Haftbefehl gegen Juwelier
"Der Juwelier muss nun selber ins Gefängnis" titelt heute Het Nieuwsblad.
De Morgen geht auf Seite 1 schon einen Schritt weiter: "Der Brüsseler Juwelier muss sich wegen des Todes seines Angreifers wohl vor einem Schwurgericht verantworten".
Die Brüsseler Staatsanwaltschaft hat gestern Haftbefehl gegen den Inhaber eines Schmuckgeschäfts in Schaarbeek erlassen. Der Juwelier war am Montagabend überfallen worden. Als die beiden Täter mit der Beute flüchteten, griff er zur Waffe und eröffnete das Feuer auf die beiden Räuber. Ein er von ihnen bekam eine Kugel in den Rücken, der andere wurde am Kopf getroffen und erlag später seinen Schussverletzungen. Für die Brüsseler Staatsanwaltschaft hat der Juwelier nicht in Notwehr gehandelt. Er wurde denn auch offiziell des Totschlags, bzw. versuchten Totschlags beschuldigt. Sollte es zu einer Anklage kommen, dann muss der Juwelier sich damit vor einem Schwurgericht verantworten, hebt De Morgen noch einmal hervor. In der Vergangenheit waren Geschäftsleute, die der Selbstjustiz bezichtigt wurden, bislang immer vor ein Strafgericht gestellt worden. Für den Juwelier bedeutet dieser Unterschied, dass er zumindest nach dem derzeitigen Stand der Dinge nicht mehr höchstens zehn, sondern bis zu 30 Jahre Haft riskiert.
Die Frage nach der Selbstjustiz
In seinem Leitartikel appelliert De Morgen an die Justiz, zumindest Verständnis für die Handlungen des Juweliers aufzubringen. Die Staatsanwaltschaft begründet den Haftbefehl gegen den Mann mit dem Argument, er habe sich nicht verteidigen müssen, sondern nur geschossen, um seinen Schmuck zurückzubekommen. Das ist allenfalls die halbe Wahrheit. Der Juwelier wusste, dass wenige Stunden zuvor ein Kollege bei einem Überfall getötet worden war. Als er plötzlich selbst mit einer Waffe bedroht wurde, sind ihm wohl die Nerven durchgegangen. Man sollte nicht vergessen, was Wut und Angst aus einem Menschen machen können. Das entschuldigt vielleicht die Todesschüsse von Schaarbeek nicht, liefert aber vielleicht eine Erklärung.
Auch Het Nieuwsblad bringt Verständnis für den Juwelier auf, allerdings nur bis zu einem gewissen Maß. Einem bewaffneten Überfall zum Opfer zu fallen, das ist offensichtlich inzwischen für Juweliere Berufsrisiko. Das ist schlimm genug. Wer aber glaubt, sich dafür bewaffnen zu müssen, befindet sich auf einem Irrweg. Den Waffenwettlauf mit Gangstern kann man nicht gewinnen. Wenn Bürger sich bewaffnen, dann bewaffnen sich Verbrecher besser; wenn brave Bürger schießen, dann schießen Gangster schneller. Das alles setzt aber voraus, dass der Staat die Sicherheit seiner Bürger garantiert. Wenn Polizei und Justiz hier versagen, dann darf es nicht verwundern, wenn die Bürger dazu tendieren, sich selbst einen Anschein von Sicherheit zu geben.
Gewalt schürt Gegengewalt, warnt auch Le Soir. Die jüngsten Tragödien in Brüssel haben allesamt eines gemeinsam: Der Auslöser für die dramatische Verkettung der Ereignisse war immer die Waffe des Geschäftsmanns. Das gilt für die Ereignisse vom Montag, das gilt auch für das tödliche Carjacking von Uccle vor rund einem Monat. Erschossen wurde die Frau mit der Waffe des Geschäftsinhabers. Man darf behaupten: Wären diese Waffen nicht im Spiel gewesen, dann hätte es wohl keine Todesopfer gegeben. Das soll aber keinesfalls bedeuten, dass man damit die Täter von jeder Schuld freispricht.
Brüssel - der Wilde Westen?
In der Zwischenzeit steht die Frage nach der Sicherheit, insbesondere in Brüssel, weiter im Raum. "Muss man Angst haben in der Hauptstadt?" fragt sich etwa La Libre Belgique auf seiner Titelseite. Das Blatt analysiert die jüngsten Kriminalitätsstatistiken und kommt zu dem Schluss: Die Situation hat sich nicht grundlegend verschlimmert.
La Dernière Heure bringt ihrerseits auf der Grundlage derselben Statistiken die Schlagzeile: "Pro Tag werden 60 Geschäfte überfallen". Innerhalb von zwei Jahren sei die Zahl der bewaffneten Überfälle um ein Fünftel gestiegen. Was tun? - fragen sich einige Zeitungen. Het Belang van Limburg stellt fest: Jetzt wird wieder der Ruf nach einer erhöhten Polizeipräsenz in den Straßen laut. Das allerdings haben wir schon beim letzten Mal gehört und werden wir auch beim nächsten Mal wieder hören. Es reicht nicht, mehr Polizisten zu fordern, man muss es auch umsetzen.
Für Gazet van Antwerpen wäre allerdings eine Erhöhung der Polizeipräsenz ohnehin nur die halbe Miete. Wir haben ein gesellschaftliches Problem, meint das Blatt. Wenn Jugendliche in St. Gilles aus Solidarität mit ausgewiesenen Verbrechern Unruhen anzetteln, wenn sie Kriminelle wie Helden verehren, dann hat sich in gewissen Brüsseler Vierteln die Norm verschoben.
De Standaard geht noch einen Schritt weiter: Brüssel ist entgleist. Gewalt ist an der Tagesordnung. Selbst wenn man die Polizeidienste personell aufstockt, wird das die Probleme nicht grundlegend ändern. Die Brüsseler Behörden haben die Situation verrotten lassen. Ohne einen Plan, um Jugendliche von der Straße zu holen und ihnen neue Perspektiven zu geben, ohne eine gezielte Bekämpfung der Parallelwirtschaft in gewissen Vierteln, wird sich nichts ändern.
Und das Schicksal von Brüssel geht uns alle an, fügt Het Laatste Nieuws hinzu. Vielleicht ist es nicht ganz falsch, die Brüsseler Verantwortlichen und ihre Politik für die Missstände verantwortlich zu machen. Doch bringt uns Verachtung auch nicht weiter. Brüssel ist immer noch ein wichtiger Motor, und das für ganz Belgien.