"50.000 Menschen bei der nationalen Kundgebung erwartet", titelt Het Laatste Nieuws. Die ganze Woche wird im Zeichen der Großdemo vom kommenden Donnerstag stehen. Die Gewerkschaften rufen zu Protesten gegen die Politik der Regierung Michel auf. Die liberale Gewerkschaft CGSLB hofft auf mindestens 50.000 Teilnehmer; die Kollegen von FGTB und CSC halten sich ihrerseits mit Prognosen zurück.
Schmerzhafte Einschnitte, lautstarke Proteste
"Ab heute müssen wir jeden Tag mit Streiks rechnen", so die Schlagzeile von Het Nieuwsblad. Der Startschuss zum erwarteten "heißen Herbst" fällt sozusagen heute. Am Vormittag wollen die Gewerkschaften landesweit eine Informationskampagne durchführen, um die Bürger davon zu überzeugen, am Donnerstag zur Demo zu kommen.
Die Zeitung De Morgen nimmt den Gewerkschaften gewissermaßen die Arbeit ab: "Die Regierung Michel kostet jeden Belgier 336 Euro pro Jahr", so die Schlagzeile. Den Löwenanteil dieses Verlustes macht der Indexsprung aus. Obendrauf kommen dann noch mal die Erhöhungen einiger Steuern und Akzisen.
Stichwort "Akzisen": La Libre Belgique und La Dernière Heure rechnen vor, inwieweit sich die Erhöhung dieser Abgaben auf das Portemonnaie auswirken wird. So wird im Jahr 2016 bei gleichem Ölpreis eine Tankfüllung mit 50 Liter Diesel 3,50 Euro mehr kosten.
Nicht nur die Gewerkschaften protestieren
Die Protestwelle steht jedenfalls auf einer breiteren Basis als sonst üblich, analysiert Het Nieuwsblad. Neben den Gewerkschaften wollen zahlreiche andere Interessenverbände an der Kundgebung teilnehmen. Das geht von Pfadfindern über Studenten und Künstler bis hin zu Umweltorganisationen.
Genau das sollte der Regierung Sorgen bereiten, meint Het Nieuwsblad in seinem Leitartikel. In den letzten Jahren hatten Gewerkschaftsaktionen in den meisten Fällen für allergische Reaktionen bei einem Großteil der Bevölkerung gesorgt. Diesmal kann die Regierung jedenfalls nicht die Proteste als bloßes Rückzugsgefecht einiger konservativer Arbeitnehmerorganisationen abtun. Und das hat sie sich selbst zu verdanken.
Die Kommunikation der Regierung ließ gerade zu Beginn zu wünschen übrig. Tröpfchenweise kam eine Sparmaßnahme nach der anderen zu Tage. Die Gewerkschaften haben jetzt aber ein Interesse daran, sich so aufzustellen, dass sie die Unterstützung der Zivilgesellschaft nicht gleich wieder verlieren.
Gazet van Antwerpen ist dagegen nicht davon überzeugt, dass die Gewerkschaftsproteste der großen Masse aus der Seele sprechen. Nicht vergessen: Die aktuellen Mehrheitsparteien hatten vor den Wahlen doch ziemlich deutlich klargemacht, wo die Reise hingehen sollte. Und zumindest in Flandern haben sie dafür vom Wähler auch ein ziemlich deutliches Mandat bekommen. Auch in Antwerpen hatte es nach der Machtübernahme der N- VA geheißen, dass ein Großteil der Bevölkerung sich den Sparmaßnahmen widersetze; die Proteste waren aber am Ende nicht mehr als ein Stürmchen im Wasserglas.
"Gerechtere Sparmaßnahmen!"
