"Regierung in der Zwickmühle", titelt De Standaard. "Föderales Kabinett unter Druck", meint Le Soir. "Kein weißer Rauch in Sicht", schreibt Het Laatste Nieuws. Nach Ansicht der Zeitungen muss Premierminister Charles Michel am Freitag ein kleines Wunder vollbringen. Die Gewerkschaften drohen bereits mit einer neuen Protestwelle nach dem Wochenende, sollte die Regierung das Vorabkommen der Sozialpartner zur Frührente nicht umsetzen. Vor allem der größten Mehrheitspartei, der N-VA, gehen die Forderungen aber zu weit.
Außerdem stehen sie im Widerspruch zum Koalitionsvertrag. Der sieht ja die Aktivierung aller Arbeitssuchenden vor- auch der älteren Generation. Die Zehnergruppe aus Arbeitgebern und Gewerkschaften hatten sich aber darauf verständigt, dass Frührentner und ältere Arbeitslose nicht aktiv nach einem neuen Job suchen müssen - wie es vor der Reform zu Jahresbeginn der Fall war.
Gewerkschaften und Arbeitgeber: scheinheiliges Getue
Mit der Frührente hatten sich sowohl Arbeitgeber als auch Gewerkschaften angefreundet, erklärt De Morgen. Unternehmen konnten so bei Umstrukturierungen ihre teuren Mitarbeiter mit vielen Dienstjahren relativ einfach loswerden. Die Gewerkschaften dagegen konnten ihren Mitgliedern einen frühzeitigen Ausstieg aus dem Berufsleben mit nur geringem Einkommensverlust anbieten. Die Rechnung zahlte am Ende immer der Steuerzahler.
Es ist ein regelrechtes Dilemma, meint die Zeitung. 60-jährige Arbeitslose oder Frührentner haufenweise Bewerbungen schreiben lassen, obwohl es nachweislich keine Jobs für sie gibt, das grenzt schon fast an Mobbing. Auf der anderen Seite hat aber auch die Regierung Recht, wenn sie meint, dass dieses System auf lange Sicht nicht mehr finanzierbar ist. Angesichts der immer älter werdenden Bevölkerung können wir nicht weiter vor dem Erreichen des 60. Lebensjahres dem Arbeitsmarkt den Rücken kehren. Das müssen auch die Arbeitnehmervertreter verstehen.
Het Laatste Nieuws meint: Die Erpressung der Regierung durch die Gewerkschaften und die neuen Streikdrohungen sind empörend. Das scheinheilige Getue der Arbeitgeber aber auch, findet das Blatt. Die bieten älteren Menschen nämlich kaum Jobs, setzen langjährige Mitarbeiter auf die Straße und wälzen die Kosten auf die Allgemeinheit ab.
Regierung muss punkten
Het Belang Van Limburg hält fest: Die Rolle der Zehnergruppe aus Arbeitgebern und Gewerkschaften ist es eigentlich, die Regierung zu beraten. Nicht eine Reform der Frührente zu verabschieden. Das ist Aufgabe der demokratisch gewählten Mehrheit. Denn weder die Arbeitgeber noch die Gewerkschaften sind vom Volk bestimmt worden.
Sollte die Regierung am Freitag eine wie auch immer gelagerte Einigung erzielen, würde sie wichtige Punkte einstreichen, meint Gazet Van Antwerpen. De Standaard fügt hinzu: Hätte die Koalition den Sozialpartnern nicht von Anfang an so vor den Kopf gestoßen, dann hätte sie sich viele Sorgen erspart.
Wo bleibt die Bundestreue?
"Der Grabenkampf zwischen wallonischer und föderaler Regierung", titelt La Libre Belgique. "PS und MR: Der Krieg der Kabinette", schreibt Le Soir auf Seite eins. Seit Wochen werfen sich die beiden größten französischsprachigen Parteien die Akten gegenseitig an den Kopf: Indexsprung bei den Mietpreisen, Abschaffung des wallonischen Thalys' und Reichensteuer sind die bekanntesten Beispiele dafür. Auf föderaler Ebene regiert ja die liberale MR, in der Wallonie ist die sozialistische PS an der Macht. Wo bleibt die Bundestreue?, fragt sich Le Soir.
Politische Spielchen sind an der Tagesordnung. Die Bürger, die in diesem komplizierten institutionellen Labyrinth den Durchblick völlig verloren haben und der Politik nicht mehr vertrauen, bleiben mal wieder auf der Strecke. Wenn PS und MR sich nicht bald am Riemen reißen, sind sie es, die den Konföderalismus à la N-VA in Belgien einführen werden. Auch La Libre Belgique fordert, dass die beiden Parteien im Sinne aller Belgier handeln. Zwar gibt es einen Konzertierungsausschuss in dem föderale Ebene und Teilstaaten zusammenkommen, doch durch die konkurrierenden Regierungen erweist sich das Gremium als suboptimal, bedauert die Zeitung. Was Belgien braucht, ist mehr Bundestreue und ein föderaler Wahlkreis.
Klüngel, Korruption und Größenwahn
Laut De Morgen gibt es Zoff an der Spitze der SNCB. Bahnchef Jo Cornu und Verwaltungsratsvorsitzender Jean-Claude Fontinoy kommen demnach überhaupt nicht mehr miteinander aus. In einer E- Mail von Cornu an Fontinoy, die die Zeitung einsehen konnte, wirft der Bahnchef seinem Verwaltungsratsvorsitzenden Klüngel, waghalsige Geschäfte und möglicherweise sogar Korruption vor. So soll Fontinoy das SNCB-Tochterunternehmen Eurostation für Immobiliengeschäfte in Indien eingespannt haben.
Verkehrsministerin Jacqueline Galant erklärt unterdessen in La Dernière Heure, dass die SNCB heute unter dem Größenwahn ihrer PS-Vorgänger leidet. Sie kritisiert unter anderem die sündhaft teure Neugestaltung der Bahnhöfe von Lüttich und Mons. Dadurch müssten jetzt Zugverbindungen wie der wallonische Thalys gestrichen werden, so die MR-Ministerin.
Illustrationsbild: Nicolas Lambert (belga)