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Die belgische Tagespresse beschäftigt sich heute mit ersten Analysen der gestrigen, zumindest vorläufigen Einigung zwischen Griechenland und seinen Gläubigern. Auch wenn ein Grexit für den Moment vom Tisch scheint, geißeln die Kommentatoren vor allem die Euroländer für deren "Bestrafung" Athens.
"Ein Abkommen für Griechenland, das niemanden zufrieden stellt", titelt L'Echo. "Kein Jubel, aber Erleichterung", schreibt das GrenzEcho auf Seite eins. "Ein Abkommen, viele Schäden", so die Schlagzeile von Le Soir.
Ausnahmslos alle Zeitungen beleuchten heute ausgiebig die Ergebnisse des Sondergipfels der Euro-Staaten zur Griechenland-Rettung. Nach 17-stündigem Verhandlungsmarathon gab es am Montagmorgen doch noch eine Einigung. Und die wird allgemein mit gemischten Gefühlen aufgenommen. Auf der einen Seite konnte ein Grexit vermieden werden. Der Preis dafür war aber sehr hoch. Das im Übrigen für alle Beteiligten.
"Die lange Verhandlungsnacht wird Spuren hinterlassen", meint etwa Le Soir. Europa hat sich seine Spaltung noch einmal schriftlich gegeben. Es gab - abgesehen von den Griechen - im Wesentlichen zwei Lager. Auf der einen Seite die Hardliner, allen voran Deutschland, die Niederlande und Finnland. Und dann eben auf der anderen Seite die Länder, die ein Problem mit einer allzu starren Sparpolitik haben. An deren Spitze hatte sich Frankreich gestellt.
"Und am Ende gewinnt Deutschland", schreibt Het Nieuwsblad. Das ist ja eigentlich eine Abwandlung des berühmten Spruchs der englischen Fußballlegende Gary Lineker. Und "für die Griechen fällt die Rechnung ziemlich gesalzen aus", notiert denn auch L'Avenir.
"Ausverkauf", "Staatsstreich"! Oder doch "Perspektive"?
Einige Blätter werden konkreter: "Griechenland landet im Ausverkauf", schreibt etwa Het Belang van Limburg. Denn in der Tat: Es soll ja ein Fonds gegründet werden, der also die Privatisierung von griechischem Staatseigentum abwickeln soll. Kritiker, darunter einige renommierte amerikanische Ökonomen, sprechen in diesem Zusammenhang von einem "Staatsstreich".
Het Laatste Nieuws sieht das ähnlich: Die Griechen sind allenfalls noch dafür zuständig, die Anzahl Saiten einer Bouzouki festzulegen. In allen übrigen wichtigen Bereichen - Wirtschaft, Steuerrecht, Soziale Sicherheit - werden ab jetzt Technokraten aus Nordeuropa die Entscheidungen treffen. Da kann man nur sagen: "Akropolis adieu. Und viel Glück damit!", schreibt Het Laatste Nieuws auf Deutsch. Welchen Mehrwert hat eigentlich noch eine Union, in der ein Mitgliedsstaat erniedrigt wird und man das Ganze eine "Perspektive" nennt?
Es gab vielleicht weißen Rauch, aber der Horizont ist schwarz, glaubt L'Echo. Glaubt jemand allen Ernstes, dass sich die Peloponnes über Nacht in Bayern verwandelt, nur weil der EU-Ministerrat das so will? Europa war schlicht und einfach nicht mutig genug: Nach 17 Stunden entschied man lediglich, auf dem Weg weiterzugehen, der sich längst als Sackgasse erwiesen hat. Das größte Problem ist, dass der deutsch-französische Motor im Grunde nur noch Fehlzündungen produziert. Resultat ist politische Ideenlosigkeit, die nur den Populisten in die Karten spielt.
Tsipras, der neue Pyrrhus
Die griechische Regierung ist allerdings längst nicht unschuldig an der Misere. Eigentlich sollte man den Begriff "Pyrrhus-Sieg" umbenennen in "Tsipras-Sieg", meint L'Avenir. Zwar hatten sich die Griechen noch eine Woche zuvor mit großer Mehrheit hinter Tsipras geschart. Das kurzfristig anberaumte Referendum hat seine Position aber letztlich nur noch weiter geschwächt. Tsipras hat gezockt und verloren. Dafür wurde er aber von seinen Kollegen unbarmherzig bestraft. Dabei ist es ausgerechnet er, der den Griechen ein Ende der Austerität versprochen hatte, der jetzt das wohl strikteste Reformprogramm durchziehen muss.
Genau das haben die übrigen Euro-Staaten aber offensichtlich nicht bedacht, glaubt Het Nieuwsblad. Natürlich ist es nachvollziehbar, dass man den Griechen keinen Blankoscheck ausstellt. Auch die anderen Staats- und Regierungschefs müssen sich schließlich vor ihren Bürgern rechtfertigen. Und Griechenland hat gerade in letzter Zeit enorm viel Vertrauen verspielt. Ob es aber nötig war, die Griechen wegen ihrer rebellischen Haltung gleich mit einer solchen Brutalität zu bestrafen, sei dahingestellt. Man vergisst offensichtlich, dass man bei aller Bevormundung immer noch demokratisch legitimierte Politiker braucht, die die Reformagenda umsetzen.
"Selber die Rute zur eigenen Auspeitschung geliefert"
Die Griechenland-Rettung hinterlässt denn auch einen bitteren Nachgeschmack, notiert La Libre Belgique. Natürlich hat Tsipras den anderen quasi noch die Rute geliefert, mit der er danach selber ausgepeitscht wurde. Er hat den Vertrauensbruch selber heraufbeschworen. Nichtsdestotrotz kann man eigentlich nur feststellen, dass Europa als Solidargemeinschaft am Wochenende doch ziemlich erschüttert wurde.
Einige Zeitungen sehen hier die Anzeichen für das Ende einer Ära. "Neubeginn oder Anfang vom Ende?", fragt sich etwa De Morgen.
Das Griechische Problem ist eigentlich ein europäisches Problem, analysiert Le Soir. Am Wochenende hat sich einmal mehr gezeigt, wie unvollkommen die Eurozone letztlich doch ist. Die einen wie die anderen haben nicht verstanden, dass eine gemeinsame Währung Solidarität, aber auch Verantwortungsbewusstsein und vor allem den Verzicht auf ein gewisses Maß an nationaler Souveränität beinhaltet. Allen Beteiligten fehlt der Blick auf das große Ganze, der Sinn für das Gemeinwohl. Statt sich gegenseitig die Schuld an der Misere zu geben, sollten die Staaten viel mehr die Lehren daraus ziehen.
Ein "Europa wie bisher", das kann jedenfalls nicht die Antwort sein, mahnt De Standaard. Es ist schon paradox: Die einen weigern sich, allzu viel von ihrer nationalen Souveränität abzugeben. Wer aber die Regeln missachtet, der verliert gleich einen Großteil seiner Unabhängigkeit. Am Wochenende sind wieder einmal nationale Interessen aufeinander getroffen. So kann es nicht weitergehen. Der Euro braucht eine gemeinsame, demokratisch legitimierte Grundlage, die über den Staaten steht. Denn eins muss klar sein: Noch so eine Konfrontation überlebt der Euro nicht.
Roger Pint - Karikatur: Valentine Lilien