"Alles, was Sie über den Indexsprung wissen müssen", titelt La Libre Belgique. "Der Indexsprung facht die sozialen Spannungen wieder an", so die Schlagzeile von Le Soir.
Die Regierung hat gestern den Indexsprung besiegelt. Der Ministerrat verabschiedete ein Gesetzesprojekt, wodurch die Kopplung der Bezüge an die Preisentwicklung einmalig ausgesetzt wird. Heißt also: Die Löhne und Sozialleistungen werden bei der nächsten Überschreitung des Schwellenindex' nicht erhöht. Die Regierung will damit die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen erhöhen.
La Libre Belgique versucht, alle Winkel dieser Maßnahme auszuleuchten: Was bedeutet die Maßnahme im Einzelnen? Gilt der Indexsprung auch für Mieten? Kann die Maßnahme umgangen werden? Und die vielleicht wichtigste Frage: Bedeutet das jetzt, dass wieder Streiks und Protestkundgebungen anstehen?
Pro und Contra Indexsprung
Für Le Soir ist diese Gefahr durchaus gegeben. Die Gewerkschaften betrachten die Entscheidung der Regierung als eine Kriegserklärung. Insbesondere die FGTB schließt neue Protestaktionen nicht aus. Die christliche CSC plant demgegenüber derzeit keinen neuen Arbeitskampf. Das Fazit von Le Soir: "Der Indexsprung dürfte erst mal keine neue neuen Streiks zur Folge haben."
Über Sinn oder Unsinn des Indexsprungs sind die Leitartikler gespalten. Le Soir hält die Maßnahme für eine "schlechte gute Idee". Wir wissen längst, dass der Indexsprung nur sehr bedingten Einfluss auf die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen haben dürfte. Und das erst recht in Zeiten von Null-Inflation. Um die Unternehmen wirklich konkurrenzfähiger zu machen, bedarf es ganz anderer Maßnahmen: Innovation muss im Vordergrund stehen. Indem sie doch am Indexsprung festhielt, hat die Regierung zu allem Überfluss aber auch noch das Gesprächsklima insgesamt vergiftet. Der Equipe Michel waren offensichtlich Ideologie und symbolträchtige Entscheidungen wichtiger als wirklich effiziente Politik.
La Libre Belgique hingegen sieht das nicht ganz so eng. Die Regierung hat diverse Maßnahmen vorgesehen, um die Folgen des Indexsprungs abzufedern. Hinzu kommen die außergewöhnlich niedrigen Ölpreise. Die finanziellen Auswirkungen für die Bürger halten sich also eigentlich in Grenzen. Und wenn die Maßnahme am Ende sogar noch dafür sorgt, dass tausende neue Arbeitsplätze geschaffen werden, dann stimmt die Gleichung, dann entspricht der gesellschaftliche Nutzen den gebrachten Opfern.
Kabbel-Kabinett
Zwar war der Indexsprung schon seit längerer Zeit angekündigt, und doch war der Entscheidung wieder ein Streit innerhalb der Koalition vorausgegangen. Der CD&V-Vizepremier Kris Peeters hatte gefordert, dass auch die Mieten in den Indexsprung miteinbezogen werden, dass die Mieten ebenfalls einmalig nicht erhöht werden dürften. Die Entscheidung in dieser Frage steht aber noch aus. Hauptgrund ist, dass die flämische Regionalregierung darauf pocht, dass sie für die Mieten in Flandern zuständig ist. "Der Premier weiß auch nicht mehr weiter", bemerkt dazu De Standaard.
Viele Leitartikler haben inzwischen die Nase voll von dem Dauerstreit zwischen CD&V und N-VA. Jetzt gibt es in Flandern und auf der föderalen Ebene schon dieselben Mehrheiten und doch weiß da die rechte Hand offensichtlich nicht, was die linke tut, wettert Gazet van Antwerpen. Schon seltsam jedenfalls, dass beide Machtebenen erstmal klären müssen, wer denn jetzt für die Mieten eigentlich zuständig ist. Der Streit zwischen zwei Parteien scheint also inzwischen sogar in einen Machtkampf zwischen der flämischen und der föderalen Regierung auszuarten.
