"Nie waren die Regierungen so unpopulär", titelt La Libre Belgique. Die Zeitung veröffentlicht heute den ersten Teil ihres traditionellen Politbarometers. Und die Regierungen des Landes kommen dabei alles andere als gut weg. Angefangen bei der Föderalregierung: Nur ein Fünftel der Befragten vertraut der Equipe um Premierminister Charles Michel. Mehr als doppelt so viele, nämlich 42 Prozent, haben eine schlechte bis sehr schlechte Meinung über die Mitte-Rechts-Koalition. Besonders ausgeprägt ist die Unzufriedenheit im frankophonen Landesteil. Das gilt allerdings auch für die wallonische Regionalregierung, die ja durch die föderalen Oppositionsparteien PS und CDH gebildet wird. Hier sind die Akzeptanzwerte noch schlechter: Lediglich 16 Prozent der Befragten haben Vertrauen in die Regierung Magnette. In beiden Fällen muss man aber festhalten, dass die Zahl der Unentschlossenen vergleichsweise groß ist: Mehr als zehn Prozent der Menschen glauben, dass es noch zu früh ist, die Regierungen zu bewerten.
Das enorme Misstrauen hat seine Gründe, glaubt La Libre Belgique in ihrem Leitartikel. Erstens: Insbesondere die Föderalregierung hat bislang vor allem mit Kommunikationschaos geglänzt. Das Misstrauen erklärt sich aber auch durch die Schizophrenie, die man bei vielen Menschen feststellen kann: Alle sind sich einig, dass die Haushalte saniert werden müssen. Das hört aber dann auf, sobald es einen persönlich betrifft. Die Regierungen brauchen aber vor allem eins: eine klare Vision.
Kasperletheater im Halbrund
Die Ereignisse am Donnerstag im Parlament haben wohl nicht unbedingt zur Imageaufbesserung beigetragen, sind sich viele Zeitungen einig. "Neuer Clash zwischen Mehrheit und Opposition", schreibt sinngemäß De Standaard. Het Nieuwsblad ist etwas schärfer: "Wieder Kasperletheater in der Kammer", schreibt das Blatt. Sozialisten und Grüne wollten den Premierminister über Jan Jambon befragen. Der N- VA-Innenminister stand in der Vergangenheit offenbar dem rechtsextremen Spektrum doch näher als er bislang zugegeben hatte. Premier Michel wollte aber nicht persönlich dazu Stellung beziehen. Die Reaktion fasst Het Laatste Nieuws so zusammen: "Und weg war die Opposition." Tatsächlich haben die Oppositionsfraktionen geschlossen das Halbrund verlassen.
"Das fühlt sich an wie eine Diktatur", schreibt denn auch De Morgen auf Seite eins. Diesen Vorwurf haben sich Mehrheit und Opposition gegenseitig an den Kopf geworfen. Die Opposition wirft der Regierung vor, unbequemen Fragen auszuweichen. Die Mehrheit beschuldigt ihrerseits vor allem die PS, jegliche inhaltliche Debatte durch ihr Theater abzuwürgen.
"Kalter Kaffee im Wilden Westen"
Le Soir spricht in diesem Zusammenhang von einer "Wildwesternisierung" des Parlaments. Inzwischen jagt eine chaotische und theatralische Kammersitzung die nächste. Die Außenwirkung ist desaströs. Wenn künftig an jedem Donnerstag in der Kammer die Fetzen fliegen und Türen geknallt werden, dabei aber die inhaltliche Debatte auf der Strecke bleibt, dann wird sich der Bürger abwenden. Was nicht heißt, dass die Opposition da nicht ein wichtiges Thema angekartet hätte: Die Frage ist legitim, inwieweit der amtierende Innenminister mit dem Rechtsextremismus geflirtet hat.
"Kalter Kaffee", erwidert ihrerseits Gazet van Antwerpen. Was bitte hat Charles Michel mit einer Geschichte zu tun, die sich vor 18 Jahren in Antwerpen zugetragen hat? Hinter dem Clash von Donnerstag stecken wohl andere Gründe: Die PS hat nach wie vor nicht verdaut, dass sie in der Opposition gelandet ist. Und ihre Strategie ist glasklar: Sie will Charles Michel als denjenigen brandmarken, der die frankophonen Interessen "verraten" hat und mitunter gar mit Rechtsextremen paktiert.
