"Steuerreformen werden geprüft", titelt Le Soir. Die Proteste der Gewerkschaften und - damit verbunden - die Diskussion über den so genannten Tax-Shift zeigen offenbar Wirkung. Demnach lässt die Regierung verschiedene Optionen durchrechnen. Erste Idee: eine Reform der Einkommenssteuer. Kleine Gehälter würden demnach weniger besteuert, zugleich würde aber der Spitzensteuersatz wieder auf 52,5 Prozent angehoben. Zweite Möglichkeit: eine Mehrwertsteuererhöhung. Und Vize-Premier Didier Reynders bringt auch noch einen dritten Denkansatz im Spiel: Man sollte die so genannten "extralegalen Vorteile" zurückschrauben. Im Klartext: Die Gehälter sollten steigen, stattdessen würden indirekte Besoldungen wie Firmenwagen gestrichen.
Tax-Shift und kein Ende
Klingt doch interessant, meint Le Soir in seinem Leitartikel. Die Regierung will offensichtlich Maßnahmen ergreifen, um vor allem die Kaufkraft der Menschen mit niedrigen Einkommen zu schützen. Da gibt es nur ein Problem: Maßnahmen wie die Erhöhung des Spitzensteuersatzes dürften bei einigen Koalitionspartnern gar nicht gut ankommen. Allen voran bei der OpenVLD. Die flämischen Liberalen sollten aber den Kontext nicht aus den Augen verlieren, meint Le Soir. Die Regierung muss fünf Milliarden Euro zusätzlich auftreiben. Das wird nicht gehen, ohne den einen oder den anderen vor den Kopf zu stoßen.
Auch La Libre Belgique geht auf Seite eins auf den Tax-Shift ein. Das Blatt bringt ein Interview mit Nationalbankchef Luc Coene. Der hat vor allem zwei Empfehlungen parat. Erstens: Das Defizit müsse schneller abgebaut werden. Das Land brauche aber auch - zweitens - einen wirklichen Tax-Shift. Sprich: Die Steuerlast auf Arbeit muss gesenkt werden. Wo man stattdessen das Geld finden soll, das sagt Coene allerdings nicht. In der VRT plädierte er unlängst noch für eine klassische Vermögenssteuer.
"CD&V alleine im Regen"
Neben Luc Coene ist auf Seite eins von La Libre Belgique aber auch noch ein zweiter Mann, über den diesen Tagen viel geredet wird, nämlich der CD&V-Vizepremier Kris Peeters. "Peeters macht der MR schöne Augen", titelt das Blatt. Offensichtlich sucht die CD&V also die Nähe zu den frankophonen Liberalen.
Das kann daran liegen, dass die CD&V im Augenblick in der Regierung ziemlich isoliert ist. "Die CD&V steht alleine im Regen", schreibt etwa De Morgen. Hintergrund ist eine exklusive Reportage, die die Wochenzeitschrift Le Vif/L'Express vor einigen Tagen veröffentlicht hat.
Le Vif hatte sich bei einer eigentlich geschlossenen N-VA-Parteiveranstaltung eingeschlichen. Dabei übte N-VA-Chef Bart De Wever scharfe Kritik an der CD&V: Drei der Partner strampelten auf dem Fahrrad, während der Vierte auf dem Gepäckträger sitze und auch noch von Zeit zu Zeit mit dem Fuß auf den Hinterreifen drückte. Kurz und knapp: De Wever hält die CD&V für einen Hemmschuh.
Die Christdemokraten reagierten später auf den Artike,l und zwar in Form von Festtagsgrüßen über Twitter: "Möge das Jahr 2015 ein Jahr des Dialogs, des Meinungsaustauschs, der Zusammenarbeit und der ungebrochenen Entschlossenheit werden", stand da zu lesen. "Zynischer geht kaum", sagt der bekannte Politik-Wissenschaftler Carl Devos in Het Nieuwsblad. So jedenfalls hält die Regierung keine weiteren vier Jahre durch, sagt Devos.
