"Wer sind diese Belgier, die sich für den Dschihad entschieden haben?", fragt sich La Libre Belgique auf Seite eins. Het Nieuwsblad präsentiert "den Mann, der ein Blutbad unter Polizisten anrichten wollte". "Das vereitelte Attentat wurde von der Terrororganisation IS im Auftrag gegeben", weiß La Dernière Heure.
Viele Zeitungen stellen sich heute zunächst die Frage, wer wohl genau hinter der ausgehobenen Terrorzelle gesteckt haben könnte. Die Blätter kommen da zu recht unterschiedlichen Schlussfolgerungen. Het Laatste Nieuws und La Dernière Heure bringen ein Foto, das zwei junge Männer in Kampfmontur zeigt. Hierbei soll es sich um die beiden Verdächtigen aus Verviers handeln, die bei der Erstürmung ihrer Wohnung getötet wurden. Das Foto wurde offenbar von Sympathisanten der Terrororganisation IS in sozialen Netzwerken gepostet. "Die Helden", titelt dazu Het Laatste Nieuws. Zumindest werden die beiden Männer von ihren Gesinnungsgenossen als solche bezeichnet.
Auch Het Nieuwsblad glaubt, zumindest einen der mutmaßlichen Terroristen von Verviers identifiziert zu haben. Dabei soll es sich um den 25-jährigen Souhaib El Abdi handeln, genannt Sousou. Das Blatt beruft sich auf angeblichen Aussagen des dritten Verdächtigen, der den Anti-Terror-Einsatz in Verviers überlebt hatte.
La Dernière Heure hat seinerseits nach den möglichen Hintermännern gefahndet. Die Zeitung bringt dazu eine exklusive Aufmachergeschichte. Titel der Story: "Das Attentat wurde von der Terrororganisation IS in Auftrag gegeben". Das Gehirn hinter der Terrorzelle soll demnach Abdelhamid Abaaoud sein. Der Mann aus Molenbeek soll sich im Augenblick in Griechenland oder in der Türkei aufhalten. "Hier ist er, der Mann, der Belgien terrorisieren will", schreibt das Blatt.
Im Grunde zeigen die teilweise grundverschiedenen Informationen aber allenfalls, dass die Hintergründe der vereitelten Anschläge in Belgien noch völlig unklar sind.
Zwölf Maßnahmen gegen Terror und Radikalisierung
Die Regierung hat am Freitag jedenfalls mit einem Aktionsplan auf die terroristische Bedrohung reagiert. "Massive Antwort auf dem Terror", titelt De Standaard. Es ist ja so, dass die Regierung zwölf Maßnahmen verabschiedet hat, um Terrorismus und Radikalismus besser bekämpfen zu können. Dazu gehören zum Beispiel erweiterte Möglichkeiten zur Telefonüberwachung. Ebenso wird die strafrechtliche Definition von "Terrorismus" ausgedehnt, heißt also: Es soll einfacher werden, Verdächtige auch tatsächlich wegen Terrorismus anzuklagen. Die wohl sichtbarste Maßnahme ist aber, dass künftig ab Terrorwarnstufe drei auch Soldaten im öffentlichen Raum eingesetzt werden können, um etwa Gebäude zu schützen.
"Belgien gibt sich beeindruckende Mittel im Kampf gegen den Terrorismus", schreiben denn auch L'Avenir und Le Soir auf Seite eins. "Jetzt übernehmen die Paras", titelt Gazet van Antwerpen. Insbesondere in Antwerpen sollen ja schon ab Samstag Fallschirmjäger eingesetzt werden, um Risikozonen zu bewachen.
Was in Frankreich inzwischen in Krisensituationen normal ist, das ist in Belgien sehr außergewöhnlich. Es ist das erste Mal in 30 Jahren, dass die Armee wieder im öffentlichen Raum eingesetzt wird, wie De Standaard berichtet. Zuletzt waren Soldaten 1985 mobilisiert worden, um öffentliche Einrichtungen zu schützen. Hintergrund waren seinerzeit die Anschläge der Kommunistischen Kampfzellen, kurz CCC.
Müssen Soldaten bei der Bewachung helfen...
Ist das wirklich eine gute Idee?, fragen sich viele Zeitungen. La Dernière Heure etwa ist davon überzeugt. Die Maßnahmen der Regierung sind unbedingt notwendig, wahrscheinlich sogar unzureichend. Die Polizei wirkt im wörtlichen wie im übertragenen Sinne wehrlos gegen die terroristische Bedrohung. Auf der einen Seite ist sie unmittelbares Terrorziel, auf der anderen Seite fehlt es an allen Ecken und Kanten an personellen und materiellen Mitteln. Aber immerhin wird die Bedrohung jetzt endlich ernst genommen.
