"Die CD&V greift an", titelt De Morgen. "Risse in der Koalition", so die Schlagzeile von Le Soir. L'Echo hört "so einen Hauch von Kakophonie". Am Dienstag haben die Parlamentarier sieben Regierungsmitgliedern auf den Zahn gefühlt. Im Blickpunkt zunächst: der N-VA-Finanzminister Johan Van Overtveldt. Der wurde insbesondere über die Forderung nach einer Reichensteuer befragt. Und Van Overtveldt musste sich in diesem Zusammenhang auch Kritik vom Mehrheitspartner CD&V gefallen lassen.
Steuer(un)gerechtigkeit
"Van Overtveldt bekommt die volle Breitseite; und plötzlich brannte der Ausschuss lichterloh", schreibt De Morgen. Innerhalb der Koalition ist es vor allem die CD&V, die dafür plädiert, auch die Vermögenden zur Kasse zu bitten, etwa in Form einer Kapitalertragssteuer. Und es ist insbesondere die N-VA, die sich dieser Forderung widersetzt.
Hoffentlich kommt die Regierung da noch zur Einsicht, meint Gazet Van Antwerpen in ihrem Leitartikel. Hier geht es nämlich ums Prinzip, um die allgemeine Wahrnehmung. Nur wenn die Bevölkerung das Gefühl hat, dass jeder seinen Beitrag zur Sanierung der Staatsfinanzen leistet, kann der Soziale Frieden wiederhergestellt werden.
In diesem Zusammenhang wird auch die Anhörung der Staatssekretärin für die Bekämpfung von Steuerhinterziehung, Elke Sleurs, mit Spannung erwartet. In einem Interview mit Het Nieuwsblad bekräftigt Sleurs ihre Einstellung, wonach der Fiskus bei Unregelmäßigkeiten nicht automatisch von bösen Absichten ausgehen sollte. Nicht jeder Bäcker oder Metzger kennt alle Feinheiten des Gesetzes, sagt Sleurs. Frei nach dem Motto also: Irren ist menschlich.
Betrug ist Betrug, erwidert Het Nieuwsblad in seinem Leitartikel. Auch hier geht es um die allgemeine Wahrnehmung. Auf der einen Seite will die Regierung richtiggehend Jagd auf Sozialbetrüger machen, auf der anderen Seite will man aber offensichtlich bei Steuerhinterziehung prinzipiell schon mal ein Auge zudrücken. Der Eindruck, der da entsteht, ist desaströs. Und weil der Belgier das als ungerecht empfindet, steigt sogar hierzulande die Zahl der anonymen Denunzierungen beim Fiskus. Allein in diesem Jahr haben 2.000 Belgier einen Nachbarn oder Bekannten bei den Steuerbehörden verpfiffen. Elke Sleurs sollte dieses Ungerechtigkeitsbewusstsein nicht unterschätzen.
Nuklearer Starrsinn?
Auch die Anhörung der neuen Energieministerin Marie-Christine Marghem sorgt für angeregte Diskussionen. Marghem kündigte an, dass die Atomreaktoren Doel 1 und Doel 2 nicht, wie vorgesehen, ab dem kommenden Jahr vom Netz gehen sollen, sondern auch erst 2025. Diese Laufzeitverlängerung sorgt aber für Spannungen in der Mehrheit; die CD&V verlangt, dass man erst abwartet, was mit Doel 3 und Tihange 2 passieren wird; beide Reaktoren wurden ja wegen der ominösen Mikrorisse vom Netz genommen; in Kürze soll die Atomaufsichtsbehörde FANK entscheiden, ob die beiden Meiler wieder hochgefahren werden können. Die Debatte über die Zukunft der Atomenergie dürfte jedenfalls noch spannend werden, orakelt Le Soir.
Die Opposition wirft Marie-Christine Marghem jedenfalls schon "ideologischen Starrsinn" vor. Das Thema erneuerbare Energien komme bei dieser Koalition so gut wie gar nicht vor, wettern Sozialisten und Grüne.
Das Ende des Silberfonds
Apropos ideologischer Starrsinn. Genau das Gleiche wirft man der N- VA und insbesondere dem Finanzminister Johan Van Overtveldt vor. Der hat angekündigt, die außerordentliche Rentenkasse, den so genannten Silberfonds, abzuwickeln. Die Initiative war 2001 vom damaligen SP.A-Haushaltsminister Johan Vande Lanotte lanciert worden. Der "Silberfonds" ist aber im Wesentlichen Makulatur geblieben. Dennoch sehen einige Zeitungen hier eine politische Abrechnung: "Van Overtveldt will das Erbe der Regierung Verhofstadt loswerden", schreibt Het Nieuwsblad; "Die N-VA reißt alles ab, was rot ist", so die Schlagzeile von Het Laatste Nieuws.
Auf allen Ebenen will die N-VA alle sozialistischen Spuren sorgfältig beseitigen, stellt Het Laatste Nieuws in seinem Kommentar fest. Die Politik ist augenscheinlich von Rachegelüsten getrieben. Im vorliegenden Fall trifft es mit dem Silberfonds aber nicht das falsche Ziel. Ihm wird jedenfalls niemand eine Träne nachweinen.
Armee amputiert
De Standaard thematisiert auf Seite eins die Folgen der Anhörung des neuen Verteidigungsministers Steven Vandeput. "Arme Armee", titelt das Blatt sinngemäß. "Belgien wird zum Schwächling der NATO", kritisiert Armeechef Gerard Van Caelenberge. Die Sparmaßnahmen der Regierung, das sei kein Säbeln mehr, das habe eher mit Amputieren zu tun, sagt Van Caelenberge.
De Standaard und auch De Morgen bringen aber nichtsdestotrotz Verständnis für die Haltung der Regierung auf. Belgien ist einfach zu klein; selbst unter normalen Bedingungen ist der belgische Beitrag zur Sicherung des Weltfriedens eher bescheiden. Die Verteidigungspolitik kann nur im Verbund mit anderen organisiert werden - unter den Benelux-Staaten oder gleich auf EU-Ebene - sind sich beide Blätter einig.
All diese Diskussionen zeigen: Die Anhörungen der Minister im Parlament sind eine gute Sache, glaubt Le Soir. Natürlich ist das Prozedere nicht perfekt. Für die politische Streitkultur in diesem Land sind die Mini-Debatten aber absolut belebend.
Oberkritiker wird kritisiert
Inzwischen ist aber auch die Politik der Wallonischen Regionalregierung wieder in den Fokus gerückt. Gestern hatte der wallonische Flügel der FGTB scharfe Kritik an den Sparmaßnahmen der Regierung Magnette geübt. "Für die MR kommt das wie gerufen", glaubt Le Soir. In der Tat: In einem Interview mit der Zeitung L'Avenir schießt MR-Chef Olivier Chastel aus allen Rohren auf die PS-CDH-Koalition in Namur. "Die Regierung wollte die Bürger hinters Licht führen", behauptet Chastel.
'Wer anderen eine Grube gräbt", frotzelt L'Avenir in seinem Leitartikel. Auf föderaler Ebene hat die PS kein gutes Haar an der Regierung Michel gelassen. Jetzt geraten die Sozialisten in Namur selbst ins Fadenkreuz; die Kritik kommt sogar aus den eigenen Reihen, nämlich von der FGTB. Die Quintessenz für den Bürger ist allerdings wenig lustig: Sparmaßnahmen aus Brüssel, Sparmaßnahmen aus Namur: Vielen steht bald das Wasser bis zum Hals.
Bild: Eric Lalmand (belga)