"Leben mit der Bedrohung", titelt Le Soir. "Michel will schärfere Grenzkontrollen", schreibt Het Belang van Limburg. "Ayoub El- Khazzani, der reisende Dschihadist, schreibt De Standaard. Bei allen belgischen Tageszeitungen ist das missglückte Attentat von Freitag auf einen Thalys-Zug Thema Nummer eins. Der 25-Jährige Marokkaner Ayoub El-Khazzani war mit einer Kalaschnikow bewaffnet am vergangenen Freitag in Brüssel in den Thalys Amsterdam-Paris gestiegen. Bevor es zu einer Tragödie kam, wurde El-Khazzani von zwei US-amerikanischen Soldaten und einem Briten überwältigt. Ob Khazzani ein Einzeltäter war oder im Auftrag gehandelt hat, ist noch nicht klar.
Dazu meint Het Belang van Limburg: Der Mythos des einsamen Wolfs ist besonders hartnäckig. In der Diskussion über islamistischen Terror steht er für die meisten jungen Dschihadisten, die sich vom islamischen Staat inspirieren lassen aber dann ganz alleine beschließen, dem dekadenten Westen nach dem Leben zu trachten. Wir dürfen nicht vergessen, dass Wölfe meistens in Rudeln unterwegs sind, dass sie geplant zu Werke gehen, dass sie überlegen, bevor sie zum Angriff übergehen. "Terrorismus findet nicht in einem ideologischen Vakuum statt, es mag einsame Wölfe geben, aber die sind verdammt selten", meint Het Belang van Limburg.
Michel opfert Europas Prinzipien auf dem Altar der Sicherheit
Le Soir kommentiert die Forderung von Premier Michel, das Schengen-Abkommen anzupassen. Die Zeitung ist der Ansicht: Mit einer Änderung der Regeln zum freien Personenverkehr innerhalb des Schengen-Raums ist Michel bereit, eines der Prinzipien Europas auf dem Altar der Sicherheit zu opfern. Die Rückkehr der Grenzkontrollen wäre ein Rückschritt, sowohl für die europäische Idee als auch für die erworbenen Freiheiten. Die Terroristen können sich nur freuen, eine der wichtigsten Säulen der Demokratie zerstört zu haben, schreibt Le Soir.
Auch La Libre Belgique will nicht weniger sondern mehr Schengen. Deutschland, Österreich, Spanien, Frankreich und Belgien: Die Reisen des Ayoub El-Khazzani zeigen, wie jemand sich frei im Schengen-Raum bewegen kann. Sein Terrorakt darf diese Freiheit nicht einschränken. Strengere Kontrollen bei gewissen Transportmitteln oder an bestimmten Orten haben nur eine Konsequenz: Die Verlagerung der Bedrohung, des Risikos, der Angst und der Machtlosigkeit, befürchtet La Libre Belgique.
Ähnlich sieht es auch L'Avenir. Während unsere demokratischen Prinzipien von radikalen Ideologien angegriffen werden, wäre es bedauernswert, in Panik zu verfallen und in das Spiel derjenigen einzusteigen, die Hass verbreiten und die individuelle Freiheit als Basis unserer Gesellschaft verweigern, so L'Avenir.
Het Nieuwsblad meint: Die Sicherheitsmaßnahmen zu erhöhen gibt sicherlich ein Gefühl der Sicherheit. Auch kann es sicherlich helfen, Trittbrettfahrer abzuschrecken, aber das alles sind nur vorübergehende Lösungen. Wenn Terroristen in einer Sache kreativ sind, dann ist es darin, neue Ziele auszusuchen. Nach Charlie Hebdo erhöhten die Zeitungen ihre Wachsamkeit, nach Verviers die lokalen Polizeidienststellen, nach Thalys sind es nun die internationalen Zugverbindungen. Als nach dem 11. September der Flugverkehr zusätzlich gesichert wurde, explodierten in Madrid und London Züge und Metros. In einem Europa, das sich nicht zum Polizeistaat entwickeln will, wird es immer Schwachstellen geben, kommentiert Het Nieuwsblad.
Ein falsches Gefühl der Sicherheit
De Standaard meint dazu: Es ist eine verständliche Reaktion, aber darum noch lange keine richtige. Passkontrollen an den innereuropäischen Grenzen sind kein effizientes Mittel gegen Terrorismus. Sie können höchstens ein Gefühl der Sicherheit schaffen. Ein falsches Gefühl, denn Terroristen können überall zuschlagen. Nicht nur der Terrorismus droht den Schengen-Vertrag in Frage zu stellen. Auch bei der Flüchtlingskrise wird hier und da für eine Anpassung sprich Beschränkung von Schengen plädiert. Und auch damit werden höchstens die Symptome und nicht die Ursachen der Krise bekämpft. Sowohl Terrorismus als auch Flüchtlingskrise haben teils dieselben Ursachen: Der Aufstieg des IS und Chaos und Instabilität in Teilen des Mittleren Ostens. Jetzt unsere europäischen Errungenschaften dafür abzubauen, ist die verkehrte Antwort. Wenn wir Schengen aufgeben, dann fällt ein Eckstein des ganzen europäischen Projektes weg. Unsere Grenzen zu schließen hält weder Terroristen draußen noch wird es die Flüchtlingskrise lösen. Die Ursachen der Probleme sind komplex und global. Die Lösungen müssen es deshalb auch sein. Die Lösung kann deshalb auch nicht weniger sondern nur mehr Europa sein, so De Standaard.
Europas Solidarität brüchiger als erwartet
Auch De Morgen beschäftigt sich mit der Flüchtlingskrise. Die Massenmigration als Folge von Krieg, Instabilität und Armut erschüttert Europa mit dergleicher Wucht wie es die Finanzkrise getan hat. Diesmal ist es eine humanitäre Krise. Und wieder werden die Fundamente des Zusammenlebens in Europa getroffen. Und wieder scheint die Solidarität innerhalb der EU brüchiger zu sein als erwartet, vor allem wegen des moralischen Anspruchs, den Europa an sich selbst stellt. "Ist eine politische Gemeinschaft, die nicht einmal fähig ist, sich über die Unterbringung von 40.000 Flüchtlingen einig zu werden, überhaupt einen Friedensnobelpreis wert?", fragt sich De Morgen.
Volker Krings - Bild: Nicolas Maeterlinck (belga)