"48 Stunden, um Griechenland zu retten", titelt La Libre Belgique. "Für die Griechen geht es jetzt um alles oder nichts", so die Schlagzeile von De Morgen.
Es ist wohl das Wochenende der Entscheidung. Heute werden die Finanzminister der Eurozone über ein mögliches drittes Hilfspaket für Griechenland beraten. Wenn nötig werden am Sonntag die EU-Staats- und Regierungschefs zu einem Sondergipfel zusammengerufen. Unterm Strich geht es da wohl um die Frage: Grexit, ja oder nein?
Seit Donnerstagabend gibt es da wieder Anlass zu "sehr vorsichtigem Optimismus", wie es L'Écho formuliert. Die griechische Regierung hatte ja eine neue Liste von Spar- und Reformmaßnahmen eingereicht. Und die ähnelt doch sehr stark dem letzten Kompromissangebot der Geldgeber, das der griechische Ministerpräsident Alexis Tsipras noch vor zwei Wochen verworfen hatte. "Der Kolotoumba von Alexis Tsipras", titelt denn auch De Standaard. "Kolotoumba" ist Griechisch und bedeutet so viel wie "rolle rückwärts". Pikant ist ja, dass auch die griechischen Bürger in der Volksbefragung am vergangenen Sonntag eben diese Reformvorschläge mit großer Mehrheit abgelehnt hatten. "Welchen Teil von dem 'Nein' hat Tsipras denn da nicht verstanden?", frotzelt Het Laatste Nieuws auf Seite eins.
… Und dann lag Tsipras auf dem Bauch
Viele Zeitungen sprechen denn auch von einem "Kniefall" des griechischen Ministerpräsidenten. "Und dann lag Tsipras plötzlich vor Europa auf dem Bauch", schreibt sogar Het Nieuwsblad. Damit hat die Regierung in Athen aber zumindest eins erreicht: "Jetzt ist wieder Europa am Zug", schreibt unter anderem Le Soir. Deswegen auch die dicke Schlagzeile auf Seite eins: "Wird Europa es wagen, Nein zu sagen?". Zu sehen ist dabei aber lediglich das Foto der deutschen Kanzlerin Angela Merkel. L'Echo wird da deutlicher: "Athen bietet an, Berlin entscheidet", schreibt das Blatt auf Seite eins.
Diese griechische Tragödie ist so reich an dramaturgischen Spannungsmomenten, da können Altmeister wie Sophokles, Aischylos oder Euripides getrost einpacken, meint L'Avenir in seinem Leitartikel. Jetzt jedenfalls können die Gläubiger nicht mehr behaupten, dass Griechenland nicht bereit wäre, sich seiner Verantwortung zu stellen. Und plötzlich wächst auch im Lager der Geldgeber die Einsicht, dass es ohne eine Umstrukturierung der griechischen Schuld nicht gehen wird. Doch steht auf der Bühne auch noch eine unnachgiebige Figur, Deutschland nämlich, ein Land, in dem ebenfalls die Tragödie fester Bestandteil der Kulturgeschichte ist, etwa in Person von Wagner. Das Stück wird wohl am Sonntag seinen dramatischen Höhepunkt erreichen.
Rückkehr der Vernunft?
Offensichtlich gibt es aber zumindest eine zaghafte Rückkehr der Vernunft, notiert La Libre Belgique. Alle Beteiligten haben zwar bis zuletzt und bis zur letzten Konsequenz ihre Linie beibehalten. Doch scheinen alle Beteiligten sich auch darüber im Klaren zu sein, welche dramatischen Konsequenzen ein Grexit hätte. Und das nicht nur für die Griechen, sondern auch für Europa insgesamt. Ein Grexit wäre nämlich der Beginn einer unumkehrbaren europäischen Selbstauflösung. Hoffentlich ist Griechenland am Montag noch vollwertiger Bestandteil der Union. Und das hoffentlich auch mit wirklichen Perspektiven. Denn wer Verzweiflung säht, der wird Elend ernten.
All sein Taktieren hat Tsipras nichts genutzt. An gewissen Reformauflagen kam er nicht vorbei, notiert L'Écho. Immerhin hat er es aber geschafft, das Leute wie die IWF-Chefin Christine Lagarde und der EU-Ratspräsident Donald Tusk jetzt offen über eine Umschuldung reden. Bleiben noch die Finanzminister, allen voran Wolfgang Schäuble. Der griechische Ast hat sich gebogen. Der europäische Stamm muss es ihm gleich tun, auf die Gefahr hin, dass er bricht.
