"Morddrohungen gegen die Familie des Premierministers", titelt Het Laatste Nieuws. Viele andere Zeitungen bringen eine ähnliche Schlagzeile: "Charles Michel mit dem Tod bedroht", schreiben Le Soir, La Dernière Heure, Het Belang van Limburg und Gazet van Antwerpen.
Das begleitende Foto auf vielen Titelseiten will allerdings so gar nicht zu dieser bedrohlichen Schlagzeile passen: Es zeigt Charles Michel, wie er mit Fritten und Mayonnaise beworfen wird.
Deswegen fragt sich auch La Libre Belgique: "Ist der Premierminister ausreichend geschützt?" "Das Fritten-mit-Mayo-Attentat stellt die Frage nach der Sicherheit des Premierministers", schreibt auch L'Avenir.
Der föderale Regierungschef wollte eigentlich im Business-Club "Cercle de Wallonie" seine Politik darlegen. Plötzlich stürmten vier kreischende und zum Teil vermummte Aktivisten auf ihn zu, die ihn dann eben mit dem Nationalgericht bewarfen. Sie wollten damit gegen die Sparpolitik der Regierung protestieren.
Die vier jungen Demonstranten, drei Frauen und ein Mann, hatten sich als Journalismus-Studenten ausgegeben; die E-Mail, mit der sie sich angemeldet hatten, trug den Briefkopf der Journalismus-Schule der UCL von Louvain-la-Neuve, weiß L'Avenir. Dabei habe es sich aber um eine Fälschung gehandelt.
Fritten-Attacke: Wie sicher ist der Premier?
Mag ja sein, aber "niemand darf dem Premierminister so nahe kommen dürfen", wettert Het Laatste Nieuws. Dies, zumal Charles Michel bereits seit Wochen mit dem Tod bedroht wird. Het Nieuwsblad spricht auf Seite eins von "Kugel-Briefen für Michel". Offenbar sind schon drei Umschläge bei ihm eingegangen, die unter anderem auch eine Pistolenkugel enthielten. Die Sicherheitsbehörden nehmen die Bedrohung offenbar ernst. Dies unter anderem auch, weil das Begleitschreiben sehr detaillierte private Informationen über Charles Michel enthielt. Laut Het Nieuwsblad kommen die mutmaßlichen Hintermänner aber nicht aus dem Dschihadisten-Milieu.
"Wir machen uns große Sorgen", verlautete aus dem Umfeld des Premierministers. Er selbst reagierte zunächst gelassen auf den Fritten-Anschlag. "Ein Pott Mayo wird mich nicht von meiner Meinung abbringen", zitiert ihn etwa Le Soir. Später erklärte der Sprecher des Premiers aber, dass man den Vorfall durchaus als Alarmsignal werte. Das Ganze sei umso beängstigender, als der Staatsschutz die Sicherheitsvorkehrungen aufgrund der Morddrohungen eigentlich schon verschärft hatte. "Der Schutz des Premiers wird überdacht", schreibt denn auch Le Soir.
Die Geschichte steht jedenfalls symbolhaft für die extreme Polarisierung in diesem Land, sagt ein Politikwissenschaftler in Het Nieuwsblad. Der Graben zwischen Befürwortern und Gegnern der Regierungspolitik werde von Tag zu Tag größer und Michel sei nun mal das Gesicht dieser Regierung.
André Van Hecke, der Direktor des Cercle de Wallonie, geht noch einen Schritt weiter: Wenn sich Laurette Onkelinx das Recht herausnimmt, im Parlament herumzukeifen, dann muss man sich über nichts mehr wundern, dann ist alles erlaubt.
Zwischen Faschisten und Till Eulenspiegel
Das Ganze ist jedenfalls weder lustig, noch mutig, meint La Dernière Heure in einem scharfen Kommentar. Oder hätten die vier Aktivisten das Gleiche auch mit Putin oder Erdogan gemacht? Die Vorgehensweise erinnert jedenfalls an das Italien der 1920er Jahre, wo die Faschisten ihren Gegnern Rizinusöl einflößten. Bislang dachten wir, dass Belgien von solchen Entgleisungen verschont bleibt.
L'Avenir sieht das nicht so eng. Der Vorfall gleicht den Sicherheitsvorkehrungen in diesem Land: Nicht wirklich lächerlich, aber auch nicht wirklich effizient. Das Ganze versprüht den typisch belgischen Charme von Nähe und Surrealismus.
Glückliches Land, in dem Politiker keine Kalaschnikow-Kugeln abkriegen, sondern nur Schabernack in der Tradition von Till Eulenspiegel.
Lohnhandicap und Erweckungsmoment
Ganz anderes Thema auf Seite eins von De Morgen und De Standaard. "Das Lohnhandicap hat sich verringert", schreibt De Standaard. Die Rede ist von dem Unterschied zwischen den Gehältern in Belgien und denen in den Nachbarländern. Das Handicap ging zurück von 3,8 auf jetzt 2,9 Prozent. Für die Gewerkschaften ist das Grund genug, mit der Lohnmäßigung aufzuhören. Die Regierung will aber am Indexsprung festhalten. Deswegen schreibt auch De Morgen: "Das Lohnhandicap sinkt, der Konflikt bleibt".
De Standaard bringt am Dienstag das bemerkenswerte Bekenntnis des Unternehmers Wouter Torfs. Der hatte noch vor kurzem die hohe Steuerlast in Belgien scharf kritisiert. Jetzt musste er sich einer Behandlung im Krankenhaus unterziehen. Und das war offensichtlich so eine Art Erweckungsmoment. "Wir bekommen von unseren Steuern viel zurück", twitterte Torfs vom Krankenbett aus.
Das ist doch mal erfrischend, meint De Standaard in seinem Leitartikel. Stimmen wie die von Wouter Torfs sagen uns eigentlich nur, wie wichtig Solidarität trotz aller Unkenrufe ist. Die Akzeptanz steht und fällt aber mit der Effizienz des Systems. Heißt: Über Reformen muss man reden können.
"Fenster auf eine düstere Zeit"
Einige Zeitungen kritisieren eine Meldung, die gestern von De Standaard veröffentlicht wurde. Demnach will das Ausländeramt das Recht bekommen, bei der Jagd auf illegale Einwanderer im Verdachtsfall auch ohne richterlichen Beschluss in Wohnungen eindringen zu dürfen.
In diesem Zusammenhang ist die Stille ohrenbetäubend, meint Het Nieuwsblad. Das Ausländeramt will mal eben den Rechtsstaat aushebeln. Zudem werden hier Ausländer pauschal kriminalisiert. Im Russland von Wladimir Putin passt das vielleicht ins Bild, in Belgien nicht. Proteste dagegen sind aber bislang kaum zu hören.
Man soll ja nicht immer Parallelen zur Vergangenheit ziehen, meint De Morgen. Das ist aber ohne Zweifel ein Fenster auf ganz düstere Zeiten. Und nicht vergessen: Wenn Beamte und Polizisten nicht mehr von unabhängigen Richtern kontrolliert werden, dann sind nicht nur die Grundrechte von illegalen Ausländern in Gefahr, sondern die von uns allen.
Bild: Laurie Dieffembacq (belga)