"La terreur", titelt die flämische Zeitung De Morgen auf Französisch. "Terror nimmt Paris als Geisel", schreibt De Standaard auf Seite eins. "Schockzustand!", steht in Blockbuchstaben auf der Titelseite von La Libre Belgique.
In Frankreich hat die Terrorwelle gestern Nachmittag ihren schrecklichen Höhepunkt erreicht. Genau in dem Moment, wo man glaubte, dass die Flucht der Charlie Hebdo-Attentäter beendet war, kam es zu einer neuen Attacke. Im Osten von Paris ereignete sich eine Geiselnahme.
Verantwortlich dafür war der 32-jährige Amédy Coulibali, der zuvor auch schon in der Pariser Banlieue eine Polizistin kaltblütig erschossen hatte. Coulibali soll die Attentäter von Charlie Hebdo gekannt haben. Es sieht also so aus, als seien beide Ereignisse nicht zufällig genau zur selben Zeit passiert. Gegen 17 Uhr griff die Polizei zu. Erst versuchte man, die beiden Charlie Hebdo-Attentäter zu überwältigen, dabei wurden die beiden Brüder getötet. Und dann beendete die Polizei auch die Geiselnahme von Paris. Dabei kam ebenfalls der Täter ums Leben. Später zeigte sich aber, dass auch vier Geiseln diesen Anschlag nicht überlebt haben.
Blutiger Höhepunkt
L'Avenir spricht denn auch vom "blutigen Ende einer Hetzjagd". "Drei Tage Terror enden mit einem Drama", schreibt auch Gazet van Antwerpen auf Seite eins. Für Het Belang van Limburg wurde gestern ein "blutiger Höhepunkt" erreicht.
Unter den Pariser Geiseln war auch eine Belgierin. "Belgische Frau und Baby überleben die Hölle", schreibt Het Laatste Nieuws auf Seite eins. Anscheinend hatten sich die beiden in einem Kühlraum versteckt. Het Laatste Nieuws zeigt auch ein Foto, das nach ihrer Befreiung aufgenommen wurde. Die Frau wirkt eher erleichtert als schockiert.
La Dernière Heure jedenfalls zieht auf Seite eins die traurige Bilanz: 20 Tote und dutzende von Verletzten innerhalb von drei Tagen. Ist das das Ende des Albtraums?, fragt sich das Blatt.
In ganz Europa sind jedenfalls die Sicherheitsbehörden in erhöhter Alarmbereitschaft. Die Terrororganisation IS hat jedenfalls schon mit neuen Anschlägen im Westen gedroht, wie De Standaard auf seiner Titelseite berichtet.
Leitkultur gegen Polarisierung?
Und jetzt?, fragt sich L'Avenir in seinem Leitartikel. Wie sollen die Regierungen in Frankreich und in den anderen europäischen Staaten auf die Terrorwelle reagieren? Gleich welche Maßnahmen sie ergreifen, am wichtigsten ist es, dass wir die Einheit unserer Gesellschaften bewahren. Hier darf keinesfalls eine Religionsgemeinschaft pauschal verurteilt werden. Sondern einzig und alleine der Terrorismus. Zentral ist die Frage, wie man die Radikalisierung junger Menschen verhindern kann.
Es ist nicht der Zeitpunkt, Hass mit Hass zu beantworten, glaubt auch De Standaard. Aber wir sollten auch nicht naiv sein: Kundgebungen zur Verteidigung der westlichen Werte reichen nicht. Wir müssen zugleich den gesetzlichen Handlungsspielraum zum Kampf gegen Dschihadismus und Radikalisierung erweitern. Die europäischen Staaten müssen ihren Informationsaustausch deutlich verbessern. Eine offene Gesellschaft darf nicht gleichbedeutend sein mit einer weichen Gesellschaft.
