"Am 15. Dezember wird das Land platt gelegt", titelt Het Belang van Limburg. "Nationaler Streik am 15. Dezember", schreibt L'Avenir auf Seite eins. "Und jetzt auch noch ein Generalstreik", so die Schlagzeile von Le Soir.
Die Gewerkschaften holen geschlossen zum Gegenschlag aus. Und es ist die wohl seit Jahrzehnten härteste Reaktion der Arbeitnehmervertretungen auf ein Regierungsprogramm, notiert Le Soir. La Dernière Heure dröselt den Schlachtplan auf: Einen ersten Höhepunkt soll es am 6. November geben mit einer nationalen Protestkundgebung in Brüssel. Es folgen Streiks, die reihum in den Provinzen organisiert werden sollen. Und dann eben am 15. Dezember: der Generalstreik. "Montag ist Streiktag", resümiert De Standaard. Eben wegen der Protestaktionen in den Provinzen ist es nicht auszuschließen, dass es an vier Montagen in Folge zu Behinderungen im Zugverkehr kommen kann. "Die Lunte am Pulverfass ist entzündet", notiert Het Laatste Nieuws. "Es wird ein kochend heißer Winter", glaubt La Dernière Heure.
Hand gereicht, Faust bekommen
Dabei hatte die Regierung in den letzten Tagen den Gewerkschaften immer wieder die Hand gereicht. "Ich bin weder taub noch blind angesichts der Proteste", zitiert Het Laatste Nieuws den neuen Premierminister Michel auf Seite eins. Die Regierung wolle den Gewerkschaften in der kommenden Woche das Regierungsprogramm erläutern. Auf die ausgestreckte Hand reagieren die Gewerkschaften mit einer geballten Faust, kritisiert Gazet van Antwerpen in ihrem Leitartikel. Ganz überraschend ist das nicht. Im Parlament sprechen die linken Parteien schließlich auch vom "asozialsten Regierungsprogramm aller Zeiten". Da konnten die Gewerkschaften ja nur nachziehen. Doch stellt sich die Frage, ob die Gewerkschaften nicht zu früh in Aktion treten. Warum hat man nicht erst die Erklärungen der Regierung abgewartet?
Das muss daran liegen, dass die Hand, die die Regierung gereicht hat, ziemlich leer war, stellt Het Nieuwsblad fest. Hatten die Gewerkschaften überhaupt eine Wahl? Schließlich ist es doch so, dass die Maßnahmen bereits im Regierungsabkommen festgeschrieben wurden. Verhandlungsspielraum gibt es da so gut wie keinen.
Kontraproduktiv für die Gewerkschaften
Die Gewerkschaften wollen wohl auch vermeiden, dass sie von ihrer Basis rechts überholt werden, analysiert De Standaard. Das erklärt wohl ihre schnelle Reaktion. Und doch stellen sie sich damit in ein noch dazu gefährliches Abseits: Bis Januar wird wohl kein vernünftiger sozialer Dialog möglich sein. Dabei kann die Regierung nur dann wirklich effiziente und zielgerichtete Maßnahmen ergreifen, wenn sie die mit den Sozialpartnern abstimmt. Wenn die Gewerkschaften nicht mit am Tisch sitzen, dann können sie auch nicht die Interessen ihrer Mitglieder verteidigen.
Auch De Morgen hält die Streikandrohungen für kontraproduktiv. Die Gewerkschaften spielen damit allenfalls der Regierung in die Karten. Wenn sie auf die Barrikaden gehen, dann ist das wohl der Beweis dafür, dass die Regierung tatsächlich die Dinge verändert hat. Die politische Opposition im Parlament verhält sich im Übrigen auch nicht viel besser. Dass die PS aus allen Rohren feuert, ist vielleicht verständlich, dafür aber nicht automatisch vernünftig und produktiv.
Het Belang van Limburg geht einen Schritt weiter: Mit Slogans und Karikaturen erreicht man gar nichts. Warum legen die Linksparteien und die Gewerkschaften nicht einfach Alternativvorschläge vor? Beispiel: Wie kann man die großen Vermögen in Belgien besteuern, ohne der Wirtschaft zu schaden? Das würde der Rechts-Links-Debatte wenigstens mal einen Sinn geben.
Spalten statt einen
Einige Zeitungen sehen die Gefahr, dass die Streikaktionen der Gewerkschaften am Ende einen gemeinschaftspolitischen Anstrich bekommen. Es dürfte wohl kein Problem sein, die Provinzen Lüttich oder Hennegau lahmzulegen, bemerkt etwa La Dernière Heure. Doch wie sieht das in Flandern aus? Am Ende kann Bart De Wever die Wallonen wieder zum Sündenbock stempeln. Ist es das, was die Gewerkschaften wollen?
Het Nieuwsblad sieht ein ähnliches Risiko, das allerdings allein auf Flandern bezogen. Für die Gewerkschaften wird es in gewisser Weise ein Stimmungsbarometer: Je mehr Flamen auf die Straße gehen, desto naheliegender die Annahme, dass die Wähler sich von der N- VA abwenden. Werden die Streikaktionen hingegen kein Erfolg, dann kann die N-VA sich zurücklehnen und argumentieren, dass sie die Politik führe, für die die Menschen an der Wahlurne gestimmt haben. Die Gewerkschaften gehen also ein nicht unerhebliches Risiko ein.
Kollaborationspolemik: "brandgefährliche" Debatte
Durch das Säbelrasseln der Gewerkschaften ist die Kammerdebatte über das Regierungsprogramm fast schon untergangen. "Endlich geht’s um Inhalte", freut sich De Morgen. Die Zeitung verweist damit auf die Sitzung vom Dienstag, wo es ja zu Tumulten gekommen war. Hintergrund war die Polemik um die Haltung der N-VA zur Kollaboration im Zweiten Weltkrieg. Premierminister Michel hatte gestern in der Kammer im Namen der Regierung Stellung bezogen: "Die Regierung in ihrer Gesamtheit verurteilt Kollaboration", zitiert La Libre Belgique den Premier auf Seite eins.
Das Feuer ist damit aber nicht gelöscht, warnt La Libre Belgique in ihrem Leitartikel. In einem gewissen Flandern betrachtet man die Kollaboration eben mit nuancierteren Augen. Und das gilt nun mal für die nationalistischen Hardliner innerhalb der N- VA. Bester Beweis sind die Aussagen von Bart De Wever, der die derzeitige Debatte als "frankophonen Humbug" bezeichnete. Dieser emotionale Graben zwischen dem Norden und dem Süden des Landes, auch diesem Problem muss die Regierung begegnen.
L'Avenir und Le Soir gehen noch einen Schritt weiter: Diese Debatte ist brandgefährlich. Die Frankophonen instrumentalisieren die Diskussion und demütigen bei dieser Gelegenheit die Flamen. Für das Miteinander in diesem Land kann das eine zerstörerische Wirkung haben, notiert Le Soir. Vielleicht ist das aber im Sinne des Erfinders, meint L'Avenir. Vielleicht will ein gewisser Bart De Wever nur einmal mehr den Beweis erbringen, dass ein Regieren zusammen mit den Frankophonen inzwischen unmöglich ist.
Bild: Nicolas Maeterlinck (belga)