Het Laatste Nieuws appelliert jedenfalls an die Regierung, auf Kurs zu bleiben. In den 1980er Jahren hatte die SNCB geschlagene drei Wochen lang gegen die Politik der Regierung Martens-Gol gestreikt. Vielleicht war das seinerzeit sogar begründet. Diesmal ergreift die Regierung Michel aber Maßnahmen, von denen im Grunde jeder weiß, dass sie unvermeidlich sind. Was nicht heißt, dass die Maßnahmen alle gerecht sind. Der Geldadel kommt ungeschoren davon. Die Bürger werden aber nur dann Verständnis für die Politik der Regierung haben, wenn sie den Eindruck haben, dass jeder gleich behandelt wird.
Das sollte letztlich das Ziel der Gewerkschaftsproteste sein, glaubt Het Belang van Limburg. Die Arbeitnehmervertretungen sollten sich ihr Mitspracherecht verdienen, indem sie nicht nur protestieren, sondern auch Alternativvorschläge formulieren. Eine Möglichkeit wäre da eine gleich wie geartete Vermögenssteuer. Es wäre jedenfalls im Interesse des belgischen Dialogmodells, wenn nicht nur die Gewerkschaften, sondern auch die Regierung ihre Verweigerungshaltung aufgeben.
Von Krankenkassen und Banken
"De Block fordert von den Krankenkassen Transparenz", so die Aufmachergeschichte von Le Soir. Die neue Gesundheitsministerin will wissen, wie viel Geld die Krankenkassen tatsächlich für die Kostenrückerstattung der Patienten ausgeben. Manchmal wisse man nämlich nicht mehr, ob die Krankenkassen nun im Sinne der Patienten handeln, oder ob sie ihre eigenen wirtschaftlichen Interessen schützen. Es sei aber wichtig, dass jeder Euro im Gesundheitswesen gut angelegt ist, sagt De Block in Le Soir.
"Belfius schleppt Risikopapiere mit einem Volumen von 700 Milliarden Euro mit", so die beängstigende Schlagzeile von De Standaard. Dieses Portefeuille stammt noch aus der Dexia-Zeit. Nach Angaben von Belfius seien die damit verbundenen Risiken aber überschaubar. Nichtsdestotrotz macht dieses vergiftete Erbe den Verkauf der staatseigenen Bank schwierig, meint die Zeitung in ihrem Leitartikel. Für den neuen Finanzminister Johan Van Overtveldt ist Belfius mit seinen Altlasten ein Albtraum. Am Wochenende äußerte Nationalbankchef Luc Coene die Überzeugung, dass in Belgien eine Großbank zu viel am Markt sei. Doch selbst für eine Fusion mit einer anderen Bank bietet sich Belfius nicht wirklich an.
EU und Klimaschutz: Ehrgeiz gefragt
"Alles, was sie schon immer über die Juncker-Kommission wissen wollten", titelt La Libre Belgique. Die neue EU-Kommission ist ja am vergangenen Samstag offiziell an den Start gegangen; heute ist ihr erster Arbeitstag. La Libre Belgique sieht fünf große Herausforderungen. Die wichtigste davon ist natürlich, das Vertrauen zurückzugewinnen, meint das Blatt in seinem Leitartikel. Und der Königsweg, das ist ein sozialeres Europa. Bislang war es doch viel zu einfach für Regierungen oder Parteien, die EU zum Buhmann zu stempeln. Europa muss mehr sein als ein großer Binnenmarkt, der allein den Multinationals dient, mehr als nur die Summe von 28 Mitgliedsländern.
Einige Zeitungen schließlich beschäftigen sich mit dem jüngsten Bericht des Weltklimarates. Demnach ist der CO2-Gehalt in der Atmosphäre so hoch wie in den letzten 800.000 Jahren nicht mehr, besteht also definitiv Handlungsbedarf.
Davon ist in Belgien nicht viel zu sehen, meint Le Soir in seinem Leitartikel. Das Land könnte sogar die für 2020 gesteckten Ziele verfehlen. Für die Regierung Michel jedenfalls ist der Klimaschutz keine Priorität. Man versteckt sich hinter Entschuldigungen wie: "Wir müssen die Wettbewerbsfähigkeit schützen". In dieser Materie ist aber nicht angeblicher Realismus gefragt, sondern tatsächliche Ambition.
Foto: Eric Lalmand (belga)