"Ungarn setzt 2.100 zusätzliche Beamte gegen Flüchtlinge ein", titelt Het Belang van Limburg. "Ansturm von Asylbewerbern: Ärzte Ohne Grenzen stellt Zelte zur Verfügung", schreibt L'Avenir auf Seite eins.
Das sind die zwei Seiten von ein und derselben Krise. Ungarn erlebt im Moment einen nie dagewesenen Ansturm von Flüchtlingen. Und die Regierung in Budapest setzt alles daran, um den Zustrom einzudämmen. Die dabei angewandten Methoden sind international umstritten. Auch in Belgien sind die Auffangstrukturen im Moment überfordert. Jeden Tag müssen Asylbewerber vertröstet werden, die dann die Nacht vor dem Brüsseler Ausländeramt verbringen. Um des Ansturms Herr zu werden, stellt die Hilfsorganisation Ärzte ohne Grenzen der Asylbehörde Fedasil jetzt 400 Zelte zur Verfügung, wie L'Avenir berichtet.
"Wir sollten uns was schämen"
Het Belang van Limburg widmet der derzeitigen Krise einen anklagenden Leitartikel. Tausende Menschen klopfen an die Türen Europas. Und was macht die EU? Sie steht ohnmächtig an der Seitenlinie. "Herr Juncker, worauf warten Sie noch?" wettert das Blatt. Wann wird die ungarische Regierung des Populisten Viktor Orban endlich zur Ordnung gerufen, an den Pranger gestellt? Doch auch wir Belgier sollten uns was schämen. Wieder mussten 100 Menschen vor dem Ausländeramt draußen schlafen. Wo bleibt der Zivilschutz? Wo bleibt die Armee mit einer Feldküche? Wann präsentiert die Regierung endlich einen Notfallplan?
Die Föderalregierung hat viel zu lange den Kopf in den Sand gesteckt, kritisiert auch L'Écho. Diese Flüchtlingskrise war vorhersehbar. Und was macht die Koalition? Sie setzt die Asylbehörden ebenso auf Sparflamme wie alle anderen öffentlichen Einrichtungen. Jetzt muss man über Nacht die Strukturen wieder öffnen, die man gerade erst dicht gemacht hatte. Die Antwort auf diese Krise kann aber nur eine europäische sein. Es bedarf endlich einer gemeinsamen europäischen Asylpolitik mit einer fairen Verteilung der Flüchtlinge.
Angela Merkel als Vorbild
Viele Zeitungen beschäftigen sich in diesem Zusammenhang mit der Situation in Deutschland. Sowohl der deutsche Bundespräsident Joachim Gauck, als auch Kanzlerin Angela Merkel, haben am Mittwoch in zum Teil eindrucksvollerweise jeglicher Form von Rassismus und Fremdenhass eine Absage erteilt. Dies natürlich auch vor dem Hintergrund der sich häufenden Attacken auf Einrichtungen, die zu Flüchtlingsheimen umfunktioniert werden sollen. "Die politisch Verantwortlichen in Deutschland mobilisieren sich gegen rassistisch motivierte Übergriffe", schreibt denn auch L'Écho auf Seite eins.
Man sollte sich an Angela Merkel ein Beispiel nehmen, meint Het Laatste Nieuws in seinem Leitartikel. Die Frau steht sicher nicht im Verdacht, naive Sympathien für eine Multikulti-Gesellschaft zu hegen. Und doch stellte sie sich mutig dem Pfeifkonzert der Demonstranten entgegen und machte eindrucksvoll deutlich, dass es in ihrem Land keinen Platz für Rassismus gibt.
Angela und Theo
"Aus hart wird human", analysiert auch De Morgen. Die Zeitung sieht insbesondere in der Herangehensweise der deutschen Regierung eine "politische Trendwende". Die bislang als unnachgiebig geltende Angela Merkel nimmt plötzlich eine "softe" Haltung ein und verteidigt diese auch gegen Kritiker, selbst aus den eigenen Reihen. De Morgen sieht da auch eine Parallele mit der Politik des föderalen Asylstaatssekretärs Theo Francken. Auch der galt bislang insbesondere in Ausländerfragen als Hardliner und predigt jetzt plötzlich Solidarität.
Auch Het Nieuwsblad zieht in seinem Leitartikel diese Parallele. Wie die einst eiserne Kanzlerin Angela Merkel hat auch der noch vor kurzem als Unmensch gescholtene Theo Francken offensichtlich eine Läuterung vollzogen. Unabhängig voneinander haben sich beide für einen humanen Ansatz entschieden. Bei der N-VA ist allerdings das Unbehagen der Basis offensichtlich, die sich anscheinend nicht mit dieser Politik identifizieren kann.
De Wevers (durchsichtiger) Vorstoß
Wohl genau aus diesem Grund hat N-VA-Chef Bart De Wever am Mittwoch im VRT-Fernsehen mit einigen knallharten Aussagen auf sich aufmerksam gemacht. "De Wever übt harsche Kritik an der EU", so die Schlagzeile von Het Nieuwsblad. Der N-VA-Chef plädiert jedenfalls für schärfere Kontrollen an den Außengrenzen der Schengen-Zone. Ansonsten dürfe man sich nicht wundern, wenn die Staaten ihre Grenzen wieder selber bewachen wollen. Außerdem fordert De Wever einen Sonderstatus für Asylbewerber, damit diese nicht gleich in den Genuss aller Sozialleistungen kommen können.
All diese Probleme kann nur Europa lösen, meint dazu Het Nieuwsblad. Was De Wever hier macht, ist auch nur zu durchsichtig: Er versucht die N-VA-Basis zu beruhigen, wäscht aber zugleich seine Hände in Unschuld. Besonders sauber ist das nicht.
Regierung auf vermintem Terrain
Die politische Sommerpause ist also ganz offensichtlich beendet. Und "bei der Wiederaufnahme der Geschäfte betritt die Regierung vermintes Terrain", notiert Le Soir auf Seite eins. Auf die Koalition wartet gleich eine ganze Reihe von heiklen Dossiers. Dazu gehört unter anderem das Management der Flüchtlingskrise, aber auch der Tax-Shift, der in einigen Punkten noch ausformuliert werden muss. Das wird umso schwieriger als auf der flämischen Seite der Regierung der Haussegen schief hängt.
Die Regierung sollte sich am Riemen reißen, mahnt Le Soir in seinem Leitartikel. Einige Politikwissenschaftler malen schon das Schreckgespenst einer Regierungskrise an die Wand. Im Moment gibt die Equipe ein jämmerliches Bild ab. Dieses Image zu korrigieren, das wird nicht einfach sein.
Roger Pint - Bild: Attila Kisbenedek (afp)