"Der Bürgermeister demonstriert, während wir vermöbelt werden", titelt Het Laatste Nieuws. "Man hat uns befohlen, unseren Kollegen nicht zu helfen", so die Schlagzeile von La Dernière Heure.
In beiden Fällen handelt es sich um Aussagen von Polizisten. Die Beamten machen den Brüsseler Bürgermeister Yvan Mayeur zumindest in Teilen für die Ereignisse am Rande der Großkundgebung vom Donnerstag verantwortlich. Der Bürgermeister ist für die Wahrung der Öffentlichen Ordnung verantwortlich. Nur hatte Yvan Mayeur den Sicherheitskräften Anweisung gegeben, auf Abstand zu bleiben. Deswegen zog sich die Polizei trotz der eskalierenden Übergriffe immer weiter zurück.
Polizei von oberster Stelle zur Untätigkeit verdammt
"Wehren durften wir uns nicht, selbst, als es schon Pflastersteine regnete", zitieren beide Zeitungen aus Polizeikreisen. Selbst für den Fall, dass Autos oder Gebäude beschädigt würden, hatte die Polizei die Order, nicht einzugreifen. "Unsere Kollegen riefen per Funk um Hilfe und wir durften uns nicht rühren", beklagen nicht genannte Mitglieder einer Mobilen Einsatzgruppe. Die durfte erst eine geschlagene Stunde später ihren bedrängten Kollegen zu Hilfe eilen. Und zeitgleich nahm Yvan Mayeur selbst an der Demo teil. Het Laatste Nieuws bringt sozusagen das "Beweisfoto" auf Seite eins. Und bis zuletzt gab er die Order aus, das Gespräch mit den Unruhestiftern zu suchen.
Das ist regelrecht absurd, kritisiert La Dernière Heure in ihrem Leitartikel. Jeder, der die Antwerpener Hafenarbeiter gesehen hat, wusste, dass die auf Krawall gebürstet waren. Niemandem war entgangen, dass sich Neonazis unter den Protestzug gemischt hatten. Die Ausschreitungen waren alles, nur nicht spontan. Und wer glaubt, mit diesen Leuten diskutieren zu können, der steckt bewusst den Kopf in den Sand.
Hooligan-Problem
"Wer sind eigentlich diese Hafenarbeiter, die Chaos gestiftet haben", fragt sich La Libre Belgique auf Seite eins. Erste Diagnose: Die Gruppe der "Docker" ist zum Teil durch Rechtsradikale unterwandert. Sie treten immer in der Gruppe auf und sie sind ziemlich gewaltbereit.
"Die FGTB hilft nicht bei der Suche nach den Krawallmachern", so die Schlagzeile von Het Nieuwsblad. Die Justiz hatte gehofft, dass die Gewerkschaften dabei helfen, die Leute zu identifizieren, die da am Donnerstag für die Ausschreitungen verantwortlich waren. Pustekuchen. Zumindest bei der FGTB bekam man eine Absage. Die CSC sieht das ganz anders: Das waren keine Petitessen, so was wie am Donnerstag können wir nicht tolerieren, heißt es bei der CSC.
Die FGTB ist auf dem falschen Dampfer, glaubt Het Nieuwsblad. Die sozialistische Gewerkschaft ist vergleichbar mit den Fußballvereinen von vor einigen Jahren: Sie hat ein Hooligan-Problem. Um diese Mitglieder nicht zu verlieren, schaut man bei der FGTB bewusst weg. Damit wird man aber zu Geißeln dieser Gruppe. Die Fußballvereine hatten irgendwann verstanden. Dies vor allem, nachdem die "normalen" Fans, die nichts mit Gewalt am Hut hatten, den Stadien fernblieben. Die FGTB muss aufpassen, dass ihr nicht dasselbe passiert. Und deswegen hätte sie mit der Justiz zusammenarbeiten sollen.
Jedenfalls hat die Handvoll Hooligans dafür gesorgt, dass die komplette Kundgebung in ein schlechtes Licht gerückt wurde, bemerkt auch L'Avenir. Wenn das auch nicht im Sinne der Gewerkschaften war, so verfehlt das dennoch seine Wirkung nicht. Es entsteht der Eindruck, dass die Straße wirklich entschlossen ist, den Kampf bis zum bitteren Ende zu führen. Und noch etwas: Bislang galten immer die Wallonen als potentielle Unruhestifter. Diesmal hat man vor allem mit dem Finger auf die Flamen gezeigt. Damit bekam zugleich die flämische Präsenz bei der Demo eine größere Sichtbarkeit. Anders gesagt: So sehr Gewalt auch zu verabscheuen ist, die Ereignisse vom Donnerstag haben dennoch Auswirkungen, die nicht so negativ sind, wie man es vielleicht hätte denken können.
