"Das unglaubliche Fiasko", titelt La Dernière Heure. "Jahresendprüfung nicht bestanden", so die Schlagzeile von La Libre Belgique. "Milquet hängt in den Seilen", schreibt L'Avenir auf Seite eins.
Die Unterrichtsministerin der Französischen Gemeinschaft, Joëlle Milquet, hat gestern erneut eine Reihe von Prüfungen annullieren müssen. Wieder ging es um allgemeine Zertifizierungen, die für alle Schüler eines Jahrgangs an den frankophonen Schulen des Landes gelten sollen. Und wieder waren vorab die Fragen im Internet aufgetaucht.
Schlimmer noch: Vor einigen Schulen wurden geleakte Prüfungsunterlagen auf der Straße verkauft. Und wieder sorgte die kurzfristige Annullierung der Examen für ein enormes Durcheinander. "Infernalisches Wirrwarr", "totales Chaos", die frankophonen Zeitungen überbieten sich gegenseitig bei der Schilderung der Ereignisse.
"Annullierte Prüfungen: Milquet sieht sich als das Opfer einer Verschwörung", schreibt indes Le Soir auf Seite eins. Zeitgleich zu dem Prüfungsdebakel hatte es ja auch Hausdurchsuchungen in den Amtsräumen der Ministerin und sogar in ihrer Privatwohnung gegeben. Und Joëlle Milquet stellt sich denn auch die Frage, ob das alles Zufall sein kann.
Scherbenhaufen im frankophonen Unterrichtswesen
Was für ein Debakel, beklagt La Libre Belgique in ihrem Leitartikel. In dieser Geschichte gibt es nur Verlierer. Die Schulen, die Lehrer, die Schüler, das Unterrichtswesen insgesamt, alle stehen vor einem Scherbenhaufen, haben mitunter ein ganzes Jahr umsonst gearbeitet. Die Unterrichtsministerin, die ja die Endverantwortliche ist, trägt hier eindeutig ein gehöriges Maß an Mitschuld.
Muss sie dafür zurücktreten?, fragt sich Le Soir. Nach dem derzeitigen Stand der Dinge lautet die Antwort "Nein". Wer dieses "Attentat" auf das Unterrichtswesen verübt hat, ist noch nicht klar. Ein möglicher Einzeltäter muss nicht gleich ein ganzes System in Frage stellen. Allerdings muss Milquet jetzt mehr denn je beweisen, dass sie dazu fähig ist, ein so komplexes und explosives Ressort wie das Unterrichtswesen zu führen. Hier sind allerdings in den letzten Tagen Zweifel aufgekeimt.
Für La Dernière Heure hingegen ist das Maß jetzt voll. Die Französische Gemeinschaft gibt gerade ein jämmerliches Bild ab. Und die Unterrichtsministerin hat offensichtlich die Situation nicht im Griff. Sie trägt die alleinige politische Verantwortung für dieses unglaubliche Fiasko. Dieser Verantwortung sollte sie gerecht werden, das würde es ihr erlauben, erhobenen Hauptes diesen Albtraum zu verlassen.
Man muss schon ziemlich bösen Willens sein, um jetzt der Unterrichtsministerin die Schuld an dem Debakel zu geben, meint demgegenüber L'Avenir. Es dürfte niemandem entgangen sein, dass selbst die Kritik der Opposition noch demonstrativ gemäßigt ausfällt. Aber keine Frage: Die Ministerin ist angeschlagen. Es fällt nämlich ebenfalls auf, dass die CDH ihre einstige Vorsitzende gerade im Moment ziemlich im Regen stehen lässt. Unter ihren Gegnern könnte der eine oder andere gerade einen günstigen Zeitpunkt sehen, die kantige Joëlle Milquet loszuwerden.
Showdown in der Griechenlandkrise
Zweites großes Thema heute ist der Showdown im Schuldenstreit mit Griechenland. "Tsipras und die Institutionen pokern bis zum bitteren Ende", titelt Le Soir. Heute sollen ja eigentlich die Finanzminister der Eurozone zu einer Krisensitzung zusammenkommen, es gilt als das "Treffen der letzten Chance". Allerdings dürfte das auch keine Lösung bringen", orakelt De Standaard.
