"Die ganze Welt ist erschüttert", titelt Gazet van Antwerpen. "Schauderhaft", schreibt Le Soir in Blockbuchstaben auf Seite eins. Die Zeitungen sind entsetzt angesichts der neuesten Ermittlungsergebnisse im Zusammenhang mit dem Absturz der Germanwings-Maschine am vergangenen Dienstag.
Die Auswertung des Stimmenrekorders lässt die Annahme zu, dass der Copilot das Flugzeug vorsätzlich zum Absturz gebracht hat. "Da läuft es einem eiskalt den Rücken herunter", meint Le Soir. Auch Het Laatste Nieuws benutzt das Wort "eiskalt". "Im Cockpit herrschte eine prima Atmosphäre – und dann riss er doch 149 Menschen mit in den Tod", so die Schlagzeile. Als der Kapitän das Cockpit verlassen hatte, provozierte Andreas Lubitz "zielgerichtet und in eiskaltem Schweigen" den Absturz.
Suche nach Motiven des Copiloten
Das Foto des 27-jährigen Copiloten prangt heute auf vielen Titelseiten. "Andreas, der Mann, der 149 Unschuldige ermordet hat", schreibt La Dernière Heure. Het Belang van Limburg drückt es so aus: "Es saß ein Massenmörder im Cockpit". De Standaard sieht das ähnlich, formuliert es aber weniger drastisch: "De Tod flog mit im Cockpit", schreibt das Blatt auf Seite eins.
Viele Blätter versuchen, ein Porträt des Copiloten zu zeichnen. Andreas Lubitz war "ein netter Kerl". Er sei lustig und höflich gewesen, zitieren viele Zeitungen Nachbarn und Bekannte. "Der vorbildliche Pilot, der 149 Menschen in den Tod riss", resümiert Het Nieuwsblad. Niemand aus seinem Umfeld habe auch nur im Entferntesten geahnt, was der junge Mann aus Montabaur plante. Allerdings berichtet Het Nieuwsblad unter Berufung auf deutsche Medien, dass Andreas Lubitz eine schwere Depression hinter sich hatte.
Ein Psychiater und Uni-Professor aus Lüttich vergleicht die Tat mit einem klassischen Amoklauf. "Das erinnert an die Massaker in den USA", meint der Experte. Andreas Lubitz habe möglicherweise sein Umfeld, seinen Arbeitgeber oder sogar die Gesellschaft insgesamt für irgendetwas bestrafen wollen.
"Warum?"
"Warum?" – diese Frage, die sogar auf deutsch auf der Titelseite von La Libre Belgique steht, diese Frage treibt auch viele Leitartikler um. Es wäre eine große Erleichterung, wenn doch noch ein Abschiedsbrief auftauchen würde, in dem Andreas Lubitz politische Beweggründe angeben würde, meint De Standaard. Ein politisches Motiv würde zumindest die Frage nach dem "warum" beantworten. Über solche Ansichten kann man dann immer noch diskutieren. Ein Beispiel ist etwa der Anschlag von Anders Behring-Breivik in Norwegen. Seine Motive waren eindeutig und darauf kann eine Gesellschaft reagieren. Das nennt man Katharsis. Ohne erkennbare Motive ist ein Massenmord hingegen "entsetzlich sinnlos".
Leider ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass wir nie erfahren werden, was da genau im Kopf des Copiloten vorgegangen ist, notiert Het Nieuwsblad. Dabei kann man sich fragen, ob ein persönliches oder politisches Motiv wirklich eine nachvollziehbare Erklärung liefern kann, was da in den acht Minuten vor dem Absturz passierte. Im Grunde ist das alles nicht fassbar. Unbegreiflich; unerklärlich; aber zum Glück auch extrem selten.
Das ist einfach nur zu verrückt, um wahr zu sein, meint Het Belang van Limburg. Dass ein Flugzeug, das in einem technisch einwandfreien Zustand ist, doch abstürzt, und das nur, weil der Pilot das so wollte, da fehlen einem einfach die Worte.
L'Avenir glaubt, in der Geschichte tragische Ironie zu erkennen. Seit den Anschlägen vom 11. September kann man ein Flugzeugcockpit quasi von innen hermetisch abriegeln. Und genau das hat das teuflische Vorhaben des Copiloten erst möglich gemacht. Hier kam die Gefahr nicht von außen, sie saß am Steuerknüppel. Das steht symbolisch für unsere ängstliche, sicherheitsverliebte Welt. Immer wieder aufs Neue müssen wir feststellen, dass man sich eben nicht vor allen Eventualitäten schützen kann. So lange es Menschen gibt, gibt es auch die menschliche Komplexität, die sich zum Teil dem rationalen Verständnis entzieht.
Michels Eiertanz
"Warum Premierminister Michel Angst vor seinem eigenen Schatten hat", schreibt De Morgen auf Seite eins. Michel musste gestern in der Kammer Stellung beziehen zu den jüngsten Aussagen von Bart De Wever. De Wever hatte insbesondere Menschen nordafrikanischer Herkunft eine Mitschuld an den Integrationsproblemen in diesem Land gegeben. Darauf angesprochen "verurteilte der Premierminister zwar jegliche Form von Rassismus, nicht aber die N-VA", fasst es Het Laatste Nieuws zusammen.
Le Soir ist das zu wenig. Michel wiederholt unentwegt, dass er der Premierminister aller Belgier ist. Also auch der Asiaten, Marokkaner und Berber, die von der N?VA stigmatisiert und verletzt werden. Michel hat die gesellschaftliche Tragweite von De Wevers Aussagen nicht erfasst. Er glaubt wohl immer noch, dass man gesellschaftlichen Zusammenhalt allein über gute Wirtschaftsdaten erreicht.
Dass es in diesem Land ein Problem gibt, darüber besteht kein Zweifel, konstatiert De Morgen. In punkto Integration von Menschen mit Migrationshintergrund in den Arbeitsmarkt belegt Belgien im EU- und OECD-Raum den letzten Platz. Diskriminierung und Alltagsrassismus sind hundertfach dokumentiert. Diese Situation ist eine Schande; und wir reden über Bart De Wever.
Die Diskussion der letzten Tage hat uns keinen Millimeter weiter gebracht, bemerkt Het Laatste Nieuws. De Wever ist ein Meister darin, in Momenten, wo seine Partei in die Defensive gerät oder Kompromisse eingehen muss, Nebelkerzen zu zünden. Themen wie Integration oder Diskriminierung sind aber zu ernst und zu komplex für politische Spielchen.
Bild: Anne-Christine Pujoulat