"Merkel ruft EU wieder zur Ordnung", heißt es bei De Morgen auf Seite eins. "Ost-Europa gerät mit Merkel aneinander", steht bei De Standaard. Merkel ist nämlich das europäische Hickhack um die Verteilung der Flüchtlinge satt. Ab Dienstag werden die Flüchtlinge, die in Griechenland ankommen, nach einem bereits im Juli vereinbarten Schlüssel verteilt. Und trotz der Vereinbarung sind es einige osteuropäische Staaten, die sich nicht daran halten wollen. Ungarn, Tschechien, Slowakei, Polen und die baltischen Staaten tun alles, um ihre Grenzen dicht zu halten. Und damit ist die deutsche Bundeskanzlerin nicht einverstanden. Während einer Pressekonferenz in Berlin drohte sie mit dem Ende des Schengen-Abkommens, des freien Personenverkehrs, also dessen, was die Basis, das Grundverständnis der Europäischen Union ausmacht. Sie stellt Schengen zwar nicht in Frage, appelliert aber an die gegenseitige Solidarität.
Merkel wirft politisches Kapital in die Waagschale
Dazu meint De Standaard: Merkel wirft ihr beeindruckendes politisches Kapital für eine gewagte Strategie in die Waagschale. Anstatt darauf zu hoffen, dass nach dem Sommer der Druck an den Grenzen abnimmt, gab die deutsche Regierung bekannt, dass sie in diesem Jahr 800.000 Asylbewerber erwartet. Das wäre das Vierfache des vergangenen Jahres. Sie fügte hinzu, dass die Krise wohl noch lange dauern wird und ließ keinen Zweifel daran, dass Deutschland mit seiner robusten Wirtschaft bereit ist, dem Problem die Stirn zu bieten. Merkel-Deutschland ist sich seines historischen Erbes und seiner Verantwortung für Europa bewusst. Seine Antwort auf die existentiellen Probleme ist jedes Mal dieselbe: Solidarität ist ein fundamentaler europäischer Wert; aber Regeln bleiben Regeln, meint De Standaard.
Le Soir geht sogar noch einen Schritt weiter. Mit ihren Worten und Taten profiliert sich die deutsche Kanzlerin als eine der großen Politikerinnen, die ihrer schweren Verantwortung gerecht werden. Und sie setzt Menschlichkeit, Demokratie und Vernunft an oberster Stelle. Deutschland, als tonangebendes Land in der EU, zwingt Europa, nachzudenken und zu verhindern, in Extremismus zu verfallen, lobt Le Soir.
Rutten wirft Gleichheitsprinzip in den Mülleimer
De Morgen beschäftigt sich in seinem Kommentar mit der OpenVLD-Chefin Gwendolyn Rutten. Die hatte im flämischen Radio auf das neue dänische Einwanderungsgesetz verwiesen. In dem Land erhalten Flüchtlinge einen finanziellen Bonus, wenn sie den Sprachtest bestehen. Um Anrecht auf Kindergeld zu erhalten, müssen Flüchtlinge mehrere Jahre in Dänemark gelebt haben. Rutten findet, dass man über solche Ideen durchaus nachdenken kann.
Dazu meint die Zeitung: Das Prinzip der Gleichheit ist keine Erfindung weltfremder, linker Spinner, sondern seit mehr als zwei Jahrhunderten das A und O, Dreh- und Angelpunkt jedes liberal-demokratischen Staates. Zumindest bis gestern. Da warf die Vorsitzende der liberalen Partei dieses Prinzip in den Mülleimer. Die Zeitung kann sich nicht vorstellen, dass alle Liberalen den Standpunkt ihrer Vorsitzenden teilen. Anderenfalls habe der flämische Liberalismus ein großes Problem, so De Morgen.
Het Laatste Nieuws kommt auf das Bekenntnis von CD&V-Chef Wouter Beke zum Tax-Shift zurück. Nach wochenlangem Gezeter über die vereinbarte Steuerverlagerung innerhalb der flämischen Christdemokraten schlug Beke am Montag auf den Tisch. Ab sofort stünden alle rechtschaffenden Christdemokraten zu hundert Prozent hinter dem Tax-Shift.
Dazu meint die Zeitung: Wouter Beke hat Recht, wenn er seine CD&V dazu aufruft, loyal gegenüber dem Tax-Shift zu sein. Vor allem Menschen mit geringen Einkommen werden davon profitieren. Und davon zählt die CD&V vermutlich mehr in ihren Reihen als die anderen Regierungsparteien. Auch für eine Entlastung der Unternehmen muss sich die Partei nicht schämen. Zwar fehlt die versprochene Vermögenssteuer, doch hier hatte die CD&V zu hoch gepokert.
Darüber kann man jetzt noch monatelang motzen und maulen, das macht es aber nicht besser. Die CD&V kann jetzt noch drei bis vier Jahre das fünfte Rad am Wagen der Regierung Michel sein. Doch welcher Wähler soll die Partei bei den nächsten Wahlen 2019 dafür belohnen? Das weiß Wouter Beke genau, analysiert Het Laatste Nieuws.
Frankophones Unterrichtswesen erreicht seine Ziele nicht
La Libre Belgique veröffentlicht heute anlässlich des Schulbeginns die Ergebnisse einer McKinsey-Studie. Demnach hat mit 15 Jahren jedes Kind in der Französischen Gemeinschaft ein Schuljahr gedoppelt. Die Zeitung meint dazu: Die Schule soll unseren Kinder das intellektuelle Rüstzeug mitgeben, damit sie selbständige, verantwortungsbewusste, kreative, wagemutige, visionäre und solidarische Erwachsene werden. Im frankophonen Belgien wird dieses Ziel nicht erreicht. Trotz eines Verschulungsgrads von nahezu hundert Prozent entspricht das Ergebnis nicht den Investitionen. Die Ausgaben im französischsprachigen Schulsystem sind höher als anderswo. Auch die Zahl der Schüler pro Lehrer ist niedriger als der OECD-Durchschnitt. Es ist unabdingbar, das Funktionieren des Unterrichtswesens zu verbessern. Nicht, indem man neue Mittel reinpumpt, sondern auf anderen Ebenen agiert: Lehrerausbildung, Motivation der Direktoren, Effizienz der Inspektion, pädagogische Begleitung und die Neudefinierung der Rolle der Eltern.
Volker Krings - Bild: Joe Klamar (afp)