Man nennt die Regierung Michel nicht umsonst das "Kabbel-Kabinett", frotzelt De Morgen. Und im Grunde ist das noch ein Euphemismus. Wer sich so streitet, wie es die Koalitionspartner ständig tun, der braucht im Grunde keine Opposition mehr. Inzwischen kann man aber zumindest eine Legende zu den Akten legen: Insbesondere Bart De Wever hat immer suggeriert, dass es einen geeinten Rechtsblock in Flandern gebe, so eine Art Unterströmung. Und an allen Missständen waren die Sozis Schuld. Jetzt sind besagte vermaledeite Sozialisten in der Opposition - Resultat: Die angeblich so geeinten Mitte-Rechts-Parteien schlagen sich gegenseitig die Köpfe ein. Dass eine Regierung Startschwierigkeiten hat, ist nicht unüblich. Einen solchen internen Krieg hatten wir allerdings noch nie.
Mobbing von Frührentnern
Nach dem Indexsprung wartet möglicherweise schon das nächste sensible Dossier auf die Regierung: Mehr und mehr regt sich Widerstand gegen die Entscheidung, wonach Frührentner bis zum Alter von 60 Jahren nun doch wieder dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stehen müssen. Das hatte sogar schon zur Folge, dass gewisse von ihnen ihre Altersresidenz im Ausland erstmal wieder verlassen mussten, um nach Belgien zurückzukehren. "26.000 Frührentner müssen wieder Arbeit suchen, das ist Vertragsbruch!", beklagt ein Betroffener in De Standaard.
Und die Zeitung schließt sich dieser Kritik an. Diese Menschen haben vor einigen Jahren im Zuge einer Umstrukturierung in ihren Unternehmen freiwillig aufgehört zu arbeiten. Damit haben sie möglicherweise verhindert, dass ein junger Kollege auf die Straße gesetzt werden musste. So mancher dürfte diese Entscheidung jetzt bereuen. Das Problem ist, dass die Regierung diesen 26.000 Menschen ohnehin keinen Job anbieten kann. Insofern muss man diese Maßnahme als das bezeichnen, was sie ist: Mobbing.
Der Ozon-Doktor
Heute beginnt die belgische Radsportsaison, vor allem die flämischen Zeitungen fiebern darauf hin. Aber zunächst geht es dabei um unschöne Dinge: "23 Sportler clean, eine DNA-Probe positiv", schreibt Het Laatste Nieuws auf Seite eins. Hier geht es um die Ermittlungen gegen den sogenannten "Ozon-Doktor" Chris Mertens. Der hat - wie auch immer - Blut angereichert, eben um die Leistungen von Sportlern zu erhöhen. Jetzt war nur die Frage: Um welche Sportler handelt es sich? Man hat also Blutinfusionen, die man in der Doping-Küche gefunden hat, mit der DNA von 24 verdächtigen Sportlern verglichen: 23 waren clean, nur einer war demnach gedopt. Het Laatste Nieuws nennt diese Ausbeute "dürftig", die Ermittlungen seien wohl auf Sand gebaut, meint das Blatt.
Um Doping geht es auch auf Seite eins von Het Nieuwsblad: "Top-Favorit unter Dopingverdacht", titelt die Zeitung. Heute gibt es gleich den ersten Höhepunkt der belgischen Radsaison, nämlich den "Omloop Het Nieuwsblad", und einer der Favoriten, nämlich Greg Van Avermaet, ist im Visier der Dopingfahnder. Anscheinend hat hier auch wieder der "Ozon-Doktor" seine Finger im Spiel, wie Het Nieuwsblad schreibt.
Wir hätten Greg Van Avermaet gerne auf dem Siegertreppchen gesehen, meint Het Nieuwsblad, nach dem das Radrennen nicht umsonst benannt ist. Diese Zeitung ist radsportbegeistert, betont der Leitartikler. Genau deswegen lehnen wir aber auch jede Form von illegalen leistungssteigernden Mitteln ab. Wer den Radsport wirklich liebt, der muss alles dafür tun, dass der Sport sauber bleibt.
Bild: Nicolas Maeterlinck/BELGA