Le Soir fragt sich auf der Titelseite, ob dieses Land noch einen Sinn hat. Belgien stehe noch heute Morgen, zumindest seine Reste. Das Land atme noch wenn auch schwer und ruckartig. Das Land bäume sich auf aber die Überzeugung fehle. Ist es deshalb vernünftig den Glauben zu behalten? Es dränge sich die Frage auf, kommentiert Le Soir, ob es noch Sinn mache, ein Land am Leben zu erhalten von dem niemand wisse, ob die nächsten Wahlen wohl legal sind und in dem das Gesetz der Mehrheit sich ungebremst durchsetze. Macht es Sinn, fragt die Brüsseler Tageszeitung, ein Land am Leben zu erhalten in dem es keine Männer und Frauen mehr gibt, kein System das in der Lage wäre Kompromisse zustande zu bringen - und seien sie noch so klein - aber doch unentbehrlich für den Fortbestand Belgiens. Macht dieses Land noch Sinn, fragt das Blatt? Ja, meint Le Soir. Diese Meinung allerdings habe nur Bestand, wenn genügend Menschen an sie glaubten, an ihr arbeiteten, ihr zur Existenz verhelfen. Sollte die tiefe Krise, die gestern entstand andauern, dann würde dies bedeuten, dass dieser Wille nicht mehr besteht. Und das, so schließt Le Soir sei das Gefühl gewesen, das gestern vorherrschte.
De Morgen titelt hierzu: Niemand versteht es noch. Der Sturz der Regierung führe das Regierungsviertel in eine nie dagewesene Sackgasse. Und nach einem Tag Krise und Chaos ist man der Aufspaltung des Wahl- und Gerichtsbezirks Brüssel-Halle-Vilvoorde keinen Millimeter näher gekommen. Indem die flämischen Liberalen der Koalition von Premier Leterme das Vertrauen entzogen, stürzte die Open VLD nicht nur die Regierung, sondern die gesamte Staatsstruktur in eine tiefe Krise. Für die habe selbst der König keinen erfahrenen Retter mehr zur Hand. Andererseits, so kommentiert das Blatt im Leitartikel, sei das Vorgehen der Politiker, die drei Jahre nach erneutem Angehen der Thematik BHV behaupten, man habe keine Zeit für Verhandlungen gehabt, Ausdruck eines schamlosen Zynismus, der dieser Generation von Politikern anhafte.
Het Laatste Nieuws fragt sich, ob Open VLD-Parteichef Alexander De Croo ein Zauberlehrling oder ein Meistertaktiker ist. Eines sei klar, meint das Blatt, De Croo Junior habe der älteren Generation von Politikern, auch seiner Partei, die Überraschung ihres Lebens präsentiert. Er habe umgesetzt womit er gedroht hatte, der Regierung von Premier Leterme die Lebensgrundlage zu entziehen. Leterme habe nur noch sein Rücktrittgesuch einreichen können, schon wieder, meint Het Laatste Nieuws.
Auch La Libre Belgique widmet der jüngsten Krise eine umfangreiche Berichterstattung und meint: Achtung, „pas op“, dies ist keine Fiktion. Innerhalb von 24 Stunden habe die Open VLD die Regierungskoalition verlassen, Yves Leterme zum fünften Mal seinen Rücktritt erklärt und hätten die flämischen Nationalisten durch das Intonieren der flämischen Hymne in der Abgeordnetenkammer für Aufsehen gesorgt. Während einige Parteien einen Urnengang jetzt fürchteten, MR und CD&V nämlich, würden die flämischen Nationalisten sich die Hände reiben. Doch Wahlen, so meint La Libre Belgique stünden noch nicht unmittelbar ins Haus. Jetzt sei erst einmal der König am Zuge.
La Derniere Heure macht mit der Anspielung auf eine Fernsehsendung, mit der die RTBF vor einiger Zeit für Aufsehen gesorgt hatte, auf und titelt „Bye, Bye Belgium“, und auch dieses Blatt fügt den Untertitel: „Dies ist keine Fiktion“ hinzu. Der König konsultiere und sondiere. Wenn es soweit gekommen sei und die Krise jetzt ausbrach, dann nicht nur wegen des Vorgehens der Open VLD sondern vor allem auch, weil die CD&V und ihr Premier, der Mann mit 800.000 Wählerstimmen, seit 2007 nicht in der Lage gewesen seien ihre verrückten Wahlversprechen auf gemeinschaftspolitischer Ebene zu erfüllen, kommentiert La Derniere Heure.
Gazet Van Antwerpen fragt: „Was nach dem Chaos?“. Der König und Premier Leterme würden vermeiden wollen, dass die Regierung tatsächlich stürzt. Open VLD-Parteichef Alexander De Croo signalisiere nach scharfer Kritik begrenzte Verhandlungsbereitschaft und bis nächsten Donnerstag habe man Zeit, um für BHV eine Lösung herbeizuführen.
Het Nieuwsblad titelt dann wieder: De Croo bringt Leterme zu Fall und zitiert den Parteichef der nationalistischen N-VA mit den Worten: „Dies ist der Beweis, belgische Strukturen funktionierten nicht“. Jetzt versuche der König für Leterme, der als Premier seinen Rücktritt anbot, Zeit zu schinden, denn, so titelt Het Belang van Limburg, „der König will keine Wahlen“. Die derzeitige Krise komme wegen der wirtschaftlichen Situation zum denkbar ungünstigsten Moment. Nur ein Durchstarten der scheidenden Regierung könne Neuwahlen vermeiden. Das aber sei noch nicht endgültig gesichert.
De Standaard titelt hierzu: Albert hat vier Tage. Bis Montag 12 Uhr mittags will das Staatsoberhaupt die flämischen Liberalen auf andere Gedanken bringen. Parteichef Alexander De Croo scheint unter Umständen hierzu bereit. Im Leitartikel meint das Blatt, dass das Rücktrittsgesuch von Premier Leterme Symbol der Ohnmacht der belgischen Politik sei. Finden Flamen und Französischsprachige keinen Kompromiss, dann sei nicht mehr von Regierungskrise sondern von Regimekrise die Rede, meint De Standaard.
Auch die Wirtschaftsblätter L'Echo und De Tijd meinen schließlich, dass König Albert den Sturz der Regierung Leterme vertagt und L'Echo beschreibt BHV als das belgische Gift.
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