"Kundgebung führt zu Kleinkrieg zwischen Brüssel und Antwerpen", so die Schlagzeile von Het Laatste Nieuws. "Clash zwischen dem Bürgermeister und seiner Polizei", so die Aufmachergeschichte von De Standaard.
Die Kundgebung vom 6. November sorgt nach wie vor für Diskussionsstoff. Am Rand der Großdemonstration war es ja zu gewaltsamen Ausschreitungen gekommen. Die waren so brutal wie seit Jahren nicht mehr. Das bestätigt auch der frühere Brüsseler Polizeichef Roland Vanreusel in Le Soir. Er habe in seiner Laufbahn 7.000 bis 8.000 Kundgebungen begleitet; so etwas wie am 6. November habe er aber selten gesehen. Dabei wurden ja 112 Polizisten verletzt.
Es sind vor allem Hafenarbeiter aus Antwerpen, die für die Ausschreitungen verantwortlich gemacht werden. Und offenbar stehen in diesem Zusammenhang Festnahmen kurz bevor, wie La Dernière Heure auf Seite eins bemerkt. "Dockarbeiter, wir wissen, wo ihr seid", so auch die warnende Schlagzeile von Het Laatste Nieuws. Demnach konnte inzwischen rund ein Dutzend der Unruhestifter identifiziert werden.
Brüssel vs Antwerpen
Im Zusammenhang mit den Ausschreitungen war der Brüsseler Bürgermeister Yvan Mayeur unter Druck geraten. Polizeigewerkschaften hatten ihm vorgeworfen, eine Mitschuld an den Ereignissen zu tragen. Mayeur habe im Vorfeld die Anweisung gegeben, dass sich die Sicherheitskräfte möglichst zurückhalten sollten. Damit habe der Bürgermeister seine Beamten faktisch zu Kanonenfutter gemacht, kritisieren die Polizisten. In De Standaard setzen die Kritiker heute noch einen drauf: "Solange es sich um linksextreme Demonstranten handelt, können sie sich unter Mayeur alles erlauben", so der neue Vorwurf an die Adresse des Brüsseler Bürgermeisters.
Mayeur ist inzwischen aber zum Gegenangriff übergegangen. Er gibt seinem Kollegen aus Antwerpen, Bart De Wever, eine Mitschuld an den Ausschreitungen vom 6. November. Die Antwerpener Behörden hätten nach Ansicht von Mayeur die gewaltbereiten Demonstranten schon an der Abfahrt nach Brüssel hindern können.
De Wever weist die Vorwürfe zurück. "Eine Katze, die in die Enge getrieben ist, macht seltsame Sprünge", frotzelt De Wever unter anderem in Het Nieuwsblad. Mayeur soll ihm jedenfalls mal erklären, welches Gesetz er denn hätte anwenden sollen, um die Demonstranten an der Teilnahme an der Demo zu hindern. "Ich zweifle an den Kenntnissen von Yvan Mayeur", sagt De Wever in Gazet Van Antwerpen und Het Belang Van Limburg.
Charles Michel: "Keine Reichensteuer"
"Steuerpolitik: Es gibt Handlungsspielraum", titelt La Libre Belgique. Das ist ein Zitat von Premierminister Charles Michel. Heißt also: Man kann den Koalitionsvertrag noch korrigieren; Voraussetzung sei aber, dass alle vier Parteien einverstanden sind, betont Michel. Und solange das nicht der Fall ist, betrachte er sich als der Garant des Koalitionsabkommens, sagt Michel.
Auf die derzeitige Diskussion über die mögliche Einführung einer Reichensteuer angewendet, heißt das also: Die CD&V kann das nicht alleine durchsetzen. Ebenfalls auf der Grundlage eines Interviews mit Charles Michel schlussfolgert denn auch De Morgen: "Der Premier begräbt die Reichensteuer".