Neues Auto für abgebrannten Elektriker
Apropos: Die Demo hat auch schöne Geschichten produziert, nach dem Motto: Ende gut, alles gut - so zumindest formuliert es De Morgen. Es ist die Geschichte von Abdeslam Gharrafi, der gar nicht an der Kundgebung teilgenommen hatte, dessen Auto aber im Zuge der Ausschreitungen völlig zerstört wurde. Der brennende Kleinwagen war durch alle Medien gegeistert. Gewöhnliche Bürger starteten daraufhin eine Internet-Spendenaktion, die binnen kürzester Zeit ein voller Erfolg wurde. "Crowdfunding beschert Elektriker einen neuen Wagen", so denn auch die Schlagzeile von De Standaard. De Morgen sieht schon "neue Hoffnung für Idealisten".
Solidarität ist noch lange nicht tot, bemerkt das Blatt in seinem Leitartikel. Nur sollte man das nicht verallgemeinern. Was diese Aktion so attraktiv macht, ist der vergleichsweise einfache Sachverhalt: Ein unschuldiger armer Teufel muss zusehen, wie Randalierer sein Auto abfackeln. Das sorgt für spontanes Mitgefühl. Diese spontane Form der Solidarität muss aber leider nicht bedeuten, dass das Fundament unserer Sozialen Sicherheit über Nacht wieder stärker geworden wäre.
700 Millionen steuerfrei
In diesen Zusammenhang passt die Aufmachergeschichte von De Standaard. Das Blatt beschäftigt sich mit Marc Coucke. Der Mann hat gerade erst sein Unternehmen Omega Pharma verkauft. Dafür sackt er mindestens 700 Millionen Euro ein - steuerfrei, weil es in Belgien keine Abgabe auf Börsenmehrwerte gibt. Und Coucke geht offensiv mit dieser Geschichte um: "Ehe man eine solche Steuer auf Börsenmehrwerte einführt, sollte man erstmal die Bürokratie abschaffen", sagt Coucke auf Seite eins von De Standaard.
Man muss Coucke fast schon dankbar sein, frotzelt De Standaard in seinem Leitartikel. Mit seiner provokativen Aussage erreicht er nämlich genau das Gegenteil. Wenn ein einzelner Mensch hunderte Millionen Euro steuerfrei einstecken kann, dann leuchtet am Ende wirklich jedem ein, dass eine Steuer auf Börsenmehrwerte nur gerecht wäre. Die schlechte Neuigkeit: Eine solche Abgabe ist im Regierungsabkommen nicht vorgesehen.
Het Laatste Nieuws warnt aber davor, die Dinge zu vermengen. Der Fall Marc Coucke hat nichts mit der LuxLeaks-Geschichte zu tun. Coucke hat im vorliegenden Fall keine Kunstgriffe anwenden müssen, um Steuern zu sparen. Das Timing ist also unglücklich. Was nicht heißt, dass das Ganze moralisch akzeptabel wäre.
(Un)gerechtigkeit
In diesem Zusammenhang veröffentlicht Le Soir am Samstag neue Erkenntnisse über die LuxLeaks-Affäre. Für den Unternehmer Albert Frère, den reichsten Mann des Landes, hat sich die Luxemburger Steuervermeidung gelohnt: "Für seinen Privatjet hat er keinen Cent gezahlt", schreibt Le Soir auf Seite eins.
LuxLeaks, der Fall Coucke... Man muss doch zugeben, dass die Gewerkschaften nicht ganz Unrecht haben, meint Gazet van Antwerpen. Zumindest dann, wenn sie für eine Kapitalertragssteuer plädieren. In unserer Gesellschaft laufen jedenfalls einige Dinge gehörig schief. Unser Steuersystem muss unbedingt gerechter werden; nur damit kann man vielleicht den Sozialen Frieden für die nächsten Jahre sichern.
Bild: Laurie Dieffembacq (belga)