"Mister Charisma ist tot", titelt Gazet van Antwerpen. "Leo Tindemans, der Mann, der fast eine Million Vorzugsstimmen holte", meint La Libre Belgique. "Belgiens beliebtester Politiker aller Zeiten ist von uns gegangen", schreibt Het Nieuwsblad.
Leo Tindemans, Staatsminister, ehemaliger Premier und einer der Gründerväter des Belgiens der drei Gemeinschaften, ist gestern nach längerer Krankheit im Alter von 92 Jahren gestorben. Wie L'Echo hervorhebt, schließt sich damit ein Kapitel in der Geschichte Belgiens.
Tindemans gehörte mit Wilfried Martens und Jean-Luc Dehaene zu den "Drei Tenören" der ehemaligen CVP, der christlichen Volkspartei. Sie alle haben als Regierungschef einem Jahrzehnt ihren Stempel aufgedrückt, bemerkt De Standaard: Tindemans den 1970er, Martens den 1980er und Dehaene den 1990er Jahren. Martens und Dehaene waren eher "Macher", Tindemans dagegen ein "Denker". Trotzdem haben alle drei eine Vision gehabt. Sie hatten Ideen, konnten sie den Menschen näherbringen und in die Tat umsetzen.
Letzte CVP-Ikone gestorben
Het Belang van Limburg meint: Mit Tindemans ist die letzte große Ikone der CVP gestorben. Fast 50 Jahre lang waren die flämischen Christdemokraten unumgänglich und haben die belgische Politik dominiert. Auch Het Laatste Nieuws findet: Er symbolisierte alles, wofür seine Partei stand - er war für alles verantwortlich, sowohl im Guten, als auch im Schlechten.
Tindemans, der Eddy Merckx der Politik, der Vorzugsstimmen-Rekordhalter. Er war ein großer Europäer und glaubte an ein starkes, föderales Belgien. Aber zu den größten Premierministern des Landes gehört er definitiv nicht. Seine Popularität führte nämlich dazu, dass ihm Gegner in und außerhalb seiner Partei Steine in den Weg legten.
Het Nieuwsblad fügt hinzu: Als Tindemans vor genau 40 Jahren Regierungschef wurde, war Belgien geplagt von gemeinschaftspolitischen Spannungen und einer Wirtschaftskrise. Es gibt jedoch noch mehr Parallelen zur heutigen Zeit: Tindemans' Koalition war eine Minderheitsregierung, ein eigenartiges Konstrukt, das aus der Not heraus entstand. Mit dem Scheitern des Egmont-Pakts scheiterte 1978 auch Tindemans' Versuch, die Probleme zwischen Flamen und Wallonen zu lösen.
Seine Wirtschaftspolitik dagegen war von Erfolg gekrönt. Tindemans konnte wie kein anderer den Menschen den Sinn und Zweck von Strukturreformen verständlich machen. Als erster belgischer Politiker nutzte er dazu auch konsequent das Fernsehen, ein Medium, das den Personenkult um ihn erst möglich machte. Die CVP verstand das schnell und war die erste Partei, die ein Foto ihres Spitzenkandidaten auf Wahlplakate druckte. Der Slogan unter Tindemans' Konterfei: "Mit diesem Mann wird alles anders". Auch das erinnert an den Wahlkampf anno 2014 in Belgien, hebt Het Nieuwsblad hervor.
Politische Trends 2014
L'Echo konstatiert: Die CD&V, die Nachfolgepartei der CVP, ist im 21. Jahrhundert angekommen. Spätestens die letzte Wahl hat das gezeigt. Die flämischen Christdemokraten sind nicht mehr unumgänglich, sie sind jetzt eine Partei wie jede andere. Für die CD&V und die anderen Parteien war 2014 aber nicht nur durch den Tod ihrer Galionsfiguren geprägt, sondern auch durch Brüche und Übertreibungen. Gebrochen wurde fast dreißig Jahre Regierungsbeteiligung der PS. Übertrieben waren die manchmal ausfälligen Reaktionen der sozialistischen Opposition im föderalen Parlament auf ihren Machtverlust sowie die Leichtfertigkeit, mit der die N-VA Politikern mit Übelkeit erregendem Gedankengut eine Plattform bietet.
De Wever: Aufgeschoben ist nicht aufgehoben
Im Interview mit De Morgen erklärt Bart De Wever, dass die Föderalregierung nur eine zeitlich begrenzte Zwischenlösung ist. Die N-VA habe ihre konföderalen Bestrebungen nur aufgeschoben und nicht aufgehoben. "Das belgische Problem kann nur strukturell durch eine tiefgreifende Staatsreform gelöst werden", sagt der flämische Nationalistenchef wörtlich.
Allerdings verspricht er, während dieser Legislaturperiode, in der Regierung Michel, wird es nicht dazu kommen. Mehr Autonomie ist deshalb nötig, weil es eines Tages wieder anders laufen und die PS wieder an die Macht zurückkehren könnte. Das Einzige, was dafür notwendig wäre, ist, dass die CD&V nach links rückt.
De Wever erklärte in dem Interview ebenfalls, dass es hierzulande zu viele Politiker gibt. Sein Vorschlag: Den Senat abschaffen, die Kammer von 150 auf 100 Abgeordnete verkleinern und auch die seiner Ansicht nach zu großen Parlamente in den Gemeinschaften und Regionen des Landes auf ein kleineres Maß zusammenstutzen.
Mit Bodyguards im Urlaub
Het Nieuwsblad veröffentlicht das erste Interview mit Premierminister Charles Michel nach Bekanntwerden der Morddrohungen gegen ihn. Michel verbringt derzeit, unter Personenschutz, seinen Weihnachtsurlaub an der belgischen Küste. Bislang waren Regierungschefs hierzulande nur selten von Bodyguards umgeben. Auch Michel wollte zunächst keine besonderen Schutzmaßnahmen, doch als die Drohbriefe bei ihm eingingen, habe er keine andere Wahl mehr gehabt. Nach dem Anschlag auf das Jüdische Museum in Brüssel und der Beteiligung Belgiens am Einsatz gegen den IS im Irak hat sich die Sicherheitslage verändert.
Foto: Benoit Doppagne (belga)