Het Belang van Limburg ist deutlicher: Tsipras bleibt bei seinem "großen Nein". Ohne einen "ehrenhaften Kompromiss" werde er bei seiner Linie bleiben, sagt der griechische Ministerpräsident. De Morgen bringt denn auch eine drastische Schlagzeile: "Das Messer auf der Kehle", schreibt das Blatt auf Seite eins. Erstmals hat nämlich jetzt auch die griechische Nationalbank vor den katastrophalen Folgen eines Ausstiegs des Landes aus der Eurozone gewarnt. Reiseveranstalter rufen zudem Griechenland-Touristen auf, ausreichend Bargeld mitzunehmen.
Das griechische Drama neigt sich seinem Ende entgegen, notiert dazu Gazet van Antwerpen. Und wir brauchen endlich Licht am Ende des Tunnels. Verschiedene griechische Regierungen aller Couleur haben es in den letzten Jahren nicht geschafft, endlich einen realistischen Fahrplan heraus aus der Krise vorzulegen. Und jetzt sind einige Geberländer sichtlich mit ihrer Geduld am Ende. Damit wird ein bis vor kurzem noch unvorstellbares Szenario plötzlich denkbar, der Grexit.
Das gilt es mit allen Mitteln zu vermeiden, mahnt aber Het Belang van Limburg. Ein Ausstieg Griechenlands aus der Eurozone würde mit einem Mal den Beweis erbringen, dass die Währungsunion nicht für die Ewigkeit ist. Bei jeder Krise würden dann die Märkte auf den nächsten Ausstiegskandidaten wetten. Gleich welche Geburtsfehler die Eurozone nun aufweist, und dazu zählt auch die Aufnahme Griechenlands auf der Grundlage getürkter Zahlen, der Euro besteht nun mal. Und wir müssen alles tun, um alle an Bord zu halten.
Tax-Shift: Hoffnung auf die EU
Auch in einem anderen Zusammenhang blicken Leitartikler erwartungsvoll in Richtung der EU. Die Verhandlungen über den ominösen Tax-Shift sind festgefahren. Ein Grund dafür ist, dass der Föderalregierung der Handlungsspielraum fehlt, glaubt Het Laatste Nieuws. Es ist für einzelne Staaten fast nicht möglich, internationale Konzerne angemessen zu besteuern. Im Zweifel wird den Multinationals ein lukrativer Steuerdeal in einem Nachbarland angeboten. Dieses Problem kann man nur auf EU-Ebene lösen.
De Standaard schlägt in dieselbe Kerbe. Die EU-Staaten spielen sich gegeneinander aus, versuchen, sich bei Steuergeschenken für Unternehmen gegenseitig zu überbieten. Belgien macht da übrigens fleißig mit - man denke nur an die ominösen Fiktivzinsen. Jeder ist des anderen Steuerparadies. Und dennoch hat die EU-Kommission gerade erst Pläne mit Blick auf eine fairere Besteuerung von Unternehmen auf die lange Bank geschoben. Das ist einfach nur erbärmlich.
Auf der Titelseite von L'Echo heute eine beeindruckende Zahl: "760.297". Im vergangenen Jahr hat es 760.297 Streiktage gegeben. Das sei der höchste Wert seit 20 Jahren. Hintergrund sind natürlich die Proteste gegen die Politik der Regierung; aber nicht nur: Viele Streiks gab es auch aufgrund von Umstrukturierungen.
200 Jahre Waterloo
Schließlich steht heute auch noch die Schlacht von Waterloo im Fokus. Heute jährt sich das Ereignis zum 200. Mal. Zu diesem Anlass sind große Gedenkfeiern und auch monumentale Nachstellungen des historischen Schlachtverlaufs vorgesehen. Viele Zeitungen bringen dazu große Sonderteile. "Waterloo ist heute das Zentrum der Welt", schreibt sogar Le Soir.
Bild: Jasper Jacobs/BELGA