"Immigration - die EU liefert eine Minimaldienstleistung", titelt La Libre Belgique. De Standaard zeigt die andere Seite der Wirklichkeit: "Anonymer Abschied", schreibt das Blatt. Zu sehen ist ein Foto von der Beerdigung von 24 Opfern der Flüchtlingstragödie vom Wochenende. Die Toten konnten nicht identifiziert werden; deshalb tragen die Särge bloße Nummern.
Die EU-Staats- und Regierungschefs haben sich am Donnerstag auf einem Sondergipfel mit der Flüchtlingsproblematik beschäftigt. "Die EU- Staaten erklären den Schleusern den Krieg; wenn es aber um die Aufnahme von Flüchtlingen geht, dann drücken sie sich", so fasst La Libre Belgique die Ergebnisse zusammen. "Aber immerhin werden die Mittel für die Seenotrettung im Mittelmeer verdreifacht", fügt De Standaard hinzu.
Viel dürftiger hätte die Bilanz nicht ausfallen können, kritisiert L'Avenir in seinem Leitartikel. Beispiel: Die EU-Staaten wollen 5.000, vielleicht auch 10.000 zusätzliche Flüchtlinge aufnehmen. Allein in diesem Jahr könnten aber bis zu 500.000 Menschen die gefährliche Überfahrt über das Mittelmehr wagen. Alleine diese Zahlen zeigen, wie weit die EU- Politiker von der Realität entfernt sind. Es ist, als würde ein Arzt einem Patienten ein Pflaster reichen, obgleich der an Krebs erkrankt ist.
"Der Gipfel der Schande"
Gazet van Antwerpen spricht vom "Gipfel der Schande". Was Europa hier der Problematik entgegensetzt, ist, wenn überhaupt, dann nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Es ist schon paradox: Die EU kann den Mitgliedsstaaten Milchquoten oder Haushaltsnormen autoritär auferlegen, sie schafft es aber nicht, Millionen Menschen in Lebensgefahr zu retten.
Die EU-Staaten versuchen nicht einmal so zu tun, als wollten sie gemeinsam und solidarisch das Problem anpacken, meint La Libre Belgique. Jeder für sich! Und alle gemeinsam in der "Festung Europa". So mancher Staatenlenker fürchtet wohl den heißen Atem der Populisten in seinem Nacken. Dabei vergessen viele, dass eine Mehrheit der Europäer wohl nicht als die Generation in die Geschichte eingehen will, die Millionen von Verzweifelten vor ihrer Haustüre hat krepieren lassen.
Man hört in diesem Zusammenhang seit 15 Jahren dieselben abstrusen Argumentationen, beklagt auch De Morgen. Nach dem Motto: Wir können keine Wirtschaftsflüchtlinge aufnehmen; man muss das Problem lösen, indem man die Verhältnisse in den Herkunftsländern verbessert, etwa über Entwicklungshilfe. Das ist von einer jämmerlichen intellektuellen Armut. Organisationen wie die Weltbank oder die OECD raten vielmehr, insbesondere der EU, zu mehr Zuwanderung. Und hier handelt es sich erwiesenermaßen nicht um eine Bande von intellektuellen Hippies.
"Nicht mit Ruhm bekleckert"
Selten wohl hat man eine solch blinde und selbstmörderische Mischung aus Zynismus und Scheinheiligkeit gesehen, wettert L'Echo. Das fängt schon damit an, dass das Problem im Grunde bereits seit zehn, fünfzehn Jahren bekannt ist, und doch muss man jetzt im Rahmen einer "Dringlichkeitssitzung" darüber beraten. Ach nein! Es gibt ja doch einen Unterschied! Es gibt inzwischen keinen Gaddafi mehr, der Flüchtlinge in Konzentrationslager steckt und den Europäern den Rücken freihält. Nachdem man also keine Handlanger mehr bezahlen kann für die Drecksarbeit, beschränkt man sich darauf, ein paar Patrouillenboote durch das Mittelmeer kreuzen zu lassen. Das ist idiotisch und darüber hinaus kriminell.
Immerhin wird es besagten Patrouillenbooten erlaubt, Schiffbrüchige zu retten, bemerkt Le Soir. Davon abgesehen: Die EU- Staaten haben sich am Donnerstag sicher nicht mit Ruhm bekleckert. Doch seien wir mal ehrlich: Sind die Staats- und Regierungschefs nicht letztlich nur ein Spiegelbild ihrer Bürger? Wer freut sich denn über einen Eritreer an der Straßenecke? Wer ist bereit, wirkliche persönliche Opfer zu bringen, um diesen Menschen zu helfen? Diese Problematik führt jedem von uns seine eigenen inneren Widersprüche vor Augen. Die manchmal tödlichen Wellen des Mittelmeers produzieren hier eben nur mediale und emotionale Wellen.
Blamage für die Kirche insgesamt - trotzdem nichts gelernt?
"Erzbischof Léonard vor Gericht verurteilt, weil er nicht gegen einen pädophilen Priester vorging", das schreibt Het Nieuwsblad auf Seite eins. "Der Fehler von Léonard: Er hat weggeschaut", so die Schlagzeile von Le Soir. Monseigneur André-Joseph Léonard ist zu einer Schadensersatzzahlung in Höhe von 10.000 Euro verurteilt worden. Im Mittelpunkt stand ein Missbrauchsfall, der knapp 30 Jahre zurückliegt. 1987 soll sich ein Priester in Aubange in der Provinz Luxemburg an einem Messdiener vergangen haben. Das mutmaßliche Opfer strengt seit Jahren Prozesse in dem Fall an. Als Bischof von Namur war Léonard zuständig für die Aufarbeitung. Und weil er sich in diesem Zusammenhang anscheinend zu passiv verhalten hat, wurde er jetzt also verurteilt.
Dieser Gerichtsentscheid ist eine Blamage für die Kirche insgesamt, glaubt Het Nieuwsblad in seinem Leitartikel. Man darf davon ausgehen, dass einige von Léonards Kollegen in Folge dieses Urteils schlecht geschlafen haben. Die Botschaft lautet nämlich: Wer die Hand schützend über Sexualstraftäter hält, der kann auch noch Jahrzehnte danach dafür belangt werden.
"Fünf Jahre nach Vangheluwe und nichts gelernt", wettert De Morgen auf Seite eins. Anscheinend hat es im Bistum Brügge erneut einen Fall von sexuellen Übergriffen eines Kirchenvertreters gegeben. Offenbar wurde das Bistum gewarnt, es passierte aber nichts. Vor fünf Jahren war der Bischof von Brügge, Roger Vangheluwe, von seinem Amt zurückgetreten, nachdem er selbst zugegeben hatte, sich an einem Minderjährigen vergangen zu haben.
Apropos Vangheluwe: Fünf Jahre nach dem Skandal um den damaligen Bischof von Brügge hat sich Het Laatste Nieuws auf die Suche nach Roger Vangheluwe gemacht, ihn aber nicht gefunden. "Nur ein paar Leute wissen, wo er ist", stellt das Blatt fest.
Bild: Matthew Mirabelli/MaltaOut (afp)