Das Wort "Tax-Shift" steht heute auf fast allen Titelseiten. "7,2 Milliarden Euro", diese Zahl prangt in Blockbuchstaben auf Seite eins von L'Écho. Der langbeschworene Tax-Shift ist da. Und mit 7,2 Milliarden Euro ist das Volumen durchaus größer ausgefallen, als viele es erwartet hätten. Die Regierung hatte versprochen, über diesen Tax-Shift die Steuerlast auf Arbeit zu senken und die Einnahmequellen entsprechend zu verlagern.
"Wer gewinnt? Und wer verliert?", fragt sich denn auch La Libre Belgique. L'Avenir geht schon einen Schritt weiter: "Tax-Shift - Was teurer wird", schreibt das Blatt auf Seite eins. Het Belang van Limburg wird konkreter: "Teurer werden Autofahren, Rauchen und Trinken". Abgesehen davon, so fügt das Blatt hinzu, dass die Mehrwertsteuer auf Elektrizität erhöht wird von sechs auf 21 Prozent. Gazet van Antwerpen fasst zusammen: "Keine Steuer auf Vermögen, dafür wohl auf Zucker und Strom".
Tax-Shift: Wer gewinnt? Wer verliert?
Dass es, wenn überhaupt, nur eine zaghafte Vermögenssteuer geben wird, ist eine Niederlage für die CD&V. Deswegen auch die ironische Schlagzeile von De Morgen: "Suchen Sie den Gewinner", schreibt das Blatt. Zu sehen sind Premier Michel und seine beiden Vize-Premiers Reynders und Peeters. Und der CD&V-Spitzenmann Peeters wirkt auf dem Foto doch ziemlich nachdenklich.
Het Laatste Nieuws zieht jedenfalls ein beißendes Fazit: "Acht von zehn arbeitenden Belgiern werden den Tax-Shift bezahlen". De Standaard hebt seinerseits hervor, worum es der Regierung in erster Linie geht: "Jobs, Jobs und nochmal Jobs". Le Soir stellt denn auch auf Seite eins die Gretchenfrage, die im Grunde alles zusammenfasst: "Weniger Lohnlasten für die Unternehmen, mehr Steuern: Ergibt das am Ende auch wirklich mehr Jobs?"
Die Unternehmen können sich freuen: Der Arbeitgeberanteil sinkt von 33 auf 25 Prozent. Zugleich sollen aber auch kleine und mittlere Einkommen schrittweise um 100 Euro im Monat steigen. Dabei sind die genauen Modalitäten allerdings noch nicht geklärt. "100 Euro mehr, aber die Frage lautet: Wie?", schreibt denn auch De Morgen. Die alternativen Geldquellen sind quasi ausschließlich beim Konsum angesiedelt, sei es über eine höhere Mehrwertsteuer oder eine Anhebung der Akzisen. Unter anderem Le Soir und Het Nieuwsblad sprechen hier von einer "verpassten Chance". Es hätte da durchaus noch andere mögliche Hebel gegeben, wie etwa eine Steuer auf Börsenmehrwerte oder eine Reform der Steuerklassen.
Wo ist die Steuergerechtigkeit?
La Dernière Heure ist besonders streng mit dem Vorhaben der Regierung. "Das ist kein Tax-Shift, das ist eine Ohrfeige", meint das Blatt. Im Grunde hat man hier nur den Werkzeugkasten der 80er und 90er Jahre wieder geöffnet.
"Hier trifft es mal wieder die Falschen", kritisiert auch De Morgen. Die Steuerlast auf Arbeit wird zwar in der Tat verlagert. Die Zeche bezahlen aber die kleinen und mittleren Einkommen. Immobilieneinkünfte, Firmenwagen, Börsenmehrwerte, all das ist weiterhin weitgehend tabu. Schlimmer noch: Statt eine wirklich tiefgreifende Steuerreform durchzuführen, knüpft diese Regierung wie ihre Vorgänger an dem fiskalen Flickenteppich weiter.
Auch das Börsenblatt L'Écho vermisst jegliche "Steuergerechtigkeit". Zwar behauptet die Regierung immer, dass in ihrer Welt die stärksten Schultern die schwerste Last tragen müssen, in der Praxis sieht man aber nicht viel davon. Es bleibt dabei: In Belgien ist es immer noch interessanter, Miet- oder Zinseinkünfte zu beziehen als zu arbeiten.
Für L'Avenir ist der Tax-Shift zu sehr ideologisch gefärbt. Die Mitte-Rechts-Regierung bedient im Wesentlichen ihre Klientel. Eine wirkliche Steuer auf Börsenmehrwerte hätte die Sache gerechter gemacht. Das passte aber wohl nicht ins Bild.
Eine "Wette für die Zukunft"
Der Tax-Shift ist zwar nicht spektakulär, es ist aber auch kein Kinderkram, analysiert De Standaard. Die Maßnahme wird mit Sicherheit den Alltag vieler Menschen spürbar beeinflussen. Die Regierung geht hier aber ein großes Risiko ein: Die Rechnung geht nur dann auf, wenn am Ende auch tatsächlich mehr Arbeitsplätze geschaffen worden sind. In gewisser Weise hat die Regierung Michel damit ihr Schicksal in die Hände der Arbeitgeber gelegt.
La Libre Belgique sieht auch diese Gefahr. Der Tax-Shift enthält zugegebenermaßen auch einige positive Ideen. Allerdings ist der Tax-Shift bislang im Wesentlichen nur ein Stück Papier. Viel zu viele Parameter beruhen auf Spekulationen oder Prognosen. Für eine Bewertung ist es eigentlich also noch zu früh.
Viele Zeitungen sind sich einig: Wenn es einen Gewinner gibt, dann ist es Charles Michel. Er hatte einen Tax-Shift versprochen und konnte fristgerecht liefern, hebt Het Laatste Nieuws hervor. Und klar: Es gibt da eine Reihe von verpassten Chancen, meint Le Soir. Die Botschaft lautet aber ganz klar: In Belgien tut sich was, Belgien stellt sich neu auf. Der Tax-Shift ist in gewisser Weise eine Wette auf die Zukunft. Ums mit Michel zu halten: Man kann der Regierung vieles vorwerfen, aber nicht, dass sie keine Entscheidungen trifft.
Roger Pint - Foto: Eric Lalmand (belga)