"Eine Routineregierung, das ist nicht mein Ding", sagt Premier Michel auf der Titelseite von De Standaard. "Ich gebe zu, dass wir den Bürgern ziemlich viel abverlangen", zitiert Het Laatste Nieuws den CD&V-Vizepremier Kris Peeters.
Zunächst verteidigt Premierminister Charles Michel die Politik seiner Regierung und insbesondere den am Donnerstag beschlossenen Tax-Shift.
"Es wäre nämlich zu einfach, sich auf das zu beschränken, was alle anderen auch machen", sagt Michel. Auf die Kritik der Opposition erwidert der föderale Regierungschef in De Standaard: "Nichts zu tun, das wäre in jedem Fall schlimmer gewesen".
Und auf der Titelseite von Le Soir will Charles Michel auch den Verdacht aus der Welt schaffen, wonach seine Regierung zu nachsichtig mit Steuersündern umgehe. "Große Steuerbetrüger können ihr Wahlrecht verlieren", warnt der Premier. Der Kampf gegen Steuerhinterziehung werde mehr denn je verschärft.
Einige Zeitungen glauben jedenfalls, dass der immer noch vergleichsweise junge Premier vor allem in den letzten Wochen an Kragenweite gewonnen hat. "Jetzt besteht kein Zweifel mehr an seinen staatsmännischen Qualitäten", sagen nicht genannte Koalitionspartner in Het Nieuwsblad. Michel sei in seiner Rolle gewachsen.
CD&V in der Zwickmühle
Die CD&V und insbesondere Vizepremier Kris Peeters lecken derweil ihre Wunden. Die flämischen Christdemokraten hatten ja im Rahmen des Tax-Shifts unter anderem eine Vermögenssteuer versprochen, etwa in Form einer Abgabe auf Börsenmehrwerte. Die Partei konnte sich aber nicht durchsetzen. "Am Verhandlungstisch stand ich einer Allianz aus N-VA und OpenVLD gegenüber", beklagt Peeters fast schon resigniert auf Seite eins von La Libre Belgique.
Die CD&V hat ein ausgewachsenes Problem, analysiert De Standaard in seinem Leitartikel. In nahezu allen Dossiers ist die Partei isoliert, steht sie Zweckallianzen gegenüber, mal zwischen N-VA und OpenVLD, ein anderes Mal zwischen N-VA und MR, wobei die beiden liberalen Parteien ohnehin meist an einem Strang ziehen. Daraus ergibt sich folgende Zwangslage: Innerhalb des rechten Spektrums geht die CD&V als Spielverderber durch; bei den Kritikern der Regierung kann die Partei aber kein Kapital daraus schlagen, weil sie ständig überstimmt wird. Das Problem der Christdemokraten ist, dass sie zwar auf allen Ebenen an den Regierungen beteiligt sind, aber nirgendwo wirklich das Ruder in der Hand halten. Wie riskant diese Strategie wirklich war, das zeigt sich jetzt.
Het Nieuwsblad prognostiziert der CD&V noch "vier lange, schwierige Jahre". Der Handlungsspielraum der Christdemokraten beschränkt sich eigentlich darauf, Dinge zu verhindern. In der Regel sieht das niemand, und punkten kann man damit auch nicht. Wirkliche Akzente kann die CD&V jedenfalls nicht setzen.
Im Interview mit La Libre Belgique gibt sich der CD&V-Vizepremier Kris Peeters aber kämpferisch: "Die CD&V wird im Herbst ihre Zähne zeigen müssen", sagt Peeters.
Als hätte er es geahnt, macht der N-VA-Finanzminister Johan Van Overtveldt auf Seite eins von L'Echo aber klar, dass es keine zweite Chance geben wird: "In dieser Legislaturperiode wird nicht mehr über Steuern geredet, sagt Van Overtveldt. Heißt: Einen neuen Tax-Shift, der also sozusagen den jetzt beschlossenen korrigieren könnte, den wird es wohl nicht geben.
