Mehrere belgische Tageszeitungen kommentieren die Laufzeitverlängerung von Doel 1 und 2. Die Regierung hatte am Donnerstag beschlossen, sie bis 2025 am Netz zu lassen. Einerseits ist es keine Überraschung, meint Le Soir. Die Bevölkerung hat mehr Angst vor einem Black-out als vor der Atomkraft. Außerdem: MR und N-VA haben weniger Probleme mit der Nuklearenergie als CDH und SP.A, die den Atomausstieg beschlossen hatten.
Auf der anderen Seite ist es auch wieder eine Überraschung. Erstens: Die Verlängerung von Doel 1 löst das Problem eines Black-outs in diesem Winter nicht. Zweitens: Ein oder zwei Monate später hätte man die Situation genauestens analysieren können. Das hätte die Verhandlungsposition gegenüber Electrabel gestärkt. Die Verlängerung ist deshalb keine strategische Entscheidung sondern Herumdoktoren an einer klaffenden Wunde: der belgischen Energiepolitik, meint Le Soir.
Keine verantwortungsvolle Entscheidung
L'Echo stellt fest: Innerhalb eines Jahrzehnts hat Belgien den Atomausstieg beschlossen, ihn teilweise zurückgenommen und seit Donnerstag vollständig. Das sind legitime politische Entscheidungen. Verantwortungsvoll sind sie keineswegs. Erstens hat es nie einen richtigen Plan gegeben, wie man den Atomausstieg kompensieren soll. Zweitens das blinde Vertrauen in erneuerbare Energien und drittens eine schlecht organisierte Liberalisierung, sowohl auf europäischer als auch auf belgischer Ebene.
Die letzte Episode in dieser Posse ist vielleicht die am wenigsten lächerlichste und wirtschaftlich vernünftigste. Jetzt geht es darum, die Stromversorgung zu einem gerechten Preis mit einem Maximum an Umweltfreundlichkeit dauerhaft zu sichern. Energieministerin Marie- Christine Marghem hat jetzt fünf Jahre Zeit, das zu erreichen, was ihren Vorgängern nie wirklich gelungen ist, meint L'Echo.
Het Laatste Nieuws: Panikfußball
Het Laatste Nieuws sieht die Laufzeitverlängerung kritischer. Panikfußball nennt man so was. Wie verzweifelt und zynisch muss man sein, um seine Zukunft mit Kernreaktoren zu sichern, von denen man weiß, dass sie ihre beste Zeit gehabt haben. An die Folgen eines Unfalls in Doel will man nicht einmal denken. Weder als Bürger noch als Regierung. Falls die Regierung davon überzeugt ist, dass Belgien kurzfristig ohne Kernenergie auskommen kann, dann ist die gestrige Entscheidung ein schlechtes Signal. Falls sie nicht daran glaubt, dann sollte sie es auch deutlich sagen und in den kommenden fünf Jahren konsequent danach handeln, fordert Het Laatste Nieuws.
Mehrere Zeitungen kommentieren die ersten kleinen Erfolge bei den Sozialverhandlungen. Arbeitnehmer und Gewerkschaften haben sich am Donnerstag auf einige Punkte einigen können. Und zwar beim Einheitsstatut, den Vorruhestandsregeln und beim Zeitkredit. Dazu meint La Libre Belgique: Die Einigung beweist eins: Wenn die Sozialpartner die Waffen ruhen lassen und das Allgemeinwohl im Auge haben, sind sie immer noch fähig, einen ausgeglichenen Kompromiss zu finden. Einen Kompromiss, der nicht die Entscheidungen der Regierung in Frage stellt, sondern der Situation auf dem Terrain Rechnung trägt. Die Regierung wäre gut beraten, diese Einigung gutzuheißen. Es würde den Weg für weitere Vereinbarungen öffnen und damit aus der Krise heraushelfen, mahnt La Libre Belgique.
Mini-Abkommen ist ein Sieg für das belgische Modell
L'Avenir findet: Nach vier Wochen Streik, Demonstrationen, verbalen Gefechten und zunehmenden Spannungen zwischen Regierung und Gewerkschaften schien das belgische Modell am Ende. Ein Modell, das seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs zum Sozialen Frieden beigetragen hat. Erreicht man diesen Punkt, ist die Tatsache, dass man überhaupt miteinander spricht genauso wichtig wie der Inhalt. Politisch gesehen ist das gestrige Mini-Abkommen auch ein Sieg derjenigen, die das belgische Modell erhalten wollen, analysiert L'Avenir.
De Morgen nimmt die Einigung zum Anlass, die Rolle der flämischen Christdemokraten in dieser Regierung zu analysieren. N-VA-Chef Bart De Wever hatte geäußert, die CD&V sei der unwillige Partner, der den Fortbestand der Regierung gefährdet. Die Zeitung meint: Jetzt ist jedem sonnenklar, dass etwas gründlich schief läuft in dieser scheinbar so natürlichen Koalition. Die CD&V droht nicht nur ideologisch isoliert zu werden, sondern auch psychologisch: Regierungspartner, die sie öffentlich diskreditieren, links liegen lassen und ihr keinen Erfolg gönnen. Keine schönen Aussichten, denn Arbeitsminister Kris Peeters wird in den kommenden Wochen noch einiges an Verhandlungsspielraum benötigen.
Absurde Geschichte
De Standaard erzählt die Geschichte von Navid Sharifi. Der 22-jährige Afghane war im vergangenen Jahr aus Belgien ausgewiesen worden. Da er inzwischen mit einer in Belgien lebenden Polin verheiratet ist, kann er wieder zurückkehren. Dazu meint die Zeitung: Sharifi war ausgezeichnet integriert, sein Niederländisch besser als das mancher wallonischer Minister, sein Beruf Bleigießer war sehr gefragt. Trotzdem schickte ihn Maggie De Block ohne Pardon zurück in sein Heimatland.
Seine Rückkehr macht die Geschichte noch absurder. Vielleicht war sein Dossier nicht hundertprozentig in Ordnung, aber niemand verstand, warum gerade er zum Symbol markiger Rückführungspolitik werden musste. Als Mitglied der Opposition begriff der N-VA-Politiker Theo Francken nicht, warum junge gut integrierte Asylbewerber schneller zurückgeschickt werden als kriminelle Illegale. Als Staatssekretär für Asylfragen zieht er das jetzt durch. Mit Sonderflügen werden Straftäter gruppenweise aus dem Land geflogen.
Bild: Eric Lalmand (belga)