"Vor 20 Jahren wurde die Angst Wirklichkeit", titelt L'Avenir. Und "die Belgier haben immer noch Angst", schreibt La Dernière Heure auf Seite eins.
Vor exakt 20 Jahren, am 24. Juni 1995, verschwanden Julie und Melissa. Das Schicksal der achtjährigen Mädchen wurde erst 14 Monate später aufgeklärt. Im August 1996 wurden im Garten eines Hauses von Marc Dutroux in Sars-la-Buissière bei Charleroi die Leichen von Julie und Melissa entdeckt. Später stellte sich heraus, dass Polizei und Justiz bei den Ermittlungen auf der ganzen Linie versagt hatten.
Gino Russo, der Vater der entführten und ermordeten Melissa, hat bis heute nicht seinen Frieden mit der Justiz geschlossen. "Es gibt noch offene Fragen, die so groß wie ein Scheunentor sind, aber ich erwarte keine Antworten", sagt Gino Russo in La Libre Belgique. Zugleich ruft er zu einer allgemeinen Infragestellung des Systems auf. "Die große Versöhnung wird es nie geben", sagt Russo auch auf Seite eins von Le Soir.
Vor 20 Jahren: der Alptraum
Die Erinnerung an die tragischen Ereignisse ist immer noch extrem lebendig, bemerkt dazu La Dernière Heure. Die Dutroux-Affäre hat Belgien nachhaltig verändert. Und das nicht nur durch die Reformen, die in deren Fahrwasser durchgeführt wurden. Seit 20 Jahren spielen die Kinder nicht mehr auf der Straße; und wenn, dann nur unter der Aufsicht ihrer Eltern. Dass das Trauma jetzt noch so tief sitzt, hat wohl auch damit zu tun, dass die Medien immer noch regelmäßig über den Fall berichten. Für die Eltern ist es damit noch schwerer, die Sache zu verarbeiten; man sollte die Kinder in Frieden ruhen lassen.
Julie und Melissa wären heute 28 Jahre alt, notiert La Libre Belgique. Rückblickend muss man sagen, dass die Eltern von Julie und Melissa trotz aller Widrigkeiten immer Würde bewahrt haben, fernab der damals hörbaren Appelle zu Hass und Vergeltung, fernab auch der wahnwitzigen Theorien, wonach "hochgestellte Persönlichkeiten" in die Sache verwickelt gewesen seien. In diesem Sinne sollten wir alle die Erinnerung an Julie und Melissa in Ehren halten. Dazu gehört auch, dass man endlich aufhört, sich für Dutroux und Martin zu interessieren.
Die Entführung von Julie und Melissa, das war nicht nur der Beginn eines Albtraumes, sondern auch der Auftakt einer Rebellion, bemerkt Le Soir. Plötzlich forderten die Bürger vom Staat Rechenschaft. Unter dem Druck der Öffentlichkeit gab es dann endlich die längst überfälligen Reformen. Die Funktionsweise von Polizei und Justiz wurde erheblich verbessert. Ein Problem hat man aber damit nicht in den Griff bekommen: Immer noch werden zu viele Kinder in ihren Familien das Opfer von Gewalt.
"Delhaize unter holländischer Flagge"
Zweites großes Thema ist die Elefantenhochzeit im Einzelhandel: "Delhaize und Ahold werden sich wohl das Ja-Wort geben", so die Schlagzeile von La Libre Belgique. "Delhaize und Ahold werden fusionieren", titelt De Morgen. Die Gruppe, die aus diesem Zusammenschluss hervorgehen soll, würde zur größten Warenhauskette im Benelux-Raum. Ahold ist unter anderem bekannt durch die Supermarktkette Albert Heijn.
L'Echo berichtet ebenfalls über die Fusion, hat aber eine andere Lesart: "Delhaize soll vom großen Bruder Ahold aufgesaugt werden", so die Schlagzeile. "Die Niederländer werden Chef über Delhaize", schreibt Het Nieuwsblad. "Delhaize unter niederländischer Flagge", so auch die Schlagzeile von Het Laatste Nieuws.
"Betrüger!"
Apropos Einzelhandel. De Standaard kommt noch einmal zurück auf einen spektakulären Gerichtsentscheid. Eine Reihe von belgischen Supermarktketten wurde wegen Preisabsprachen zu einer Monstergeldbusse von 174 Millionen Euro verurteilt.
In seinem Leitartikel findet De Standaard scharfe Worte. Die größten Supermarktketten des Landes, Carrefour, Colruyt, Delhaize, Makro und Cora, sie alle müssen jetzt kleinlaut zugeben, dass sie ihre Kunden jahrelang betrogen haben. Nach außen hin wurde uns die knallharte Konkurrenz vorgespielt. Hinter den Kulissen hatten sich die Unternehmen aber stillschweigend darauf geeinigt, sich gegenseitig nicht weh zu tun und stattdessen den Verbraucher zur Kasse zu bitten.
Eigentlich ist es bitter, dass wir, die wir über Jahre hinweg hinters Licht geführt wurden, keine Aussicht auf Entschädigung haben. Ein ehernes Gesetz der Marktwirtschaft wurde hier jedenfalls ad absurdum geführt: Konkurrenz führt nicht notwendigerweise zu besserer Qualität bei günstigeren Preisen.
Besuch in China, Frust in Griechenland
Fast alle Zeitungen berichten auch heute über den Besuch einer großen belgischen Delegation in China. Le Soir bringt sogar einen großen Sonderteil: "König Philippe und Königin Mathilde zu ihrem ersten Staatsbesuch im Reich der Mitte". De Morgen spricht von einer "gegenseitigen Charmeoffensive".
Einige Zeitungen kommen noch einmal zurück auf den EU-Sondergipfel vom Montag. "Griechenland steht unter Schock", notiert La Libre Belgique. "Tsipras bekommt Gegenwind aus den eigenen Reihen", bemerkt auch Het Belang Van Limburg. Die griechische Regierung war ja am Montag auf die Geldgeber zugegangen. Was der griechische Ministerpräsident Alexis Tsipras in Brüssel in Aussicht gestellt hat, entspricht aber bei weitem nicht dem, was er den Bürgern im Wahlkampf versprochen hatte.
Die Griechen haben ohnehin nur die Wahl zwischen Pest und Cholera, glaubt Gazet Van Antwerpen. Die Situation ist so dramatisch, dass es im Grunde nur wehtun kann. Entweder, das Land geht Bankrott. Oder eben man macht Zugeständnisse an die Geldgeber und Griechenland dümpelt weiter in Armut. In einen Punkt darf es aber keinen Zweifel geben: Wenn Griechenland wieder auf eigenen Beinen stehen will, dann bedarf es tiefgreifender Reformen. Wer was anderes erzählt, der macht sich selbst und den Griechen etwas weis.
Roger Pint - Foto: Olivier Matthys/BELGA