"Generalstreik legt das Land lahm", titelt De Standaard. "Starke Mobilisierung gegen die Regierung Michel", schreibt L'Avenir auf Seite eins.
Die Protestwelle, die seit Wochen über das Land rollt, hat am Montag ihren vorläufigen Höhepunkt erreicht. Den Gewerkschaften ist es gelungen, das öffentliche Leben weitgehend zum Erliegen zu bringen. Die Arbeitnehmervertretungen sprechen von einem "vollen Erfolg".
"Die Belgier sehen rot"
Doch war der Aktionstag von zahlreichen kleinen aber auch größeren Zwischenfällen geprägt. "Die Belgier sehen rot", titelt denn auch La Dernière Heure. Vielen Menschen reißt angesichts der nicht enden wollenden Proteste langsam der Geduldsfaden. Vor allem die Abriegelung von Industriegebieten oder die Sperrung von Verkehrsachsen hat stellenweise mitunter Tumulte hervorgerufen. Das GrenzEcho bestätigt: "Generalstreik schürt Aggression".
Belgien stellt in diesem Zusammenhang eine Ausnahme dar, bemerkt La Dernière Heure in ihrem Kommentar. Der Streikposten wurde zwar hierzulande nicht erfunden. Dass Gewerkschaften ganze Industriegebiete abriegeln, das gibt es aber nur hier. Auch das belgische Sozialmodell ist weltweit einzigartig. Und genau in dem Moment, wo so mancher dieses Modell nur noch als Hemmschuh betrachtet, kann man sich fragen, ob eine weltweite Ausnahme noch eine Existenzberechtigung hat. Die Gewerkschaften sollten also aufpassen, dass sie den Bogen nicht überspannen.
Gewerkschaften am Internet-Pranger
Wegen des Verhaltens einiger Streikenden sind die Gewerkschaften aber im Internet zum Gegenstand eines so genannten Shitstorms geworden: In sozialen Netzwerken ließen viele kein gutes Haar an den Protestlern. "Wer nur ins Internet geschaut hat, der konnte den Eindruck haben, das Land stehe kurz vor dem Bürgerkrieg", bemerkt De Morgen. L'Avenir stellt fest, dass die Gewerkschaften soziale Netzwerke offensichtlich nicht auf dem Schirm haben. Sie haben nichts verstanden, meint das Blatt in einem beißenden Kommentar. Im Internet ist ein Zerrbild des Streiks entstanden. Resultat ist ein katastrophales Image für die Gewerkschaften.
Auch La Libre Belgique kann die Gewerkschaften nur warnen. Im Namen des Streikrechts ist am Montag das Recht auf Arbeit mit Füßen getreten worden. Stellenweise kann man das Verhalten der Gewerkschafter nur noch als "Einschüchterung" oder gar "Drangsalierung" bezeichnen. Indem sie ganze Industriezonen blockiert haben, haben die Gewerkschaften der Beschäftigung in diesem Land geschadet, die sie doch eigentlich vorgeben, retten zu wollen.
Willkommen in Streikistan!
L'Echo präsentiert denn auch die Rechnung: "Die Streiks haben die belgische Wirtschaft 200 Millionen Euro gekostet", schreibt das Blatt auf Seite eins. Das Blatt räumt aber ein, dass solche Schätzungen immer mit Vorsicht zu genießen sind. In die eine wie in die andere Richtung allerdings, der Imageschaden für das Land etwa, der ist nicht zu beziffern.
Da ist es fast schon zynisch, wenn die Gewerkschaften von einem "vollen Erfolg" sprechen, meint L'Echo in ihrem Kommentar. Sie sollten sich jedenfalls darüber bewusst sein, dass eine Streikwelle Belgien gleich wieder als der "kranke Mann Europas" erscheinen lässt. So kurze Zeit nach der 541-Tage-Krise können wir uns das nicht leisten. Belgien darf nicht als das "Streikistan" des Abendlandes durchgehen.
Deswegen stellen denn auch ausnahmslos alle Zeitungen vor allem eine Forderung in den Mittelpunkt: "Rauft euch endlich zusammen". Die Gewerkschaften drohen ja schon mit neuen Protesten. "Sie geben der Regierung bis zum Neujahr Zeit, um endlich auf die Forderungen einzugehen", so die Schlagzeile von Het Belang Van Limburg.
Kapitalertragsteuer, der Königsweg
"Wie kommen wir aus dieser Sackgasse wieder raus?", fragt sich denn auch Le Soir auf Seite eins. Es gebe da drei wichtige Knackpunkte: die Pensionen, der Index und der Tax-Shift. Tax-Shift, das würde ja in der Praxis bedeuten, dass man die Last gerechter verteilt: Die Arbeit würde nicht mehr so sehr besteuert, dafür die Kapitalerträge.
"Es kann noch über sehr viel diskutiert werden", beteuert Vizepremier Kris Peeters auf Seite eins von Gazet van Antwerpen. Heißt also: Für Peeters gibt es noch viel Verhandlungsspielraum.
Doch sehen das nicht alle so: "Der Schlichter spaltet", schreibt De Morgen. Vor allem in puncto Tax-Shift sorgt Peeters für Rumoren in der Regierung. Anscheinend will Peeters die Gewerkschaften an den Diskussionen über eine Umverteilung der Steuerlast beteiligen. Dabei "stößt er aber gleich wieder auf liberalen Widerstand", schreibt Het Laatste Nieuws. Het Nieuwsblad ist etwas anderes zu Ohren gekommen: "Liberale geben den Widerstand gegen Reichensteuer auf", so die Aufmachergeschichte.
In jedem Fall liegt hier der Ausweg, sind sich viele Leitartikler einig. Die Regierung kann dieser Diskussion nicht mehr entkommen, glaubt etwa L'Echo. "Kapitalertragssteuer", das ist das Zauberwort, meint auch Het Laatste Nieuws. Dabei weiß eigentlich jeder, dass eine solche Abgabe nicht wirklich viel Geld in die Staatskasse spülen würde. Es ist mit Sicherheit keine Medizin, es ist aber ein starkes Placebo. Es würde schon reichen, wenn man den Arbeitnehmern die Illusion vermittelt, dass sie nicht allein die Zeche zahlen.
Eine Reichensteuer wäre ein starkes Symbol, glaubt auch Het Nieuwsblad. Allerdings wussten wir eigentlich schon vor Wochen, dass das der Königsweg ist, um die Streikspirale zu durchbrechen. Da kann man sich fragen, warum die Koalition so lange gebraucht hat, um das einzusehen.
Die Stunde von Peeters und von Michel
Man sollte Kris Peeters jetzt jedenfalls eine wirkliche Chance geben, mahnt Gazet Van Antwerpen. Er tritt ja als Chefunterhändler der Regierung auf. Seine Mission: Er soll den Sozialdialog wieder ankurbeln. Doch sollen insbesondere die Parteichefs von N-VA und OpenVLD ihn jetzt auch mal gewähren lassen.
Für Le Soir müsste jetzt auch die Stunde eines anderen schlagen: Es ist an der Zeit, dass Charles Michel jetzt wirklich das Heft in die Hand nimmt. Er muss jetzt die Richtung vorgeben, sich von seinen Scheuklappen und Schwiegermüttern befreien und einen Kompromiss vorlegen, der vor allem von Pragmatismus geprägt ist. Er könnte es auch mit der Brechstange versuchen. Dafür ist seine Regierungsequipe aber nicht geschlossen genug.
Archivbild: BRF