"Die Stunde des Handelns ist gekommen", titelt Le Soir. Am Donnerstag kommen die Staats- und Regierungschefs der 28 EU-Länder in Brüssel zu einem Sondergipfel zusammen. Dabei steht eine Frage im Mittelpunkt: Wie kann man Flüchtlingstragödien wie die vom Wochenende mit rund 800 Toten künftig verhindern? Anscheinend erwägen die EU-Staaten eine Neuauflage des Seenotrettungsprogramms im Mittelmeer. Wie De Morgen berichtet, will Premierminister Charles Michel auch einen belgischen Beitrag anbieten. Ein Marineschiff sei demnach startklar, um sich an Rettungsaktionen zu beteiligen. Im Raum stehen aber auch mögliche Militäroperationen gegen Schleuserbanden.
Für einige Fachleute liegt ein Teil der Lösung in Libyen. Die meisten Flüchtlingsboote starten ja von dort aus, um die Überfahrt nach Italien zu wagen. "Die Libyer treiben uns ins Meer", schreibt De Morgen auf Seite eins. So jedenfalls schildern überlebende Bootsflüchtlinge in Italien die Situation auf der anderen Seite des Mittelmeers.
"Nicht weiter wegschauen!"
Wieder so ein Fall von scheinheiliger Dringlichkeit, wettert Le Soir in einem wütenden Leitartikel. Wir erleben hier gerade ein Déjà-vu. Vor knapp anderthalb Jahren gab es schon einmal eiligst verabschiedete Notfallpläne, um die Flüchtlingstragödien im Mittelmeer einzudämmen. Und danach: nichts mehr. Offensichtlich gibt es so eine Art psychologische Schwelle, nach dem Motto: Wenn es mehr als 700 Tote gibt, dann müssen wir so tun, als würden wir handeln. Und wenn jetzt Pläne im Raum stehen, Schleuserboote zu zerstören, dann ist das allenfalls so, als würde man ein Fieberthermometer zerbrechen in dem Glauben, dass damit das Problem gelöst ist. Die Staats- und Regierungschefs dürfen sich am Donnerstag nicht weiter hinter der EU-Kommission verstecken, sie müssen endlich ihrer Verantwortung gerecht werden.
Die Mitgliedsländer sind am Zug, glaubt auch De Standaard. So lange einzelne Staaten mit beiden Füßen auf der Bremse stehen, wird Europa das Problem nicht lösen können. Aber was stellt man fest? Der britische Premier hat Angst vor UKIP; der französische Präsident will Marine Le Pen stoppen; in den Niederlanden steht ein Geert Wilders in den Startlöchern. Und dann sind sich die Europäer plötzlich in einem Punkt einig: Lasst uns einfach wegschauen.
100 Jahre Völkermord an Armeniern
"Eine immer noch offene Wunde", so derweil die Schlagzeile von La Libre Belgique. Gemeint ist damit ein anderes Drama, das sich am Freitag zum hundertsten Mal jährt. Die Rede ist vom Völkermord an den Armeniern im Osmanischen Reich, dessen Rechtsnachfolgerin die heutige Türkei ist. Ankara lehnt auch einhundert Jahre nach den dramatischen Ereignissen die Bezeichnung "Völkermord" ab. "Die Erinnerung ist wach, aber die Anerkennung lässt auf sich warten", resümiert La Libre Belgique.
Vielleicht fürchtet man immer noch Schadensersatzklagen, glaubt das Blatt in seinem Leitartikel. Dabei denken die meisten Armenier gar nicht ans Geld, sie wollen einfach nur eine Anerkennung des Völkermords, der ihre Familien ausgelöscht hat. Dabei ist die Türkei offensichtlich durchaus dazu fähig, über ihren Schatten zu springen. Das Land hat über eine Million Flüchtlinge aus dem Irak und aus Syrien aufgenommen, darunter viele Armenier. Jetzt muss das Land nur noch den Mut haben, sich seiner Vergangenheit zu stellen.
Gestern Streik, bald wieder Generalstreik?
