"Im Krieg gegen die MR", titelt L'Avenir. "Gewalt ist das einzige Mittel, das uns noch bleibt", wird ein FGTB-Mitglied auf der Titelseite von Het Nieuwsblad zitiert. "Der soziale Unmut wird lauter", schreibt Le Soir.
Die ersten Vorboten des heißen Herbstes sind da: Wilde Streiks bei der Bahn, die Lehrer der Französischen Gemeinschaft wollen heute die Arbeit für eine Stunde niederlegen, um gegen die Rentenreform zu protestieren, und die Parteizentrale der MR in Brüssel wurde am Dienstag von Mitgliedern der sozialistischen Gewerkschaft verwüstet. Sie feuerten gelbe Paintball-Kugeln auf das Gebäude ab - gelb, weil es die Farbe der N-VA ist. Die aufgebrachten Gewerkschafter schlugen außerdem Scheiben ein und warfen Rauchbomben in die Eingangshalle. Sie warnten die MR: Das sei nur ein Vorgeschmack. Der entstandene Sachschaden beträgt nach Angaben der frankophonen Liberalen bis zu 30.000 Euro.
Gewerkschaften vs Regierung
La Libre Belgique meint: Natürlich besteht in diesem Land ein Streikrecht und darf man auch seinem Unmut lauthals Ausdruck verleihen. Allerdings erleben wir in diesen Tagen das blanke Chaos. Die wilden Streikaktionen bei der Bahn treffen weder Politiker noch die SNCB-Leitung, sondern Pendler und Reisende - und das mit voller Härte. Der Egoismus einiger Gewerkschafter geht eindeutig zu weit. Het Nieuwsblad schreibt dazu: Gewalt hat in einer Demokratie keinen Platz. Da spielt es auch keine Rolle, dass eine Gewerkschaft nachvollziehbare Gründe für ihre Empörung hat.
De Morgen bemerkt hingegen: Die Regierungsparteien sollten den Gewerkschaftsprotest weder unterschätzen noch als undemokratisch abtun. Was erwarten die Partner der Schwedischen Koalition? Dass ihre Regierung in der Wallonie enthusiastisch unterstützt wird, wenn sie gerade mal ein Viertel der frankophonen Wähler vertritt? Dass sie frenetischen Applaus für ihre Sparpolitik und die Reformpläne erhalten? Natürlich werden die Gewerkschaften in den Boxring steigen, ansonsten könnten sie sich auch gleich auflösen.
De Standaard befürchtet, dass es am Ende nur Verlierer geben wird. Der Grund: eine Regierung, die den sozialen Dialog erst sehr spät eröffnet, und Gewerkschaften, die den Sinn von Reformen nicht einsehen wollen.
Paintballgeballer auf die MR
Het Laatste Nieuws ist besonders kritisch: Muss diese Horde verrücktgewordener FGBT-Mitglieder aus Namur an einem Dienstag eigentlich nicht arbeiten? Haben sie nichts Besseres zu tun, als in Brüssel Paintball zu spielen? Die Entrüstung eines Großteils der Französischsprachigen im Land ist zwar nachvollziehbar. Sie fühlen sich durch die neue Föderalregierung nicht vertreten. Aber die Art und Weise, mit der sie ihre Verzweiflung zum Ausdruck bringen, spielt einzig und allein ihrem Erzfeind Bart De Wever in die Karten. Der hat über eine weitere Staatsreform kein einziges Wort in den Mund genommen. Doch wenn es so weiter geht, werden die Hooligans der FGTB, unterstützt durch die PS, in Kürze selbst nach Konföderalismus rufen. De Wever hat es erneut auf seine meisterlich-teuflische Art geschafft, einen Keil zwischen die Sprachgemeinschaften zu treiben.
Het Belang van Limburg meint: Die anrollende Streikwelle wird zum Gradmesser. Wird sie massiv unterstützt, dann hat die Regierung ein Problem. Wird der Streikaufruf dagegen nur mäßig befolgt, dann stehen die Gewerkschaften vor einem Problem. Noch problematischer wird es, wenn die Lage an der Streikfront in Flandern und der Wallonie grundlegend anders ausfällt. Für Gazet van Antwerpen steht bereits fest, dass sich Premierminister Charles Michel fest anschnallen muss, damit seine Regierung den Proteststurm übersteht.
Auch die PS spielt mit dem Feuer
Le Soir spürt die Besorgnis und die Entrüstung auf beiden Seiten - sowohl auf der Straße als auch im Regierungsviertel. Was wird die Auseinandersetzung am Ende bringen außer Chaos, von dem nur die N-VA profitiert? Auch die Sozialisten müssten sich eingestehen, dass wir über unsere Verhältnisse leben, dass die Alterspyramide langfristig unbezahlbar ist. An Strukturreformen führt kein Weg vorbei, auch wenn die Aufgabe extrem schwierig und schmerzhaft ist. Durch ihr stures Verhalten spielen beide Seiten mit dem Feuer, hält die Zeitung fest.
Für La Libre Belgique wird der Gewerkschaftsprotest politisch gesteuert. Die PS musste vor Kurzem zugeben, dass 70 Prozent der Reformen der neuen Föderalregierung nur eine Fortführung von Maßnahmen sind, die bereits unter der Regierung Di Rupo auf den Weg gebracht worden waren. Zu Di Rupos Zeiten waren die Gewerkschaften allerdings mit angezogener Handbremse unterwegs und haben den sozialistischen Regierungschef gewähren lassen. Jetzt, wo die Mitte-Rechts-Parteien an der Macht sind, lassen sie alle Hemmungen fallen.
L'Avenir findet, dass die PS mit zweierlei Maß misst: Auf die föderalen Sparmaßnahmen haben sich die Sozialisten beinahe auf Stammtischniveau eingeschossen. In der Wallonie müssen sie aber selber ebenfalls kräftig zum Rotstift greifen - eine Tatsache, die die PS gerne kleinredet oder sogar völlig unterschlägt.
Bild: Jasper Jacobs (belga)