"Belgien muss 4.600 zusätzliche Flüchtlinge auffangen", titelt Gazet van Antwerpen. EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker will am Mittwoch einen Plan vorstellen, wie die Flüchtlinge aus Syrien, Eritrea und Afghanistan auf die europäischen Länder verpflichtend verteilt werden sollen. Den größten Teil der 120.000 Asylsuchenden soll Deutschland auffangen. Belgien müsse demnach rund 4.600 zusätzliche Flüchtlinge aufnehmen.
Dazu schreibt Het Belang van Limburg: Als Juncker vor kurzem einen Plan vorlegte, 40.000 Asylbewerber zu verteilen, wollten die Mitgliedsstaaten nichts von einer Verpflichtung wissen. Wir dürfen also gespannt sein, was der ungarische Premier Viktor Orban, der gegen verpflichtende Quoten ist, zum neuen Juncker-Plan sagt. Die Zeitung findet, innerhalb der EU muss wirtschaftliche Solidarität an Asylsolidarität gekoppelt werden. Länder, die dazu ihren Teil nicht beitragen, sollen auch nicht um wirtschaftliche Unterstützung bitten dürfen.
Schon genug Zeit verloren gegangen
Gazet van Antwerpen findet es beeindruckend, wie Österreich und Deutschland am Wochenende die Aufnahme tausender Flüchtlinge organisiert haben. Die Menschen wurden herzlich willkommen geheißen. Wir können jetzt nur hoffen, so die Zeitung, dass die meisten europäischen Regierungschefs einsehen, dass sie das Problem nicht vor sich herschieben können. Die Flüchtlinge, die jetzt in Europa sind, müssen auf humane Weise aufgefangen werden. Das kann nur funktionieren, wenn alle Länder mitarbeiten. Noch wochenlang darüber zu palavern, welches Land wie viele Asylsuchende aufnehmen muss, sollten die europäischen Politiker besser in Zukunft vermeiden. Wie kann der Flüchtlingsstrom gestoppt werden? Und wie gehen sie an die Ursache des Konflikts im Mittleren Osten heran? Was tun sie gegen die Schleuser? Es gibt noch viel zu tun, und je schneller sie die Arbeit beginnen, umso größer ist die Chance, den Flüchtlingsstrom unter Kontrolle zu bekommen. Es ist schon genug Zeit verloren gegangen, meint Gazet van Antwerpen.
Michel bekräftigt Werte und Prinzipien der Regierung
Le Soir kommentiert die Aussagen von Premierminister Charles Michel zur Flüchtlingskrise. Bei einer Parteiveranstaltung seiner MR hatte er sich klar und deutlich gegen Rassismus und Fremdenhass gestellt. Dazu die Zeitung: Wir haben lange auf eine klare Vision der Regierung in der Flüchtlingskrise gewartet. Seit dem Wochenende ist sie da. Premier Michel hat die Werte und Prinzipien der Regierung bekräftigt und lässt keinen Raum für weitere Interpretationen. Michel will alles dafür tun, um das rassistische und fremdenfeindliche Gift einzudämmen. Er prangert die Unverantwortlichkeit einiger, auch europäischer Vorschläge an. Mit der Ablehnung eines Sonderstatus für Flüchtlinge geht der Premierminister auch auf Konfrontationskurs mit der N-VA und deren Chef Bart De Wever. Die Wahrheit zu sagen und dabei auch nicht zu verschweigen, dass es in den kommenden Monaten noch schwieriger wird, ist derzeit unumgänglich, so Le Soir.
De Standaard findet: Charles Michel und auch Flanderns Ministerpräsident Geert Bourgeois verdienen Respekt. Die Sachlichkeit hat jetzt Vorrang. Der Premierminister punktet, indem er endlich den Flüchtlingsauffang am Brüsseler Nordbahnhof anpacken will und die Begrenzung der Anträge pro Tag in Frage stellt. Der flämische Ministerpräsident sticht hervor, indem er sich bedingungslos an eine elementare flämische Pflicht hält: die optimale Integration tausender Asylsuchender. Das schafft mehr Ordnung, als das populistische Gejammer über Rechte und Pflichten, so De Standaard.
Auch Het Nieuwsblad lobt die Rolle des N-VA-Manns Bourgeois. Die öffentlichen Reaktionen und Meinungen zur Flüchtlingskrise sind emotional gesteuert. Die einzige rationale Stimme ist die des flämischen Ministerpräsidenten. Er stellt klar, das Flandern bereit ist, alle europäischen Verpflichtungen und die Bestimmungen der Genfer Konvention zu erfüllen. Verpflichtungen, die in den vergangenen Tagen, mit den Ideen einer Auflösung des Schengen-Abkommens oder der Einführung eines B-Statuts für Flüchtlinge in Zweifel gezogen wurden. Entweder wissen manche Politiker nicht, was sie sagen, oder sie verbiegen die Wahrheit, um ihrer Anhängerschaft einen Gefallen zu tun. Die Frage ist, was schlimmer ist, fragt sich Het Nieuwsblad.
Fehlende Vision in der Agrarpolitik
Einige Zeitungen beschäftigen sich mit der heutigen Protestaktion der Landwirte in Brüssel. Anlässlich des Sondergipfels der EU-Landwirtschaftsminister wollen tausende Bauern ihrem Ärger Luft verschaffen.
Dazu meint La Libre Belgique: Seit mehreren Jahren schleppt sich die europäische Landwirtschaft von Krise zu Krise. Es ist jedes Mal das gleiche Szenario. Auf die Proteste der Landwirte folgt die Freigabe von Soforthilfen, um die Löcher vorübergehend zu stopfen. Eine globale Antwort auf die Schwachstellen der Agrarpolitik gibt es nicht, konstatiert La Libre Belgique.
Auch L'Avenir kritisiert eine fehlende Vision in der Agrarpolitik: Über die Milch muss auch unsere Produktions- und Konsumgesellschaft in Frage gestellt werden. Der Unmut der Landwirte ist nicht nur der Hilfeschrei eines Sektors zwischen Wut und Zukunftsangst. Er reflektiert auch eine Gesellschaft, die gezwungen ist, sich neu zu erfinden. Der Milchsektor leidet seit Jahren an mangelnder politischer Vision und einer Gesellschaft, die auf Qualität anstatt Quantität setzt.
Volker Krings