"Vom Bauernprotest zum Bauernkrieg", schreibt Gazet van Antwerpen. "Bauern protestieren, Europa stellt sich taub", so De Standaard. "Große Mobilisierung, magere Ernte", titelt L'Avenir. Alle belgischen Tageszeitungen kommen heute auf die gestrige Protestaktion der Landwirte am Schuman-Platz in Brüssel zurück. Nachdem die Proteste zwar laut, aber recht friedlich begonnen hatten, kam es dann später doch noch zu Ausschreitungen. Mehrere Polizisten wurden verletzt.
500 Millionen Euro Soforthilfe, aber keine strukturellen Lösungen
Gazet van Antwerpen meint: Was befürchtet wurde, ist passiert. Einige wenig Hitzköpfe haben das Ganze ausarten lassen. Mit allem, was dazugehört: brennende Strohballen, schwerbewaffnete Polizei, Steinewerfer, Wasserwerfer und Tränengas, Schaden überall. Mit solch einem Schauspiel können die Bauern vielleicht Europas Minister unter Druck setzen. Die öffentliche Meinung haben sie damit sicher nicht auf ihre Seite gezogen, geschweige denn, für ihre Probleme sensibilisiert. Und was haben sie erreicht? 500 Millionen Euro Soforthilfe, aber keine strukturellen Lösungen.
Es ist Zeit, grundsätzlich über eine völlig andere Landwirtschaft nachzudenken. Warum müssen unsere Bauern so viel produzieren und exportieren? Warum gibt es in unserem Land so wenig Bio-Betriebe, und in Österreich so viele? Gibt es für Qualität und Vielfalt keine Zukunft? Und ist der Konsument letztendlich bereit, dafür auch mehr zu zahlen? Langfristig ist die belgische Landwirtschaft besser dran mit der Unterstützung der Verbraucher, als mit der von den EU-Landwirtschaftsministern, meint Gazet van Antwerpen.
L'Avenir kommentiert: Die 500 Millionen Euro sind bestenfalls eine symbolische Geste der EU. Ein Sicherheitsnetz, um die härtesten Tiefschläge abzufedern. Es gibt vorerst keinen strukturellen Wandel, um den Markt zu verändern. Irgendwo auf der Welt wird es immer jemanden geben, der Milch oder Fleisch billiger produzieren kann. In einigen Monaten oder Jahren werden in Belgien hunderte wenn nicht tausende Landwirte verschwunden sein. Die Übriggebliebenen werden gezwungen sein, 300 Kühe anstatt 150 oder 200 zu halten, um angesichts der Preise überhaupt überleben zu können. Das Schicksal der Landwirtschaft ist vergleichbar mit dem anderer Industriebranchen, die mit der Globalisierung der letzten Jahrzehnte verschwunden sind, befürchtet L'Avenir.
Vergleich mit dem Automobilsektor
Ähnlich sieht es auch Het Belang van Limburg: Als die europäische Autoindustrie mit Überproduktion zu tun hatte, wurden die Fabriken geschlossen. So wie Ford Genk. Doch jetzt ist Ford Europa wieder gesund. Und was im Automobilsektor möglich ist, kann auch im Prinzip in der Landwirtschaft passieren. Vor allem, wenn die Milchkrise weiter andauert. Bauern werden pleitegehen, die Produktion wird automatisch verringert und die überlebenden Bauern werden mehr Geld für ihre Milch bekommen. Doch das kann nicht das Ziel sein. Was heute zu viel ist, ist morgen vielleicht zu wenig. Landwirtschaft ist keine exakte Wissenschaft. Vor allem, weil das Wetter einen Einfluss hat. Zu warm oder zu kalt, zu trocken oder zu nass beeinflussen Produktion und Preis. Ohne Auto ist schwer, aber möglich. Ohne Essen geht's nicht, stellt Het Belang van Limburg fest.
Europas Grundübel ist die fehlende Solidarität
Für Le Soir ist die Landwirtschaftskrise Zeichen eines Grundübels in Europa: die fehlende Solidarität. In der Flüchtlings-, der Griechenland- und auch in der Landwirtschaftskrise scheint es den Mitgliedsstaaten nicht möglich zu sein, ein kleines bisschen ihrer Souveränität zu Gunsten einer Solidarität abzugeben. In Europa werden Milchquoten genauso behandelt wie Flüchtlingsquoten. Kurzsichtig mit dem Blick auf Sofortmaßnahmen. Kein Vorschlag, eine grundlegende Debatte zur Zukunft der europäischen Landwirtschaft anzustoßen, so Le Soir.
Kaum noch Visionen in Europa
Auch die Wirtschaftszeitung L'Echo vergleicht die verschiedenen aktuellen Krisen und wünscht sich dringend ein anderes Europa: Was haben ein französischer Milchbauer, ein griechischer Rentner, ein ukrainischer Minenarbeiter und ein syrischer Flüchtling gemeinsam, fragt L'Echo? Sie alle stehen im Mittelpunkt der großen europäischen Krisen 2015. Und sie alle haben mit einem gespaltenen Europa zu tun. Bei jeder dieser Krisen wurde die fehlende Solidarität unter den so genannten Partnern deutlich. Ja, Europa entwickelt sich nur in kleinen Schritten. Hier ein fauler Kompromiss, dort der kleinste gemeinsame Nenner. Immerhin. Doch diesem Europa fehlt es an Sauerstoff. Es hat kaum noch Visionen, keine Ambitionen und keine großen Projekte mehr, analysiert L'Echo.
VRT muss 300 Arbeitsplätze abbauen
Die flämischen Tageszeitungen berichten über die Sparpläne beim öffentlich-rechtlichen Radio- und Fernsehsender VRT. Dort sollen in den kommenden Jahren fast 300 Arbeitsplätze abgebaut werden. Grund sind Sparmaßnahmen der flämischen Regierung. Ab 2020 soll die VRT rund 30 Millionen Euro weniger Dotation erhalten. Die Direktion hat jetzt einen Übergangsplan ausgearbeitet. Vor allem beim Empfang, Catering und Sicherheit sollen Stellen abgebaut werden. Doch auch das Programm von Radio und Fernsehen wird beschnitten. Weniger Eigenproduktionen, mehr Auslagerung, weniger Sendezeit, mehr Überlappungen zwischen den einzelnen Sendern und Einsparungen im Sportprogramm.
Volker Krings - Bild: Eric Lalmand (belga)