De Morgen stellt eine ähnliche Diagnose: Die frankophonen Sozialisten können es offenkundig nach wie vor nicht fassen, dass man sie kaltgestellt hat. Im Gegenzug zeigt sich die Mehrheit aber auch unverschämt arrogant. Beide Seiten begehen da einen Denkfehler. Die Opposition muss einsehen, dass sie nicht mehr das Sagen hat. Die Mehrheit muss ihrerseits noch lernen, dass das Erniedrigen der Opposition kontraproduktiv ist. Das Parlament sollte jedenfalls in erster Linie der Ort der demokratischen Meinungsverschiedenheit sein.
Angst vor Dockern
Einige Zeitungen blicken schon auf den kommenden Montag: "Die Streikwelle erreicht die Provinzen Brabant und die Hauptstadt", titelt L'Avenir. Und "Alles wird lahmgelegt", warnt La Dernière Heure. Am Montag zünden die Gewerkschaften die dritte Streikstufe vor dem Generalstreik vom 15. Dezember.
In diesem Zusammenhang bringt De Standaard auf seiner Titelseite eine beängstigende Schlagzeile: "Hafenarbeiter wieder in Brüssel", schreibt das Blatt. Demnach hat die sozialistische Gewerkschaft CGSP die Antwerpener Hafenarbeiter dazu aufgerufen, am Montag nach Brüssel zu kommen, um die streikenden SNCB-Leute zu unterstützen. Die Antwerpener Docker sind ja spätestens seit den Ausschreitungen vom 06. November sozusagen "berühmt-berüchtigt". Einige von ihnen müssen sich wegen der Krawalle übrigens gerade im Moment vor Gericht verantworten, wie Het Laatste Nieuws auf Seite eins hervorhebt. Und ihnen droht bis zu ein Jahr Gefängnis.
Zweifel an Wirksamkeit des Indexsprungs
Im Zusammenhang mit der rollenden Protestwelle könnte eine Schlagzeile von Le Soir noch Öl ins Feuer gießen: "Der Indexsprung hat keinen Wert für die Arbeitgeber", schreibt das Blatt. Die Maßnahme helfe den Unternehmen nur sehr wenig, sagen einige Firmenchefs. Ein Grund ist, dass die nächste Indexanpassung normalerweise erst Mitte nächsten Jahres anstehen würde. Der Indexsprung kommt also sehr spät.
Einige Zeitungen beschäftigen sich mit dem stotternden Sozialen Dialog. Arbeitsminister Kris Peeters hat am Donnerstag erneut versucht, die Gewerkschaften zu besänftigen. Doch bleiben die Fronten verhärtet.
So kann es nicht weitergehen, meint De Standaard. Dieses Land braucht den Sozialen Dialog. Das ist ganz einfach eine Frage der Stabilität. Doch müssen auch die Gewerkschaften von ihrer kompromisslosen Haltung abrücken. Es darf nicht so sein, dass sie nur dann mit am Tisch sitzen, wenn ihre politischen Freunde gerade an der Macht sind.
Ein Plan jagt den nächsten
Die wallonische Regionalregierung schließlich hat am Donnerstag einen neuen Aktionsplan auf die Schienen gesetzt: den Marshallplan 4.0. Besonders gefördert werden sollen demnach die Digitalwirtschaft und auch die Kleinen und Mittleren Unternehmen.
Da wäre also wieder eine neue Variation des Marshallplan-Themas, frotzelt L'Avenir in seinem Kommentar. Wir hatten schon die Versionen "1", "2.Grün", "2022", und jetzt also "4.0". Erste, naheliegende Frage: Wo war eigentlich die Version "3.0"? Aber mal ernsthaft: Man hat den Eindruck, sich im Kreis zu drehen. Das neue Facelifting des Marshallplans zielt möglicherweise in erster Linie darauf ab, von den wallonischen Sparmaßnahmen abzulenken.
L'Echo schlägt in dieselbe Kerbe: Seit 1999 tischt man uns regelmäßig neue Pläne auf. Erst gab es den "Zukunftsvertrag", dann eine aktualisierte Version. Und danach folgten gleich mehrere Fassungen des Marshallplans. Dabei lässt es die Regierung Magnette zudem an Geradlinigkeit vermissen. Die neuerliche Steuer auf Produktionsmittel etwa trägt nicht wirklich zur Verbesserung des unternehmerischen Klimas bei. Fazit: Man hätte in Namur wohl kreativer sein können.
Archivbild: Eric Lalmand (belga)