"PS und MR schalten einen Gang runter", titelt Le Soir. "Die MR gibt sich versöhnlich, die PS geht in die Résistance", schreibt La Libre Belgique auf Seite eins. "Die MR war in Topform, der PS ging es nie schlechter", so die Schlagzeile von La Dernière Heure.
Fast alle Zeitungen berichten am Samstag in großer Aufmachung über die Feierlichkeiten zum Ersten Mai, dem Tag der Arbeit. Die Liberalen feierten traditionsgemäß in Jodoigne, in der Provinz Wallonisch-Brabant. Dort wurden die Spitzenpolitiker von MR und OpenVLD aber von Demonstranten der christlichen Gewerkschaft CSC empfangen. "Ein lauter Erster Mai für Charles Michel in Jodoigne", schreibt denn auch L'Avenir auf Seite eins.
Schluss mit dem Dauerkrieg!
Einmal im Saal schlugen die Blauen aber versöhnliche Töne an. "Die MR geht auf die anderen Parteien zu", notiert etwa La Dernière Heure. Die Liberalen verteidigten die Politik der Föderalregierung, unterstrichen aber dabei, dass man lediglich versuche, das Land für die Zukunft fit zu machen. MR-Chef Olivier Chastel rief die Oppositionsparteien dazu auf, zumindest die Notwendigkeit dieser Politik einzusehen. Kritik etwa an der Adresse von PS oder CDH hörte man dabei kaum. Die PS ließ ihrerseits zwar kein gutes Haar an der Politik der Föderalregierung. Auch hier blieben aber die üblichen Giftpfeile auf die MR weitgehend im Köcher, bemerkt Le Soir sinngemäß. "Rote und Blaue schonen sich gegenseitig", schreibt das Blatt.
Es würde in jedem Fall langsam Zeit, dass wieder Vernunft einkehrt, glaubt L'Avenir in seinem Leitartikel. Dieser Dauerkrieg zwischen PS und MR verschlingt Unmengen von Energien, die man besser anderswo einsetzen sollte, zum Beispiel im Hinblick auf eine bessere Zusammenarbeit zwischen dem Föderalstaat und den Regionen. In den letzten Wochen sind die Gräben nur noch tiefer geworden, und das spielt am Ende denjenigen in die Karten, die den Leuten verklickern wollen, dass Belgien ausgedient hat.
Sozialistische Sinnkrise
Nicht unwesentlichen Einfluss auf die Atmosphäre bei den diversen Parteiveranstaltungen hatte wohl das jüngste Politbarometer von Le Soir; da sind sich die Zeitungen einig. Die MR hat ja die PS in der Wallonie überholt und hat sichtbar den Wind in den Segeln. Die PS hingegen ist auf Talfahrt und sucht nach wie vor nach Mitteln und Wegen, um sich in der Opposition zu profilieren.
Im Grunde hätten die Sozialisten bei den Feierlichkeiten zum Ersten Mai besser geschwiegen, meint Het Laatste Nieuws in einem giftigen Kommentar. Wie kann etwa ein Elio Di Rupo allen Ernstes behaupten, dass die Sozialisten "stören"? Wenn die PS wirklich so glaubwürdig der Föderalregierung dazwischen funken würde, warum ist sie denn in den Umfragen abgesackt? Wenn hier einer stört, dann ist es vielleicht Di Rupo selbst. Er hat möglicherweise den richtigen Zeitpunkt verpasst, in Würde abzutreten.
Wenn man die Brandreden der Sozialisten am Freitag gehört hat, dann bekam man allenfalls eine Karikatur des Landes präsentiert, meint Het Belang Van Limburg. Die Roten tun so, als lebte in Belgien nur eine Handvoll Reiche und der ganze Rest bestünde aus armen Schluckern, denen man noch das letzte Geld aus der Tasche zieht. Dass stimmt erwiesenermaßen nicht. Und das beweisen auch internationale Statistiken. Im Gegenteil: In kaum einem Land der Welt ist die Schere zwischen Arm und Reich so klein. Nur muss man eben dafür sorgen, dass das auch so bleibt. Und insofern kann man nur hoffen, dass die Sozialisten auch an die Zukunft unserer Kinder und Enkel denken.
Gazet Van Antwerpen schlägt in dieselbe Kerbe. Viele Sozialisten haben es sich am Freitag viel zu leicht gemacht. Sie wetterten gegen die angeblich "asoziale" Politik der Regierung. Das klang irgendwie so als wüssten die Roten sehr genau, was sie nicht wollen. Wenn sie das so laut zum Ausdruck bringen, dann wohl auch, weil sie eigentlich nicht wissen, was sie denn wollen. Man vermisst eine wirkliche Vision, einen Plan. Nur damit kann man die Menschen letztlich begeistern und mitreißen.
