"DSK: Die große Enthüllung", titeln L'Avenir und La Libre Belgique. Das ist eine mehrdeutige Schlagzeile. Der ehemalige Chef des Internationalen Währungsfonds, Dominique Strauss-Kahn, der als Freund von Sex-Orgien gilt, hat gestern erstmals in dem Prozess persönlich ausgesagt. Auf der Fahrt zum Gericht wurde sein Wagen von entblößten Aktivistinnen der Organisation Femen gestoppt. Bilder dieser Aktion sieht man heute auf mehreren Titelseiten.
DSK wird insbesondere Zuhälterei zur Last gelegt. Er selbst hat jedoch alle Vorwürfe zurückgewiesen. Er bezahle nicht für Sex, vielmehr "feiere er gerne", zitieren ihn Le Soir und La Libre Belgique auf Seite eins.
Der König unter Dorf-Aristokraten
Was für eine absurde Situation, meint Le Soir. Da sitzt ein Mann, der von sich selber sagt, dass er den Planeten vor einer Wirtschaftskrise bewahrt hat, die schlimmer gewesen wäre als die von 1929. Und eben dieser zweifelsohne brillante Politiker muss sich vor einem Gericht in der tiefsten Provinz verantworten. Neben ihm auf der Anklagebank sitzen jämmerliche Gestalten, Dorf-Aristokraten, die dem Mann angeblich Mädchen zuführten. Gleich wie der Prozess ausgeht, spätestens seit gestern weiß man, dass DSK seine verlorene Ehre niemals wieder zurück erlangen wird.
Auch La Dernière Heure kann nur mit dem Kopf schütteln. Auf der einen Seite gab es den Dominique Strauss-Kahn, der sich damit brüsten wollte, mit den Mächtigen der Welt zu frühstücken. Und derselbe DSK zog nachts in einem Provinznest wie Lille um die Häuser, ohne Bodyguards, ohne sich auch nur im Ansatz seinem Amt gemäß zu verhalten. Fazit: DSK hat nicht nur viele Frauen schlecht behandelt, sondern auch sich selbst.
Schizophrene CSC
Im Mittelpunkt steht aber vor allem das Klima an der Sozialfront. "Ist der Soziale Frieden schon wieder vorbei?", fragt sich etwa De Morgen. "Es gibt ein Sozialabkommen, aber keinen Sozialen Frieden", schreibt De Standaard. Es ist so: Die christliche Gewerkschaft CSC hat zwar dem jüngsten Sozialabkommen, wenn auch nur mit knapper Mehrheit, zugestimmt. Zugleich will man aber mit den Kollegen von FGTB und CGSLB über neue Protestaktionen beraten. Bei den Arbeitgebern stößt diese Haltung auf Unverständnis. Hier werde ein gerade abgeschlossenes Abkommen quasi postwendend aufgekündigt, wettert Karel Van Eetvelt, der Chef der Selbstständigen-Vereinigung Unizo, in De Morgen.
Für Het Nieuwsblad ist klar: Das eine erklärt das andere. Die CSC weiß um ihre innere Zerrissenheit; die Ankündigung neuer Proteste war im Grunde nur ein Zugeständnis an die Unentschlossenen, um sie zur Zustimmung zu bewegen.
Die CSC hat damit letztlich ihren Verantwortlichen die Schmach einer Desavouierung erspart, bemerkt De Morgen. Hätte die Basis das Sozialabkommen abgeschossen, dann hätten die CSC-Chefunterhändler wohl in der Unterhose dagestanden. Und auch für die Regierung zählt nur das Resultat. Zwei der drei Gewerkschaften haben dem Tarifabkommen zugestimmt, damit kann die Regierung dem Text jetzt Gesetzeskraft geben. Die Regierung klammert sich an den Sozialen Frieden, wenn er auch nur vorläufig ist.
Auch Het Nieuwsblad beschäftigt sich mit der schizophrenen Haltung der CSC. Die Antwort der christlichen Gewerkschaft lautet: "Ja, aber auch nein." Nicht nur für die CSC-Verantwortlichen ist die Abstimmung ein historischer Tiefpunkt, auch für die CD&V, die Partei des Arbeitsministers Kris Peeters, ist das Ergebnis eine Blamage. Nach all dem Getrommel für das Sozialabkommen konnte man gerade einmal 52 Prozent der CSC-Basis auf seine Seite ziehen. Im Grunde lässt das nur eine Schlussfolgerung zu: Sozialen Frieden wird es wohl so schnell nicht geben.
Tax-Shift zur Verhinderung neuer Streiks?
"Die Gewerkschaften machen wieder mobil und erwägen neue Streiks", warnt jedenfalls Le Soir. La Dernière Heure wird konkreter: "Die FGTB droht mit einem Generalstreik Ende April".
In einer ersten Phase wird man wohl mit Sensibilisierungsaktionen rechnen müssen, glaubt La Libre Belgique. Vor allem der Indexsprung lässt die Gewerkschaften nicht ruhen. Der Punkt ist: Eine neue Streikaktion würde ihr Ziel verfehlen. Nicht die Regierung, sondern vor allem die Unternehmen würden dadurch hart getroffen. Was nicht heißt, dass es nicht an der Regierung liegt, die Wogen zu glätten. Dieses Land braucht unbedingt einen Tax-Shift.
In dieser Forderung sind sich quasi alle Leitartikler einig. Die Regierung muss die Steuerlast gerechter verteilen, glaubt Gazet van Antwerpen. Weniger Abgaben auf Arbeit, dafür mehr das Kapital besteuern. In diesem Zusammenhang hatte Finanzminister Johan Van Overtveldt nur noch Öl ins Feuer gegossen, als er am Wochenende den Tax-Shift quasi mit einer Mehrwertsteuererhöhung gleichsetzte. Die würde dann nämlich gleich wieder alle treffen.
Im jetzigen Kontext dürfte die Regierung damit aber nicht durchkommen, glauben L'Avenir und auch De Morgen. Die Affären LuxLeaks und SwissLeaks, die Tatsache, dass Marc Coucke beim Verkauf seines Unternehmens Omega Pharma einen Milliardenbetrag steuerfrei einsackt, all das hat zu einer neuen Sensibilisierung geführt. Viele, ob nun im Norden oder im Süden des Landes, sind inzwischen davon überzeugt, dass die derzeitige Sparpolitik unausgewogen ist.
Sogar die Wirtschaftszeitung L'Echo kann diese Feststellung unterschreiben. Ziel der Regierung muss fiskale Gerechtigkeit sein. Und dabei darf es keine Tabus geben. Man sollte jedenfalls prinzipiell auch nicht eine Steuer auf spekulative Börsen-Mehrwerte von vornherein ausschließen. Und auch an einem Indexsprung muss die Regierung nicht koste es was es wolle festhalten.
Viele Zeitungen kommen zum selben Schluss: Ob der Soziale Frieden hält oder nicht, das hat die Regierung in der Hand.
Bild: Denis Charlet/AFP