"Der Druck steigt", titelt La Libre Belgique. "Höchste Alarmbereitschaft", heißt es bei Gazet Van Antwerpen. "Alle Augen nach Antwerpen gerichtet", schreibt De Standaard. Der heutige Streiktag ist Thema in allen belgischen Tageszeitungen. In den Provinzen Hennegau, Luxemburg, Limburg und Antwerpen kommt es heute zu Streikaktionen. Vor allem der Streik der Antwerpener Hafenarbeiter rückt in den Mittelpunkt. 600 Polizeibeamte stehen bereit. Ausschreitungen wie am 6. November in Brüssel sollen verhindert werden. Dazu meint De Morgen: Heute wird sich zeigen, ob die Gewerkschaften ihre Mitglieder immer noch mobilisieren können. Auch wird sich zeigen, ob sie es schaffen, ihre Leute unter Kontrolle zu halten.
Demonstrieren und protestieren ist ein Grundrecht, aber kein Freibrief für Vandalismus und Gewalt. Der Soziale Dialog muss früher oder später kommen. Diese Regierung hat deutlich gemacht, dass sie für eine wirtschaftliche Agenda ist. Dafür hat sie auch die demokratische Mehrheit. Das gibt ihr aber nicht das Recht, die Stimmen der Gewerkschaften und der Mittelschicht zu überhören. Wer auf Thatcher macht, spielt mit dem Feuer und riskiert eher gesellschaftliche Unruhen und Kosten als Einsparungen. Wirtschaftswachstum und Wohlstand beruhen in diesem Land seit Jahrhunderten auf den Kompromiss zwischen Arbeit und Kapital. Auch wenn der Soziale Dialog in den vergangenen Jahren schwieriger geworden ist, muss er dafür nicht auf den Müll, so De Morgen. Arbeitnehmer streiken nicht zum Vergnügen, kommentiert Het Laatste Nieuws.
Bei einem Streik verlieren alle
Streiken ist nicht gratis und kostet Geld. Fakt ist: Jeder verliert bei einem Streik: die Arbeitnehmer, der Handel, der Mittelstand, die Wirtschaft und die Regierung. Das hätten die vier Regierungsparteien vorher erkennen müssen. Die Regierung Michel kriegt keine Zeit, sich warmzulaufen. Am Wochenende machte der Rechnungshof kurzen Prozess. Nach seiner Ansicht gehen die Sparmaßnahmen viel zu weit. Das weckt den Eindruck, dass diese Regierung keine kohärente und effiziente Politik führt, sondern ideologisch handelt, ohne die Folgen für den öffentlichen Dienst durchzurechnen, meint Het Laatste Nieuws.
Rechnungshof: Sparmaßnahmen gehen zu weit
Auch Gazet Van Antwerpen beschäftigt sich mit dem Rechnungshofbericht. Bei der Verteidigung werden die Mittel um 15 Prozent gekürzt und damit bleibt zu wenig Geld für notwendige Investitionen. Bei der Justiz sind die Budgets für das Gefängnispersonal und die Rekrutierung von Magistraten zu klein. Große Fragezeichen auch bei den Einnahmen. Der Rechnungshof glaubt, dass die Regierung die Steuereinkünfte und den Beitrag der Banken überschätzt. Letzteres ist Wasser auf den Mühlen des Protestes. Der argumentiert, dass die Sparmaßnahmen von der Mittelschicht geschultert werden müssen. Der Rechnungshof sagt, er habe zu wenig Informationen, um die Effekte von Indexsprung und der Erhöhung der Mehrwertsteuer und der Akzisen zu berechnen. "Hat diese Regierung ihre Hausaufgaben denn so schlecht gemacht?", fragt Gazet Van Antwerpen. Das wird sich in den kommenden Wochen zeigen, wenn die Oppositionsparteien mit dem Rechnungshofbericht herumschwenken werden. Auch der heutige Streiktag ist ein mächtiges Instrument in den Händen der Opposition. Je größer der Erfolg, desto stärker das Signal an die Regierung.
Het Belang Van Limburg meint: Die sozialen Unruhen drücken die Furcht aus, dass die Regierung die Wirtschaftskrise eher schürt als mildert. Die europäische und auch die belgische Wirtschaft befinden sich seit Monaten in der Gefahrenzone. Das Gespenst der Deflation geht in Europa um. Die EU will 300 Milliarden Euro investieren, um die europäische Wirtschaft wieder anzukurbeln. Das ist kein Plädoyer, um das Geld aus den Fenstern zu schmeißen, so die Zeitung. Erst wenn die Wirtschaft wieder Wind in den Segeln hat, ist es Zeit, den Haushalt und die Staatsschuld anzupacken. Andersrum wäre es das Pferd von hinten aufzuzäumen. Intelligente Investitionen können den Unterschied ausmachen. Investitionen in ein neues Stromnetz, in Wissenschaft und Forschung oder in neue Infrastruktur, meint Het Belang Van Limburg.
Gelingt der Soziale Dialog?
Proteste verlaufen immer nach dem gleichen Szenario, kommentiert Het Nieuwsblad. Anschließend folgt der Soziale Dialog, wobei an den schärfsten Kanten gefeilt wird. Die wichtigste Frage ist, ob das auch dieses Mal gelingt. Auf beiden Seiten sind die Feindbilder nahezu grotesk überzeichnet. Nie war die Polarisierung größer als jetzt. Jeder, der streikt, wird als unverantwortlich bezeichnet und jede Veränderung als ungerecht abgetan. Das hilft nicht, um sich anzunähern. Mit dem Thema Kapitalertragssteuer hat die CD&V versucht, aus dieser Sackgasse herauszukommen. Ob das ausreicht, um die größten sozialen Proteste seit 30 Jahren zu entschärfen, darf bezweifelt werden. Wenn aber die rechten Flügel der liberalen Parteien und der N- VA über gar nichts mehr verhandeln wollen, dann ist die Tradition des Sozialen Dialogs gestorben.
Le Soir sieht das ähnlich: Es scheint, dass die Sparmaßnahmen an den Bedürfnissen der Gesellschaft vorbeigehen und zu unausgeglichen sind. Mit einer Korrektur könnte die Regierung Michel ihre Ankündigungen einer dringenden Steuerreform aus dem Wahlkampf wahrmachen. Sie könne auch zeigen, dass sie nach politischen Prioritäten arbeitet und nicht nach den Regeln der Buchhaltung.
Archivbild: Jonas Roosens (belga)