Wir sind im Krieg und wir müssen uns auch die Mittel geben, uns zu verteidigen, glaubt auch La Libre Belgique. Und erste Aufgabe des Staates ist es eben, die Sicherheit der Bürger zu gewährleisten. Die Reaktion der Regierung Michel ist in dem Sinne angemessen. Das Maßnahmenpaket wirkt jedenfalls auf den ersten Blick ausgewogen. Das Ganze macht aber nur Sinn, wenn man sich noch auf zwei andere Bereiche konzentriert: Neben dem Schutz der Bevölkerung bedarf es auch der Prävention und der Repression.
Die Regierung will offenkundig die Bürger beruhigen, konstatiert Het Laatste Nieuws. Auf der einen Seite mag das eine angepasste Antwort auf ein durchaus spürbares Angstgefühl sein. Auf der anderen Seite können Soldaten im Straßenbild aber auch genau diese Spirale weiter anheizen. Aber dennoch: Die Armee soll uns in diesen Tagen ein Gefühl von Sicherheit geben. Und wenn es nur ein Gefühl ist.
… oder tragen sie nur zur Verunsicherung bei?
Die Frage ist in der Tat, was die Bürger mehr beunruhigt, Terroristen oder Soldaten, glaubt auch De Standaard. Als 1985 schwerbewaffnete Soldaten im Straßenbild auftauchten, als Reaktion auf die Anschläge der CCC, da sorgte das dafür, dass die Verunsicherung bei den Bürgern nur noch größer wurde. Damals hat man die Soldaten schnell wieder abgezogen. Mal schauen, ob die Bürger von heute auf die Paras von heute anders reagieren.
De Morgen wirft einen mulmigen Blick auf die Maßnahmen der Regierung. Offenbar leben wir in einer Gesellschaft, die die Illusion von 100-prozentiger Sicherheit quasi zur Staatsreligion erklärt hat. Wenn das die dominante Denkrichtung ist, dann ist es nur noch eine Frage der Zeit, bis die komplette muslimische Gemeinschaft vollkommen ausgegrenzt wird. Natürlich müssen wir nicht die zweite Backe hinhalten, müssen wir nicht naiv und angreifbar sein.
Die Angst kann aber dazu führen, dass wir eines Morgens in einer Gesellschaft wach werden, die uns konstant über die Schultern schaut. Mehr denn je gilt also, dass wir einen kühlen Kopf bewahren müssen.
Im Grunde ist es aber schon zu spät, glauben einige Leitartikler. Was ist das Ziel eines Terroristen?, fragt sich etwa Het Nieuwsblad. Es geht wohl nur vordergründig um das Sprengen von Gebäuden oder das Töten von Menschen. Was die Terroristen wirklich interessiert, das ist die Reaktion auf ihre Taten. Insofern kann selbst ein vereiteltes Attentat am Ende dazu führen, das die Terroristen ihr eigentliches Ziel erreichen.
Belgien bringt jedenfalls in diesen Tagen den Beweis, dass auch ein Attentat, das nicht stattgefunden hat, seine Wirkung nicht verfehlt. Soldaten einzusetzen mag punktuell durchaus nötig sein, wir sollten aber eigentlich versuchen, so schnell wie möglich zur Tagesordnung zurückzukehren.
Never waste a good crisis
Die Regierung hat im Endeffekt die Gunst der Stunde genutzt, glaubt Le Soir. Het Belang Van Limburg drückt es so aus: Never waste a good crisis, verschwenden Sie nie eine gute Krise. Anders gesagt: Die Regierung setzt jetzt eine Reihe von Maßnahmen um, die schon länger in der Pipeline waren, die aber im Normalfall im Parlament wohl zu mitunter hitzigen Debatten geführt hätten, zumindest einige von ihnen.
Im Augenblick einer terroristischen Bedrohung wagt es aber keiner, diese zum Teil nötigen Diskussionen zu führen. Es weht also ein etwas übelriechender Wind durch das Land, der durch diffuse und unvernünftige Ängste verstärkt wird, meint Le Soir. Charles Michel appelliert an die Bürger, jetzt nicht in eine Psychose zu verfallen; das kann er sich sparen: Die Psychose ist schon da.
Bild: brf