Gesucht: eine glaubwürdige Linke
Die kommunistische PTB gibt ihrerseits vor, einen solchen Plan zu haben, notiert De Standaard. Die Partei forderte am Freitag lauthals die Einführung der 30-Stunden-Woche bei vollem Lohnausgleich. Auf solche utopischen Visionen kann man aber auch getrost verzichten, meint das Blatt. Einfach nur zu argumentieren, dass mehr Arbeitsplätze die Wirtschaft befeuern, was die Mehrkosten für die Unternehmen dann schon ausgleichen wird, das ist weltfremd. Die 30-Stunden-Woche ist eine uninspirierte Rückkehr in die Vergangenheit, als es noch große Industriebetriebe gab. Diese Arbeit machen Roboter inzwischen besser. Um die Herausforderungen der Zukunft anzugehen, brauchen wir intelligentere Antworten.
Es ist im Moment eben nicht leicht, links zu stehen, analysiert Het Nieuwsblad. Wenn man mal genauer hinschaut, dann stellt man fest, dass die sozialistischen Parteien noch nie so weit in der Mitte standen. Sie scheinen sich einem vermeintlichen liberalen Mainstream fast schon zu unterwerfen. Und wer sich wirklich links positioniert, der verfällt schnell in Populismus, wie die Forderung der PTB nach einer 30-Stunden-Woche zeigt. Die Frage ist: Gibt es noch einen glaubwürdigen Platz zwischen der politischen Mitte und radikalem Populismus? Kann Links noch mobilisieren und trotzdem glaubwürdig bleiben? Vor diesem Dilemma stehen auch die belgischen Sozialisten.
Gekabbel bei der Gewerkschaft
Die Gewerkschaften, die kabbeln sich inzwischen untereinander, wie Le Soir festhält. Die sozialistische FGTB übte scharfe Kritik an den Kollegen von der christlichen CSC; die CSC versuche immer nur, die christdemokratische CD&V in der Regierung zu schonen; und bei all dem fielen die Sorgen der Arbeiter und Leistungsempfänger unter den Tisch, beklagte FGTB-Generalsekretär Marc Goblet.
Goblet war aber am Ersten Mai auch noch mit einem internen Problem konfrontiert: Die Reise von 60 FGTB-Metallern nach Kuba kommt auch bei der Basis seht schlecht an. Und Het Laatste Nieuws gießt noch Öl ins Feuer: "Der Kuba-Trip der FGBT kostet 120.000 Euro", schreibt das Blatt in fetten Buchstaben auf Seite eins. Bislang war von 100.000 die Rede gewesen. Und die Rechnung, die bezahlen in jedem Fall die Mitglieder; die Kosten für die Reise werden aus der Gewerkschaftskasse beglichen - alles inklusive.
B-Fast: Fiasko?
Viele Zeitungen beschäftigen sich auch mit der Mission der belgischen Katastropheneinsatztruppe B-Fast. Da fällt häufig ein Wort, nämlich: Fiasko. Die Belgier waren viel zu spät vor Ort und für die zweite Phase nach der eigentlichen Bergungsarbeit, waren sie nicht ausgerüstet.
Im Grunde trifft die Belgier aber da keine Schuld, meint Le Soir. All diese Fehlentwicklungen waren die Folgen von unglücklichen Umständen. Anderen Rettungsteams ist das Gleiche passiert. Das sollte uns jedenfalls nicht daran hindern, dem Land jetzt, in dieser zweiten, noch heikleren Phase, erst recht zu helfen.
La Libre Belgique sieht das ähnlich. Die B-Fast-Mission ist kläglich gescheitert. Es wäre aber ungerecht, den Fehler nur bei den Belgiern zu suchen. Viel ist dem Chaos geschuldet, das nach einer Katastrophe solchen Ausmaßes naturgemäß herrscht. Genau in diesem Zusammenhang sollte man noch einmal über eine Idee nachdenken, die schon seit Jahren im Raum steht. Warum gründet man nicht eine internationale Rettungstruppe, die unter dem der UNO-Banner agieren würde? Damit würden wohl viele organisatorische Probleme mit einem Mal gelöst. UN-Rothelme, vielleicht ist die Zeit endlich reif dafür?
Bild: Dirk Waem (belga)