Le Soir sieht das genauso. Tsipras ist bestimmt nicht frei von Schuld. Er hat seinen Wählern das Blaue vom Himmel versprochen, hat nationalistische Geister beschworen, hat zuweilen einen unglaublichen Dilettantismus an den Tag gelegt. Doch eins muss man ihm lassen: Gerade noch rechtzeitig hat er die Vernunft wieder erlangt und stellt sich dabei gegen die eigene Partei. Jetzt sind die Geldgeber an der Reihe. Und da sieht es leider so aus, als erweise sich einmal mehr die deutsche Kanzlerin unfähig dazu, ihre Kanten abzufeilen. Von Beginn an war sie immer darauf bedacht, ihre Öffentliche Meinung nicht allzu sehr zu brüskieren. Jetzt muss sie für einmal Mut beweisen. Die Bild-Zeitung schreibt viel, wenn der Tag lang ist, aber sie schreibt nicht die Geschichte.
Hollande als Griechen-Coach?
Einige Zeitungen glauben indes, eine Erklärung für die griechische Kehrtwende ausgemacht zu haben. "Der französische Präsident François Hollande coachte Griechenland", weiß etwa Gazet van Antwerpen. Demnach hatte der französische Sozialist der griechischen Regierung technische Hilfe angeboten. Und französische Experten haben offensichtlich zusammen mit der Regierung in Athen die Reformvorschläge ausgearbeitet. Dabei war aber anscheinend auch Eigennutz im Spiel. "Hollande wollte nicht nur Tsipras, sondern auch seine eigene Haut retten", meint etwa Het Nieuwsblad. Innerhalb des Links-Bündnisses in Paris brodelt es nämlich auch. Die französische Linke hat ebenfalls so ihre Probleme mit der von Deutschland diktierten Austeritätspolitik.
Hollande denkt eben nicht wie ein Buchhalter, sondern wie ein europäischer Staatsmann, lobt De Morgen. Und das könnte dazu führen, dass der oft so blass wirkende François Hollande bald eine wirkliche Sternstunde erlebt. Eine Frage stimmt da aber nachdenklich: Mussten wir erst abwarten, bis die Hälfte der griechischen Jugend arbeitslos und alle Banken geschlossen waren, um zu erleben, wie unsere politisch Verantwortlichen über sich hinauswachsen?
Dorfdeppen!
Einige Zeitungen blicken besorgt auf die nächsten Wochenenden. "Sieben Samstage Bahnstreik", warnt Het Laatste Nieuws und fügt hinzu: "Das kostet die Küste 7,7 Millionen Euro". Die unabhängige Lokführergewerkschaft SACT hat zu der Protestwelle aufgerufen. Die Lokführer verlangen Gehaltsaufbesserungen. In den letzten Monaten haben sie schon mehrmals gestreikt. Der SACT gehören zwar nur rund 800 Lokführer an. Man hat aber gesehen, dass das reicht, um den Bahnverkehr doch ziemlich zu stören. Und jetzt also: sieben Samstage in Folge: Für Tagestouristen oder Jugendliche, die auf Rockfestivals fahren, ist das eine schlechte Neuigkeit. "Sogar die anderen Bahngewerkschaften verteufeln die Aktion", schreibt Het Nieuwsblad auf Seite eins.
Die Zeitung widmet der Meldung einen wütenden Kommentar. "Was für unverantwortliche Dorfdeppen". Jetzt schlägt es aber dreizehn. Diesmal sind es Tagestouristen, Pfadfinder-Gruppen und Festival-Besucher, die von einer Handvoll Cowboy-Gewerkschafter in Geiselhaft genommen werden. Die Mini-Gewerkschaft fordert Prämien und sonstige Vorzüge, von denen jeder weiß, dass sie sie nie bekommen werden. Die Kritik der übrigen Gewerkschaften klingt dabei aber ein bisschen hohl. Im Grunde macht die SACT ja nur das, was die anderen ihr vorgemacht haben. Die Staatsbahn ist krank. Aber die Gewerkschaften sind Teil des Krankheitsbilds. Und das gilt für alle.
Roger Pint - Bild: Andreas Solaro (afp)