Innenpolitisch sorgt vor allem der gestrige Streik im Öffentlichen Dienst für Diskussionsstoff. Aufgerufen zu der Protestaktion hatte allein die sozialistische Gewerkschaft CGSP. Der Dachverband FGTB denkt derweil schon über einen neuen Generalstreik nach. "Die FGTB will am 12. Mai das Land plattlegen", warnt Het Belang van Limburg auf Seite eins. "Ein neuer Generalstreik liegt in der Luft", schreibt auch L'Echo. De Standaard sieht es nicht ganz so dramatisch. Bislang stehe nur eine kleine (wallonische) Minderheit hinter dieser Forderung. "Keine Begeisterung für neuen Streiktag", so fasst es das Blatt zusammen.
Inzwischen ist längst offensichtlich, dass die sozialistische Gewerkschaft hier reine Parteipolitik betreibt, meint Het Belang van Limburg in seinem Leitartikel. Während die christliche und die liberale Gewerkschaft noch weiter auf Dialog setzen, marschieren die Roten trötend durch die Straßen. Das allerdings führt zu nichts.
Aber nein! Die rote Gewerkschaft hat doch für uns und unsere Zukunft gestreikt, frotzelt Gazet van Antwerpen. Zumindest stellen es die Arbeitnehmervertreter immer so dar. Viele Bürger empfinden das allerdings anders. Am Mittwoch mussten viele Pendler und allgemein die Steuerzahler einmal mehr in die Röhre gucken.
Ertragen, aber nicht mitgetragen
Grund dafür ist auch eine belgische Eigenheit, analysiert La Dernière Heure. Hierzulande hat der Streikposten eine lange Tradition. Heißt übersetzt: Eine kleine Minderheit kann dem Rest seinen Willen aufzwingen im Namen irgendwelcher halbgarer Prinzipien. Um dann im Anschluss einen Streik als Erfolg zu bezeichnen, den die meisten nur ertragen mussten, aber nicht mitgetragen haben.
Het Laatste Nieuws zieht seine Lehren aus dem gestrigen Streik. Man hat gesehen, dass eine einzige Gewerkschaft dazu imstande ist, den kompletten Zugverkehr lahmzulegen. Das sollte selbst dem größten Befürworter einer Minimaldienstleistung im Streikfall vor Augen geführt haben, dass er sich diese Forderung abschminken kann. Am Donnerstag ging es sogar so weit, dass der Brüsseler Nord- und auch der Zentralbahnhof komplett geschlossen waren. Eine Minimalversorgung setzt ein Minimum an gutem Willen voraus. Oder will man auch hier am Ende Soldaten einsetzen?
Von Maulwürfen und Elefanten
"Maulwürfe des Staatsschutzes bei den Telekombetrieben", so die Aufmachergeschichte von L'Echo. Das Blatt beruft sich auf ein Buch, das ein Kollege der Zeitung De Tijd geschrieben hat und das in diesen Tagen erscheint. Wichtigste Feststellung: Die Sûreté macht oft was sie will; es gebe keine externe Kontrolle. So hätten etwa über Jahre hinweg Informanten bei Telefonanbietern gearbeitet, die dem Inlandsgeheimdienst Informationen zugeschanzt hätten. So sei der Staatsschutz in den Besitz von Telefonnummern und E-Mails gelangt. Und von dieser Aktion habe kein Außenstehender gewusst, weder die Regierung, noch das Parlament.
Viele Zeitungen sorgen sich schließlich um das Schicksal eines kleinen Neuankömmlings im Zoo von Planckendael. "Neugeborenes Elefantenbaby ist ein Sorgenkind", schreibt Gazet van Antwerpen auf Seite eins. Die Mutter hat ihr Junges anscheinend verstoßen. Der Gesundheitszustand des kleinen Elefanten, dem man den Namen "Q" gegeben hat, ist offensichtlich besorgniserregend. Für den Zoo ist das eine schlechte Neuigkeit, wie Het Nieuwsblad berichtet. "Q sollte eigentlich für 300.000 zusätzliche Besucher sorgen".
Archivbild: Ettore Ferrari (epa)