"Die Regierung hat keinen Schimmer"
Wenn man schon mal wüsste, was dieser Tax-Shift beinhaltet, scheinen da verschiedene Zeitungen zu erwidern. "24 Stunden nach dem Abkommen gibt es in erster Linie viele Fragen", stellt Het Laatste Nieuws fest. Die Regierung war nämlich ziemlich knausrig mit Zahlen, hat etwa auch ihre Ziele nicht wirklich beziffert.
Het Nieuwsblad bringt denn auch auf Seite eins eine beißende Schlagzeile: "Die Regierung hat selbst keinen Schimmer", schreibt das Blatt. Gemeint ist insbesondere das Versprechen, wonach kleine und mittlere Einkommen monatlich 100 Euro zusätzlich bekommen sollen. Wo das Geld herkommen soll, ist derzeit noch ziemlich unklar.
De Morgen kann bei alldem nur noch mit dem Kopf schütteln. Die geplante Senkung des Arbeitgeberanteils von 33 auf 25 Prozent ist an keinerlei Bedingungen geknüpft; ob die Arbeitgeber tatsächlich Jobs schaffen werden: Wer weiß das schon? Und wie der 100 Euro-Bonus finanziert werden soll, steht auch in den Sternen; hier geht es mal eben um drei Milliarden Euro. Fazit: Das, was uns Michel und Co als ein "Abkommen" verkauft haben, ist im Endeffekt eine Ansammlung von nichtbezifferten Absichtserklärungen.
L'Echo sieht das nicht ganz so eng. Dass politische Abkommen hierzulande erstmal ziemlich nackt daher kommen, das hat Tradition. Die genaue Umsetzung ist immer noch Gegenstand späterer Verhandlungen. Es ist nur, weil insbesondere im frankophonen Landesteil die Opposition zahlenmäßig so stark ist, dass darauf nun plötzlich herumgeritten wird.
Risikoanlage
Doch ist offenbar tatsächlich nicht immer alles so einfach, wie es zunächst erscheinen mag. "Mehr Jobs? Wir versprechen erstmal gar nichts", sagen die Arbeitgeber auf Seite eins von De Morgen. Zu Wort kommen einige bekannte flämische Unternehmenschefs. So unter anderem der Schuhfabrikant Wouter Torfs. Sein Urteil ist gnadenlos: "Dass eine Senkung der Lohnlasten automatisch die Schaffung neuer Arbeitsplätze zur Folge hat, das ist eine doch ziemlich naive Argumentation", sagt der Unternehmer.
Het Laatste Nieuws hebt denn auch noch einmal das Wagnis der Regierung hervor. Die Regierung hat den Arbeitgebern das serviert, worum sie immer gebeten haben. Die Reaktion der Unternehmenswelt fällt dann aber doch wieder auffallend zurückhaltend aus. Die Regierung Michel ist letztlich vom Wohlwollen der Arbeitgeber abhängig. Das ist irgendwie vergleichbar mit einer Risikoanlage in die Zukunft.
Milchpreise: Der Kunde als König
Vor allem die frankophonen Zeitungen beschäftigen sich heute mit der Lage der Milchbauer. Einige Landwirte hatten gestern zur Eröffnung der Agrarmesse in Libramont lautstark die Alarmglocke gezogen. Sie beklagen, dass die Preise für ihre Erzeugnisse zu niedrig sind.
Die Verzweiflung der Milchbauer war spürbar, notiert Le Soir. Und der Protest von Libramont war wohl nur die Spitze des Eisbergs. Dabei war diese Krise mit Sicherheit vorhersehbar. Schuld hat die EU, die ihre gemeinsame Agrarpolitik nicht neustrukturiert. Schuld haben auch die belgischen Behörden, ob nun föderal oder regional. Sie haben offensichtlich vor der sich anbahnenden Krise den Kopf in den Sand gesteckt. Leider sind die Erfolgsaussichten für die protestierenden Milchbauern sehr gering. Es ist eine Minderheit innerhalb der Minderheit.
Der Kommentar von La Libre Belgique ist nicht ganz so düster. Jetzt ist es an der Zeit, dass der Verbraucher sich seiner Macht bewusst wird. Wir alle können über unser Kaufverhalten Einfluss nehmen. Wir können letztlich signalisieren, welche Qualität- und Nachhaltigkeitsstandards wir wollen. Der Kunde muss sich jetzt erst recht als König erweisen.