Het Laatste Nieuws plädiert seinerseits für eine Art Leitkultur. Man muss so ehrlich sein und feststellen, dass diese Art von Gewalt ihre Wurzeln hat in einer pervertierten Auslegung des Korans. Und darüber muss man sprechen dürfen. Die Linken bezichtigen diejenigen, die wie Bart De Wever dieses Thema ankarten wollen, immer gleich mit dem Holzhammer der "Polarisierung". Solange aber die politische Linke die Debatte über den Islam verweigert, überlässt sie das Thema allein den Rechten und Rechtsextremen. Wir müssen den Mut haben, zu definieren, was uns vereint.
Lichtblicke oder Eskalation?
De Morgen glaubt, Lichtblicke zu erkennen. Im Gegensatz zu vorherigen Anschlägen hört man diesmal nicht die Forderung, wonach die muslimische Gemeinschaft lautstark den islamistischen Terror verurteilen sollte. Das ist ohnehin ein seltsamer Gedanke. Warum soll sich ein Fußballfan von Hooligans distanzieren? Wie dem auch sei, bei einer Kundgebung in Paris hat man Mädchen mit Kopftuch gesehen, die klarmachten, dass so etwas "im Namen ihres Gottes" nicht passieren darf. Offensichtlich hat die Gesellschaft im Augenblick weniger Tendenz dazu, sich spalten zu lassen nach dem Motto: Es gibt "uns" und es gibt "die anderen". Der Tod von Charlie war ein Angriff auf unsere multikulturellen Gesellschaften. Doch es kann so aussehen, dass die Verurteilung der Taten diesmal auch "multikulturell" ist.
Het Belang van Limburg hat da einen ganz anderen Eindruck gewonnen. Während Politiker und Meinungsmacher zur Einheit aufrufen, stimmen die Reaktionen in den sozialen Netzwerken im Internet so gar nicht optimistisch. Gnadenlose Polarisierung: Es gibt "die Moslems", es gibt "die Ungläubigen", es gibt pauschal "die Barbaren". Wie man hört, wurde muslimischen Kindern stellenweise schon der Zugang zum Spielplatz verwehrt. Es ist nicht fünf vor zwölf, sondern Viertel nach zwei. Hier läuft etwas gehörig falsch. Diese Gesellschaft braucht schnellstens neue Rezepte, um die Bruchlinien wieder zu kitten. Und natürlich muss dabei auch die muslimische Gemeinschaft helfen.
"Nous sommes tous des Européens"
L'Echo geht in dieselbe Richtung. "Die 53 Stunden Terror müssen Europa verändern", fordert das Blatt auf seiner Titelseite. Wir müssen uns die richtigen Fragen stellen, führt das Blatt in seinem Leitartikel aus. Warum sind muslimische Schulkinder der Ansicht, dass die Charlie Hebdo-Journalisten sich ihre Probleme in gewisser Weise gesucht hätten? Warum ist es aber auch so, dass Ahmed nicht so schnell einen Job findet wie vielleicht sein Ur-Brüsseler Klassenkamerad? Warum wagen es Homosexuelle nicht mehr, Hand in Hand durch bestimmte Viertel zu laufen? Und die Liste ist noch viel länger. Diese Fragen sind keine Anekdoten. Sie zu stellen und vor allem, sie zu beantworten, das wäre ein wichtiger Schritt, um unser Zusammenleben auf eine neue Grundlage zu stellen.
Die Frage ist in der Tat, wie Frankreich beziehungsweise wie wir alle aus diesem Albtraum erwachen werden, meint auch Het Nieuwsblad. Im Moment überwiegt noch die Trauer, die Bestürzung, die Solidarität mit den Opfern. Schon bald wird man aber dieses Trauma verarbeiten müssen. "Je suis Charlie", diese Parole müssten wir eigentlich ersetzen durch einen Songtext von Arno: "Nous sommes tous des Européens". Wir mit ihnen allen gegen die kleine, extreme gewalttätige Minderheit.
Bild: Josep Lago/AFP