"Die Regierung fällt nicht" …
"Ich kann sie beruhigen, die Regierung wird nicht stürzen", sagt aber Bart De Wever in Gazet Van Antwerpen und Het Belang Van Limburg. Er könne sich jedenfalls nicht vorstellen, dass einer der vier Partner das Risiko eingeht, der Regierung den Stecker rauszuziehen.
Nichtsdestotrotz hält die CD&V den Druck auf die Koalitionspartner aufrecht. "Wir haben das soziale Ungerechtigkeitsgefühl unterschätzt", räumt Kris Peeters in Le Soir ein. Und die Regierung müsse diesen Eindruck korrigieren, etwa durch einen Tax-Shift.
Die CD&V ist mit einem Fuß drin und mit dem anderen draußen, konstatiert denn auch L'Echo in seinem Leitartikel. Und die N-VA hat offensichtlich die flämischen Christdemokraten als Problemquelle identifiziert. Der Bericht in Le Vif/L'Express erlaubt aber noch ein anderes Fazit: Die ewige Mär von Bart De Wever, wonach die Frankophonen alles schuld sind, die zieht nicht mehr.
Het Laatste Nieuws glaubt, dass die CD&V jetzt schon an die nächsten Wahlen denkt. Natürlich weiß CD&V-Chef Wouter Beke, dass er kein Interesse daran hat, die Regierung zu Fall zu bringen. Er wird sich denn auch loyal verhalten - nicht mehr als nötig allerdings. Es gilt zu vermeiden, dass die N-VA tatsächlich am Ende als der große Aufräumer durchgeht. Insofern will die CD&V dafür sorgen, dass der Bruch mit der Vergangenheit nicht allzu sichtbar ist.
… oder doch?
Nichtsdestotrotz spielt hier der eine oder andere mit dem Feuer, glauben Het Belang Van Limburg und Het Nieuwsblad. Die Parteien haben längst verstanden, dass derjenige, der die Regierung zu Fall bringt, vom Wähler abgestraft wird, glaubt Het Belang Van Limburg. Allerdings gibt es im Moment eine gefährliche Häufung von Vorfällen. Wenn man die Situation nicht unter Kontrolle bringt, dann ist ein Betriebsunfall nicht mehr auszuschließen. Die Regierung Michel muss dringend die Reihen schließen.
Het Nieuwsblad sieht das ähnlich. Diese Regierung ignoriert sogar die elementarsten Kommunikationsregeln. Warum redet man nicht einfach miteinander? Telefonieren geht doch auch. Stattdessen scheinen die Hauptakteure der Koalition quasi ausschließlich über Video-Botschaften im Fernsehen, Diktate in den Zeitungen oder Strafaktionen über Twitter zu kommunizieren.
Mit dem Resultat, dass die Botschaft verwässert ist und die Regierung kopflos daherkommt. Die Weihnachtsferien kommen für die Regierung jedenfalls keinen Tag zu früh. Es wäre vielleicht doch keine schlechte Idee, wenn insbesondere Charles Michel und Bart De Wever mal miteinander telefonieren würden.
L'Echo bringt heute Interviews mit dem alten und dem neuen Premier. Elio Di Rupo übt zunächst erneut scharfe Kritik an der neuen Regierung: "Die Regierung Michel vergreift sich an der Mittelklasse, vom Beamten über den Lehrer bis hin zum kleinen Unternehmer", sagt Di Rupo. Sein Nachfolger Charles Michel gibt sich seinerseits besonnen: "Ich habe mich seit einigen Wochen ziemlich heftig beleidigen lassen müssen, dabei kann ich nur feststellen, dass die PS nie Alternativen aufzeigt", sagt Michel.
Erstaunliche Schlagzeile schließlich auf der Titelseite von Het Nieuwsblad: "Blitz-Schwellenwert heraufgesetzt", schreibt das Blatt. Im Klartext: In einigen Gerichtsbezirken in Flandern wird die Toleranzgrenze bei Geschwindigkeitsübertretungen erhöht. Beispiel: Auf Autobahnen blitzt es erst ab 139 Stundenkilometern. Begründet wird die Maßnahme mit dem Umstand, dass die Polizei ansonsten die große Zahl an Knöllchen nicht verarbeiten kann.
Foto: Laurie Dieffembacq (belga)