La Libre Belgique übt in ihrem Leitartikel scharfe Kritik an dieser Haltung. Der Kurs der Regierung ist von Grund auf unausgewogen. Selbst die OECD empfiehlt Belgien, die Steuerlast auf Arbeit zu senken und stattdessen Steuern auf Börsenmehrwerte zu erheben. Und die OECD, die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, das ist nicht die PTB; die OECD ist jedenfalls in erster Linie für ihren wirtschaftsliberalen Kurs bekannt. Fakt ist jedenfalls: Es ist vor allem der Kleine Mann, der die Zeche zahlt. Da will man glatt eine bekannte Thekenparole bemühen: "In Belgien werden die Armen ärmer und die Reichen reicher". Die Regierung sollte dringend die Steuergerechtigkeit herstellen.
Unausgewogenheit im Regierungsabkommen betoniert
De Standaard schlägt in dieselbe Kerbe: Die Mehrheit der Bürger akzeptiert prinzipiell die Feststellung, dass wir alle unser Quäntchen beisteuern müssen. Inzwischen wird aber immer deutlicher, dass eine Bevölkerungsgruppe quasi ungeschoren davonkommt. Bleibt es bei dieser Unausgewogenheit, dann kann die Stimmung sehr schnell kippen. Opferbereitschaft geht mit Vertrauen einher. Und das schmilzt gerade wie Schnee in der Sonne.
De Standaard bezieht sich damit auch auf eine Feststellung, die man anscheinend innerhalb der Regierung gemacht hat. Demnach dürfte der geplante Indexsprung erst einmal nicht für die Schaffung neuer Arbeitsplätze sorgen. Wie De Standaard berichtet, werden die Unternehmen wohl zumindest in einer ersten Phase die finanziellen Vorteile, die der Indexsprung mit sich bringen wird, bei ihren Gewinnen verbuchen. Auch das dürfte innerhalb der Bevölkerung nicht unbedingt die Akzeptanz für die Maßnahme erhöhen, glaubt De Standaard.
L'Avenir warnt dennoch davor, jetzt gleich schon das Koalitionsabkommen wieder aufzudröseln. Gerade für die MR als einzige frankophone Partei der Koalition muss der Regierungsvertrag den Rang eines Evangeliums haben. Schließlich wird darin auch die Selbstverpflichtung betoniert, in der laufenden Legislaturperiode die Gemeinschaftspolitik nicht anzupacken. Einzelne Punkte in Frage zu stellen, wäre also sehr gefährlich. Konkret: Wer jetzt doch eine Reichensteuer einführen will, die nicht im Koalitionsabkommen vorgesehen ist, der riskiert, die Büchse der Pandora zu öffnen.
"Betrug ist nicht Betrug"
Es ist aber nicht nur wichtig, was im Koalitionsabkommen steht; die Frage ist auch, wie man es umsetzt, notiert De Morgen. Das Blatt hat das politische Programm der neuen Staatssekretärin für Betrugsbekämpfung, Elke Sleurs, einsehen können. Daraus geht hervor, dass sich der Fiskus grundsätzlich neu positionieren soll. Die Steuerbehörden sollen demnach weniger als strenge Kontrollinstanz, sondern eher als konstruktiver Gesprächspartner auftreten. Unter anderem wird man nicht mehr grundsätzlich davon ausgehen, dass hinter einem Steuervergehen automatisch Absicht steckt; grundsätzlich wird nicht ausgeschlossen, dass der Steuerpflichtige sich schlicht und einfach vertan hat.
Eben solche Vorgaben zeigen letztlich, wie diese Koalition tickt, bemerkt De Morgen in einem wütenden Kommentar. In Zeiten, in denen finanzkräftige Unternehmen oder Personen alle Hintertüren nutzen, um Steuern zu sparen, in denen Börsenmehrwerte in dreistelliger Millionenhöhe nicht besteuert werden, in denen eine Kaste der "steuerlich Unantastbaren" entstanden ist, in solchen Zeiten soll der Fiskus quasi als Freund und Helfer auftreten. Zugleich eröffnet dieselbe Regierung buchstäblich eine Jagd auf potentielle Sozialbetrüger. Betrug ist offensichtlich nicht mehr Betrug: Der Steuerhinterzieher hat sich geirrt, der Sozialbetrüger ist ein Profiteur. Ein Jammer, dass es für eine solche Politik im Parlament eine Mehrheit gibt.
Foto: Laurie Dieffembacq (belga)