer Fehlbesetzung.
Gazet van Antwerpen bemerkt: Für die N-VA sind schwere Zeiten angebrochen. Ein Teil der Flämischen Bewegung will aus der rechten Ecke raus. Und sogar parteiintern sorgt das Thema Flüchtlinge für Wirbel: Der Vorsitzende des flämischen Parlaments, Jan Peumans, hat seine N-VA-Parteikollegen dazu aufgerufen, "den Mund zu halten". Undifferenzierte Aussagen würden mehr Schaden als Nutzen bringen, so Peumans in Het Nieuwsblad. Le Soir fragt in diesem Zusammenhang: Wie lange will Premierminister Charles Michel dem Treiben seiner N-VA-Minister noch zusehen?
Steuerreformpläne für die Hauptstadtregion
L'Echo befasst sich mit den Plänen einer umfassenden Steuerreform in der Region Brüssel. Der regionale Finanzminister Guy Vanhengel (Open VLD) will den sogenannten Wohnbonus, also die steuerliche Absetzbarkeit von Hypothekendarlehen, abschaffen. Im Gegenzug sollen die Eintragungsgebühren gesenkt werden. Außerdem soll die Erbschaftssteuer in der Hauptstadtregion reformiert werden. Demnach sollen Freunde und Verwandte gleichgestellt werden. Bislang zahlen Familienangehörige bis zu 30 Prozent Steuern für Erbschaften, Bekannte dagegen bis zu 80 Prozent.
Onkelinx will Senatorenposten verlosen lassen
In Le Soir regt Oppositionsführerin Laurette Onkelinx (PS) eine Modernisierung des Senats an. Ihrer Ansicht nach soll die Hälfte der Senatoren künftig ausgelost werden - und zwar unter der "Normalbevölkerung". Im Klartext: Gewöhnliche Bürger sollen Seite an Seite mit Berufspolitikern im Senat tagen. Onkelinx will dadurch mehr Bürgerbeteiligung erreichen und die Politik wieder attraktiver machen.
akn - Bild: Thierry Roge (belga)